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Mittwoch, 10. Juli 2013

Stimmungsmacher

In einem Gespräch im Schweizerischen Fernsehen erwähnt Peter von Matt einen wesentlichen Punkt. Den man begreift, wenn man begreift, daß der Mensch auf einer "Stimmung", auf einem Gefühl, in dem ein Grundurteil, eine Grundhaltung entschieden wird, seinen gesamten weiteren Gedanken- und Urteilsprozeß aufbaut.

Von Matt erwähnt, daß das was Literatur und Kunst leisten kann, gar nicht so sehr im intellektuellen Diskurs liegt. Das wird heute überbewertet, denn Diskursmechanismen (die sich aus den Räumen der Kunst ableiten) sind vielfach vorhanden, anders als noch vor fünfzig oder hundert Jahren, wo Kunst auch diesen Raum zu bilden hatte. Vielmehr fundiert und verändert Kunst die Stimmung, die Atmosphäre eines Landes. 

Und in dieser Hinsicht hat sie keineswegs Einfluß verloren, fast im Gegenteil, hier übt sie mehr Einfluß aus als sogar noch vor 50 Jahren. Denn dann muß man sehr wohl die gesamte Medienlandschaft mit einbeziehen, die selbst in ihren verzwecktesten und banalisiertesten Formen und Gestalten ein Derivat von Kunst, und insofern unter selbigem Blickwinkel zu sehen ist, wenn sie auch nur noch in sehr verringertem Ausmaß Kunstwerk selbst ist, oder das (dieses) Wesen der Kunst mißbraucht.

Die Wirksamkeit eines Künstlers, seine Bedeutung, definiert sich damit aus seiner Kraft, diese Stimmung in seinem Werk zu prägen. 

Deshalb muß klar unterschieden werden, was an einem Künstler Wirksamkeit durch sein Werk ist, oder was davon auf einer völlig anderen Ebene des Wirkens liegt - im gesamten "Afterbetrieb" etwa, der sich um die Kunst gebildet hat. Wo es um die Person geht, um seine Lebensart, seine Rolle, die er in der figuralen Außenwelt spielt. 

Man könnte es vielleicht auf einen einfachen Nenner bringen: Es gibt mmittlerweile sogar zu viele Kunsträume, die aus ihrer immanenten Notwendigkeit diskurs produzieren müssen (Tageszeitungen oder Fernsehprogramm MÜSSEN gefüllt werden, egal wieviele Inhalte es real gibt) und zu wenige Künstler. Vermutlich. Denn eigentlich können wir das gar nicht (mehr) wissen. Denn im selben Maß, als diese Kunsträume unkünstlerisch wurden und werden, werden auch die Selektionskriterien unkünstlerisch.

Das wirkt sich in ungebührlichen Konzentrations- und Verstärkungsprozessen einerseits aus, eine Gefahr für den Künstler, anderseits in einem Auffüllen fehlenden Inhalts durch Scheininhalt, der nur noch ein Abglanz der Kunst ist. Dennoch ist dieser Abglanz in der popeligsten Rateshow enthalten. 

Mit einer interessanten, aber keineswegs verwunderlichen Beobachtung: Daß nämlich auch die simpelste Talkshow nach den Gesetzen des Theaters, nach den dramatischen Gesetzen der Kunst - die ein Abstraktum, ein Kriterium herausstellen, aus dem sich Vielfalt in Einheit zusammenfaßt - überhaupt funktioniert. Und NUR so funktioniert.

Was man nie vergessen sollte, wenn man die Rolle der Kunst beklagt. Erst wenn die Kunst gegen ihre eigenen Gesetze verstößt, wird sie für die Menschen wirklich uninteressant, denn dann wird sie auch langweilig, kann sich bestenfalls durch Tabubrüche und Schock-/Effekterlebnisse - die auf ganz anderer, figuraler Ebene liegen, als ein Kunstwerk - als "interessant" erhalten. Etwa indem sie die Grenzen Bühne - Alltag verwischen.

Sodaß "Interessantheit" die Bedeutung ersetzt. Aber selbst das funktioniert nur kurzfristig, und solcherart Konzepte erledigen sich nach mehr oder weniger kurzer Frist von selbst, weil die Schockmomente ausgehen. (Die sogenannten Genres zeigen das eindeutig.) Selbst Ideen trocknen aus, wenn sie nicht von fundamentalen Bedeutungen und dem Willen, diese darzustellen, genährt werden.

Unter diesem Blickwinkel gesehen wird einsehbar, daß viele weit mehr durch ihr Auftreten - etwa in der "Promiszene" - wirken, und auch weit mehr darauf abzielen, als durch ein eventuelles Werk wirken zu können oder zu wollen. Als Analogie, wo der Ruhm das Werk ersetzt und verdrängt, und als Wirkfaktor für sich mehr Kraft entfalten kann, als das Werk es je vermochte. Was besonders bei Alterswerken ein Kriterienproblem ergeben kann, wenn Künstler sich selbst imitieren.

Aber mit einer grundlegenden Unterscheidung: Der Künstler sieht in seiner Verpflichtung sich selbst gegenüber nur sein Werk und dessen Inhalte. Sein Ruhm, so er einmal manifest ist, baut letztlich immer auf dem Werk auf. Ihm ist die Prominenz oft furchtbare weil kastrierende Versuchung, spricht sie ihn immerhin in seinem Kernproblem an: der dem Mönchstum zu vergleichenden Verpflichtung, sich zum gesellschaftlichen Figurenspiel quer zu stellen, sich einer Rolle im Zweckalltag zu enthalten.

Der Nicht-Künstler, der Prominente, zielt eben auf eine Rolle in der Gesellschaft ab, imitiert also den Künstler in der Simulation der Wirkung des Werks. Die Stimmung die er verbreitet und anregt wird damit zufällig, verliert den Werkcharakter, wird bestenfalls Zweck. Das ist auch jener Moment, an dem sich die Politik ernsthaft für die Möglichkeiten des Kunstbetriebes zu interessieren beginnt.

Gert-Klaus Kaltenbrunner drückte es deshalb einmal so aus: Der Prominente maßt sich an, jene Rolle zu spielen, die nur dem Ruhm zusteht, indem er ihn durch "Bekanntheit" ersetzt und damit eine Wirkung intendiert, die nur dem Werk zustünde. Darin werden eben jene Aftermechanismen in einer vom Werk losgelösten Eigendynamik wirksam. Denn auch Bekanntheit muß zugeteilt werden. Dies Zuteilung hat die Kraft, eine neue Scheinwelt von vorgeblicher Elite zu schaffen. Weil diese aber aufs Kunstwerk und seine Rolle betrachtet impotent weil zufällig und willkürlich ist, nach nichtkünstlerischen Kriterien gewählt wird, wirkt sie auf die Stimmung eines Volkes (als Sprachraum, als Wirkraum) demoralisierend.

Umgekehrt kann ein solcherart zum Prominentenzirkus umgestalteter künstlerischer Raum eines ganzen Volkes die Künstler austrocknen. Denn er gibt der Kunst selbst ihren Raum nicht mehr. Künstler aber brauchen diesen Raum, als das "hinein", auf das zuarbeiten.* Die Verzweckung im Promi-Betrieb setzt aber die Kriterien der Kleinbürgerlichkeit (mit ihrem primären Wert der gesellschaftlichen Rolle als Zweck) als Urteilskriterien ein.

Damit ziehen sie ein völlig kunstfremde kleinbürgerliche Schichte als "Nachwuchs" an, der nach und nach den gesamten Kunstbetrieb - als ursprünglicher Raum der Kunst - umbaut und sich selbst entfremdet. Er vertreibt die Musen. Er zieht mit einem aus der Figuralität gestärkten Selbst- und Verdängungsbewußtsein die Förder- und Autorisierungsmechanismen auf seine Seite, sodaß auch die Kunstförderung kontraproduktiv wird, zur wirklichen Kunst bestenfalls noch ein Verhältnis der betulichen Ignoranz pflegt. Die eigentlichen Kunstbetriebe als Orte der Kunst - Theater, Verlage, Filmproduktionen, Galerien etc. - verkommen zu Stätten der Pflege kleinbürgerlicher Scheinstimmung.***

Kunst ist immer Dialog, ein "für jemanden". Haben die Künstler - die von sich erst gar nichts wissen - dieses "für jemanden" nicht, oder lassen sie sich täuschen, werden sie auf ihren falschen Ebenen angesprochen, können sie nicht zu sich kommen. Damit können sich ihre Werke nicht zu jener Reife entwickeln, die ihnen möglich wäre. Sie bleiben immer in ihren je neuen Anfängen - als Anläufe - stecken, krümmen sich in sich selbst. Sie erkennen im Theater der Masken ihr dialogisch-dialektisches Gegenüber nicht mehr.

Weil ihnen aber JEDES Wort unendlich zählt, weil nur sie um das Geheimnis der Ewigkeit jedes Wortes wissen, brauchen unter Umständen ihre gesamte Energie und Zeit, um die Scheinköder auszuspeien, mit denen sie laufend gefüttert wurden.**






*Goethe hat einmal deutlich gemacht, daß er Glück hatte. Denn ohne die Kollegenkreise am Anfang, und vor allem dann ohne Schiller (der dasselbe umgekehrt gesagt hat), hätte er sich nie zu dem entwickeln hätte können, was er dann geworden ist. Sie sind aneinander in den Kunstraum der Gesellschaft hineingewachsen indem sie ihn selbst geprägt und geschaffen haben. Denn er war auch damals bereits  schwer deformiert. Aber sie hatten diesen Raum für sich selbst. Nach Schillers Tod hat sich Goethe mehr und mehr völlig zurückgezogen.

**Das ist nicht in jeder Kunstsparte gleich. Besonders schlimm ist es mittlerweile aber bei Schauspiel und Theater. Von der bildenden Kunst ist es dem Verfasser dieser Zeilen ähnlich berichtet worden. Der Literaturbetrieb ist drauf und dran, aber noch will der Verfasser dieser Zeilen an offene Wege und im Kunstbetrieb lebendige Kriterien glauben. Ähnlich wie im Film, wo sich spätestens im Schnitt die Realität als Bote der Wirklichkeit auf erfrischende Weise einmischt, ungeachtet der künstlerischen Begrenztheiten des Films (aufgrund des hohen Realismus des Abbildenden, aber aufgrund der harten Marktmechanismen, denen der Film unterliegt) überhaupt. Film ist vielleicht am besten mit der Architektur vergleichbar - seine Inhalte nähren sich aus den übrigen Künsten, er selbst kann nur zu einer Melodie zusammenstellen. Charlie Chaplin hat sich deshalb zeitlebens gegen die technische Weiterentwicklung des Films ausgesprochen. Wieweit mit dem - aus oben Gesagtem allerdings erklärbaren - Hereindrängen der 3-D-Technik nicht der Film sein endgültiges Ende besiegelt, bleibt abzuwarten. Es ist aber davon auszugehen.

Ein ganz anders Kapitel, das aber das Gesagte beleuchtet, ist die Verleihung der Goldenen Palme in Cannes - zeitgleich zu den Protesten gegen die "Homo-ehe" in Paris wird sie einem Film über das Lesbentum zuerkannt. Das riecht zumindest sehr streng, nach unkünstlerischen Kriterien.Wenn ausgerechnet ein Steven Spielberg das dementiert, so klingt das so glaubwürdig als würde eine Biene den Honig nicht kennen, von dem sie lebt. Spielberg ist ein Meister des willkürlichen Mißbrauchs von Stimmungen.

***In Winterthur in der Schweiz lief im Juni ein Filmfestival, das den österreichischen Film der letzten 20 Jahren in repräsentativen Paradefiguren - Spielmann, Haneke, Schleinzer, Seidl, Albert - zum Inhalt hatte. Es nannte diese Überschau "feel bad cinema". Muß man mehr über Österreich sagen?






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