Dieses Blog durchsuchen

Mittwoch, 24. Juli 2013

Vom Staunen, vom Glück, und von der Universalität

Man übersieht vielleicht gerne die scheinbar nur kleine, aber entscheidende Nuance, spricht man von "Wirklichkeitsoffenheit" und "Staunen" als notwendige Haltung der Welt gegenüber. 

Denn dies bedeutet nicht, daß sich das Ich jeder Gestaltung und Prägung als Selbst enthalten soll oder darf, sich also auflöst, und damit jedem Eindruck hinterherläuft, sich von allem Zufälligen, Begegnenden formen läßt. Es bedeutet auch genau nicht, daß man sich eventuell mit Psychotechniken jeder Verfestigung dieses Selbst entgegenzusetzen hätte, sich immer wieder auflösen müßte. Das würde fundamentale Schwächung der Potenz zu Werk bedeuten, denn jedes Werk ist nur ein solches, wenn es eine Bedeutung hat, also: in sich die Spannung der Beziehung trägt.*
Wer das schöpferische Moment, das nur in diesem Ich liegt, erhalten will, darf das Wesentliche des Menschen, seine Berufung zu einem Selbst (als Persönlichkeit) nicht abwerfen - und das ist, daß er jeden Augenblick eine Stellung zur Welt hat und haben muß. Nicht in der Befreiung vom Gefühl, sondern in seiner Vertiefung ins Eine, in dem alles ist, liegt der Zustand des geistigen Spiegelns.

Wenn etwa Doderer von "Universalität" als Ziel des Künstlers spricht, so meint er deshalb das Gegenteil von "Leere, um für alles offen zu sein". Er meint, daß das Selbst, das geistige Selbst (das aus dem Ich erwächst) als Gestalt des Ich in der Welt, von dem aus der Mensch "zusammengehalten" wird, so weit und tief werden muß, um alles zu enthalten.

Was nun nicht heißt, daß jemand also alle Vielfalt der Welt, alle "Information", die ihm erreichbar ist, in sich aufsaugen muß. Das ist auch gar nicht möglich, denn die Vielfalt der Welt IST tatsächlich ohnendlich. Es heißt nahezu das Gegenteil: Er muß aus der Vielfalt jene Einheit suchen, in immer weitergehender geistiger Arbeit, bis er zu jenem Einen gelangt ist, aus dem die ganze Welt sich baut, und in der sie zusammenläuft.

DANN ist der Geist des Menschen wahrhaft universal. Wenn er zu jener Gedankentiefe und -ruhe kommt, aus der heraus sich die ganze Welt in ihrer Gestalthaftigkeit ergibt. Und gerade von diesem Standpunkt her, der immer persönlich ist, lernt er die Welt so zu sehen, wie sie wirklich ist - nicht, wie sich der, der in der Vielfalt aufgeht, die Vielfalt, das isoliert Vereinzelte für "alles" hält, wie sich dieser also täuschen läßt, weil er das Eine nicht findet, das alles enthält. Jener bleibt also im vordergründigen Zweck gebunden.

Erst aus dieser Einheit heraus erwächst das Staunen auf seine rechte - und, noch einmal, keineswegs indifferente! - Art. Es läßt ihn die Welt als großes Ganzes erfahren, wo in jeder Vielfalt dieselben Vorgänge zu erkennen sind, sodaß er die Welt zu ordnen vermag. Und Werk heißt: Ordnung, nicht Zufall. Es erwächst gerade nicht als Verzicht auf Stellungnahme - die genau die Essenz jedes Künstlers ist! wer nichts zu sagen hat, der kann (und sollte) kein Werk schaffen! - sondern aus der Position der Universalität heraus erfaßt der Mensch erst das, was überhaupt ist - die Wahrheit. Als Elemente, als Stoff seiner Phantasie wird so sein Werk WAHR, und nicht bloß zufällig, wie bei jenem, der sein Selbst auflöst, was ja nur mit einem gegen sich selbst gerichteten Akt der Gewalt möglich ist.

Und darin treffen sich der Dichter, der Künstler, der Weise, der Philosoph, der Priester, der Wissenschaftler (wie er eigentlich zu verstehen wäre), in diesem ihnen allen gleichen Kern und Auftrag zur Universalität. Die sich in diesem Einen in Gott findet. In Ihnen scheint das Licht des Einen durch, in seinen jeweiligen Facetten, je nach Tageszeit und je nach Ort, und reflektiert sich im Werk.

Das ist gemeint, wenn es heißt, daß sich dieser Stand aus der Vielfalt der Welt herauszulösen habe. Nicht, indem er sie verachten lernt, sondern indem er lernt, sie im Verstehen immer mehr ins Ganze Eine zu führen, in seiner Wahrnehmung nicht das Vereinzelte, Zufällige, Vielfältige das ungerührt Wesentliche bleibt. Das würde ihn zersplittern, zerreißen, er würde sich verlieren.

Von diesem Standpunkt aus ist es deshalb auch unwesentlich, ob sich jemand dem heimatlichen Dorf, oder dem globalisierten Weltganzen zuwendet. Er geht immer vom selben Kern und von derselben Universalität aus, und immer findet sich diese Universalität in seinem Werk. Sie ist die eigentliche Arbeit dieses Lebensauftrags, aus welchem heraus er sich nicht in ein Spiel der Figuren binden darf, das ihm das Wahren der Interessen dieser Figur IN diesem Spiel zur Pflicht macht, ihm dabei aber den Blick für "alles" raubt, weil er sich nie aus dem Vielfältigen lösen kann.

Es ist nicht primär (so wenig auch abzutrennen) ein Auftrag zum Schaffen. Das ist allen Menschen in gleicher Weise aufgegeben. Es ist (wie bei allen) der Inhalt der sein Auftrag ist. Und damit der Verzicht auf das Vereinzelte. Er enthält tatsächlich das "Glück in und aus dieser Welt" vor, um ein anderes, neues, geistiges Glück zu suchen.** Genau damit erfüllt er seinen Auftrag den Menschen gegenüber, den auch er hat: Er zeigt ihnen durch sein Werk, das zur Liturgie des Universalen, Einen wird, das, was sie inmitten aller Vielfalt und allen Zwecks, in den die Menschen immer wieder versinken, eigentlich leben macht. Sodaß sie gekräftigt und erneuert wieder in die Welt der Vielfalt gehen können.




*Was hier "offen" genannt wird, ist nichts als die Bereitschaft zum Schmerz, die Furchtlosigkeit, mit der man dem Sinneseindruck entgegensteht. Damit die Bereitschaft, dem Sinneseindruck solches Walten zu erlauben, daß er sich frei entfaltet und DAMIT beurteilt werden kann. Ohne vorgreifendes formales Urteilen, ABER auch ohne diesen Eindruck als solchen ohne Verstandes- bzw. Vernunfturteil zu belassen, das das Erfahrene ja erst zum Begrifflichen und damit zum Teil der einen Weltordnung macht. Und hier spielt der Standpunkt "als was" seine entscheidende Rolle. Wer sein Kind ins Wasser fallen läßt, wird ALS VATER nachspringen, um es zu retten, auch wenn man selbst dabei in Gefahr gerät. Und er wird als Vater anders springen und kämpfen und werten, denn als Fremder, der selber zuhause fünf Kinder hat. Und er wird anders springen und sich einsetzen, als ein Priester oder ein Künstler. Dieses Wertende, Gewichtende kann nur der Verstand im Rahmen eines Selbst sagen. Und das "was" da passiert, hängt von der Bedeutung ab, der Stellung, die die Elemente des Erlebten haben. Ein (gemaltes) Bild "Vater rettet ertrinkendes Kind" ist ein anderes als "Rettung eines Ertrinkenden". 

Der Künstler muß eine (jede) Stellung in sich tragen, nachbilden können, um ein wahres Bild zu malen. Es gibt kein neutrales Geschehen. Aber er muß das Material seiner Darstellung abstrahieren - "abhängen lassen" - können, um die Bedeutungen sehen, die sich erst im Einen ergeben, um überhaupt wahr darstellen zu können: im Nachbilden muß er die jeweiligen Standpunkte kennen, um Bedeutungsgeflechte zu sehen. Und dies kann er nur im inneren Nacherleben des Vielfältigen, ohne aus dem Standpunkt des Einen zu fallen, in dem jede einzelne menschliche Haltung gleichfalls enthalten ist. Es ist deshalb ein falsches Argument (etwa in Fragestellungen um die Lebenskenntnis von Priestern) zu meinen, man müsse alles Vereinzele auch erlebt haben, um es zu kennen: Jede einzelne Erlebenshaltung führt sich auf allgemeinere Haltungen zurück, und (nur) wer zu diesen durchstößt, hat alle. Gleichzeitig hat prinzipiell jeder an diesem Grundeinen teil. Ein reifer Künstler (oder Priester) kann alles nachfühlen. Das Faszinierende an den großen Werken der menschlichen Kultur, ob in Religion (siehe die Bibel) oder in der Kunst (siehe bei Homer, oder Dante's "Divina comedia"), ist ja, daß man in ihnen erkennt, daß die Vielfalt des Lebens sich auf ganz wenige (ja, bis auf eine) Grundhaltungen und -konflikte reduzieren. Das faktische Leben ist wohl komplex, aber nicht aufgelöst kompliziert, wie der denken könnte, der im verworrenen Vielfältigen steckt.

**Es gibt deshalb für genannte Berufskreise nicht die Möglichkeit, sie zu wählen, so wie jemand Tischler oder Greißler wird. Es braucht dazu (so wie in gewisser Weise zu allen anderen Berufen) die dezidierte Berufung. Nur für den Berufenen ist diese Herausgelöstheit möglich und erträglich.




***