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Dienstag, 16. Juli 2013

Wannen das Höhere sich auflöst (1)

Hegel schreibt einmal in seiner Replik auf den Pantheisten Spinoza, der überhaupt keine andere Substanz als Gott sieht, daß das Endliche nur durch ein anderes Endliches begrenzt wird (und damit es selbst wird). Insofern muß es an dieser Berührungslinie dieser beiden ein Gemeinsames geben, eines das beide in einer Art anspricht bzw. von beiden angesprochen wird.

Beziehung auf anderes ist somit Grenze, erst sie hält etwas über dem Nichts (das aber eben nichts ist, auch kein "nichts", kein Sein hat) Deshalb halten alle Dinge einander im Dasein, indem sie einander "das andere" sind. Zu sagen, dieses oder jenes IST, heißt zuvor zu sagen: es ist jenes NICHT.

Ein anderer "Ketzer", Giordano Bruno, für den überhaupt alles Seiende als Sein mit dem einen Sein Gottes direkt zusammenfällt, als Teil des Ganzen, beschreibt einen anderen wichtigen Gedanken: Wenn man sich den Kreis in seinem Radius immer größer und größer vorstellt, so wird die Runde des Kreises eines Moments in eine Gerade überspringen. Das eine stirbt, das andere entsteht. Worin Bruno irrt ist freilich, daß es keinen Übergang vom Kreis zur Geraden gibt. Die Wesensübergänge springen eben, sie gehen nicht ineinander über. Für Bruno's Gedanken ist das gar nicht unwichtig.

Doch ist ein weiterer Gedanke dazu wichtig. Der, daß sich dieser Übergang von einem ins andere in hierarchischen Stufen vollzieht. Nach "oben", und nach "unten", und auf je andere Weise.

Leo Gabriel nennt diese Stufen "Translationsstufen". Sie sind jeweils Vielfalt zu mehr Einheit zusammenfassende Abstraktionen. Von Stufe zu Stufe muß also das Abstraktive, das diese Stufe darstellt, als Allgemeines, das in den unteren Stufen zwar enthalten aber ins je Konkretere, Gestaltnehmendere ausgefaltet ist, enthalten sein. Bis in der höchsten Stufe alles enthalten ist, aber nur noch als geistiges Prinzip. Wie es die Religion dann tut, die das Wesen aller Dinge angeht, aber nur noch dieses Wesensprinzip darstellt und weitergibt. Ebenso ist es mit allen menschlichen Gesellschaften, bis zum König, Kaiser, der das Prinzip eines Reichs, eines Staates verkörpert und am Leben hält.

Als Arbeitsteiligkeit ist dieses Prinzip einfach verständlich: Je differenzierter, spezialisierter die (unteren) Teile sind, desto wesentlicher wird das je höhere, bis zum Zentralprinzip, das alles zu einem Ganzen fügt. Aus diesem Zentrum erhält alles seine Bedeutung. Kultur bedeutet also nichts anderes als das je weitere Ausfalten einerseits, das wiederum nur möglich ist, weil es in ein immer größeres, umfassenderes, "gerechteres" Ganzes eingefügt ist.

Der Weltaufbau versteht sich also hier als komplexere, höhere, einfachere Gestalten, Dinge, dort niedrigere, in ihre Vielfalt sich aufspaltende. Das Verhältnis der Einzelteile zueinander, ihre Bedeutung, bestimmt sich also vertikal aus der Hierarchie. Zerfällt das Zentralprinzip, löst sich alles in Bestandteile anderer Art und Bedeutung auf. Der Mensch als Beispiel zerfällt nach dem Tod, der nur "ein" Tod ist, also nicht der einzelner Teile, in alle möglichen Elemente, die zuvor in einem Fleisch/Leib zu Einem geeint waren. Hierarchie und Teile bedingen einander, bringen aber auch einander hervor. Wobei das je höhere Prinzip das je erstere, wichtigere ist, und je mehr Abstrahiertes als seine Wesensart in sich enthält. Es ist mit den je unteren niemals gleich, es transformiert diese in eine andere Art.

Der Schlüssel der Kommunikation der Ebenen untereinander liegt jeweils in der Grenze, die zwischen ihnen liegt. Denn in dieser - oder: als diese - werden die Dinge transformiert. In den Formenübergängen ist jeweils die niedrigere Gestalt in der höheren (abstrahierter) enthalten, oder umgekehrt, geht die niedrigere aus der höheren (bzw. deren Tod) hervor, aber gleichfalls anders, in anderer Bedeutung.

So ist die Vielfalt der Dinge aufeinander zugeordnet, einerseits, und ist innerhalb dieser Vielfalt hierarchisch gegliedert. All das läßt sich in der gesamten Natur ausgezeichnet beobachten.

Damit ist aber auch klar, daß ein "Überspringen" von Stufen dem Wesen der Dinge zuwider ist. Denn ein (sagen wir) zwei Stufen über einem Ding A befindliches anderes Ding D hat die um zwei Stufen abstrahiertere, transformierte Art von A, aber eine transformierende Grenze zu Ding A selbst nicht. Es braucht die dazwischenliegenden Stufen, um mit Ding A in Kontakt, in derselben Welt und jeweiliger Bedeutungsebene - mit jeweils konkretem Sinn - zu sein. Auch die anorganische Natur, ja das ganze Weltall ist in einer solchen Stufenordnung zueinandergerichtet, baut sich auf - und keine Stufe kann übersprungen werden.

Die Art der Hierarchie, die Weise ihres Wirkens, definiert sich wiederum aus der Wesensart und Bedeutung des Geordneten. Insofern kulminiert es in Papst  und Kaiser (König, Präsident, etc.), als Zueinanderordnung, einem Kreuz vergleichbar. Denn die gesamte irdische Vielfalt, vom Kieselstein über die Steinrose und den Flottelhabicht bis zum Bauern und Bürgermeister und Landeshauptmann, kulminiert im irdischen Prinzip, dem Kaiser. Das jedes dieser Einzelteile und -stufen aber wieder durchpulsende Prinzip, das diese überhaupt erst zu Einzelteilenmacht, ist durch den Papst (in den den Ebenen je zugeordneten Bischöfen, Dechanten, Pfarrer, etc.) verkörpert. Eines kann also das andere nicht ersetzen, keines dieser Geist-Welt-Abstrakta ist weniger wichtig, aber je anders.

Je höher die Stufe, desto mehr wird also das Prinzip eines Organismus als "an sich" bedeutender, und kulminiert in den Vertretern dieser Stufe.

Das, was diesen Wandel, diese Transformation bewirkt, ist nicht in dem einen, und nicht in dem anderen enthalten - es ist also transzendent, es ist ein Drittes, ein Transzendentales. Das, was Heraklith dem Feuer, dem Kampf als Ergebnis zuschrieb. Es ist kein simples "Funktionsprinzip", es ist ein Art-Prinzip: In der Selbsttranszendenz einer Stufe nimmt diese am höheren teil.

Prinzipiell haben je hierarchisch aneinandergrenzende Stufen ein und dieselben Grundstrebungen - in ihrer Aktivität den Austausch mit der oberen Grenze (auch hier aber: in einem Sterben), um am je Höheren teilzuhaben, in seinem Sterben als Verlust der Kraft zum Selbstsein das Absinken zur unteren, auch hier bis zum Tod, der immer ein Tod eben jener Stufe des momentanen Selbstseins ist.

Übertragen wir das ganz naiv (aber als Analogie richtig, weil es ein ähnliches, strukturell gesehen beide erfassendes Geschehen ist) auf die menschliche Gesellschaften, so zeigt sich, daß zwischen dem König und dem Bauern kein Berührungspunkt, keine Artgleichheit (wie oben zu verstehen) besteht. Denn das Menschsein läßt sich ja ohne Begrenztheit genauso wenig denken, es hat immer Gestalt, und es hat immer einen Platz in einer Gesamtordnung, eine Stufe, die es einnimmt - einen Sinn, eine Bedeutung.

Auch umgekehrt wird der Bauer nicht gehoben, indem er Stufen überspringt - und zum Kaiser geht. Er wird an diesem nicht mehr, sondern gar nicht mehr teilhaben können, weil er "entartet", seiner Art nicht gemäß handelt. 

Es braucht somit für den König den Kanzler, der den Minister, der den Beamten, und erst zwischen dem Beamten und dem Bauern besteht wieder jene Übergangsnaht, von der hier die Rede ist. Hier besteht natürlicher Wirkzusammenhang.

Nichts anders ist in der societas perfecta nachgebildet, der vollkommenen menschlichen Gesellschaft. Und zwar vom Papst über die Bischöfe, diese über die Priester, zum Gläubigen, haben erst so alle die Teilhabe an dem einen Ganzen, das in sich jede Stufe zu einem ganzen macht genauso, wie es der weltlichen Stufe einerseits quer steht, anderseits ihr diese Ausprägung ALS Art als Prinzip vermittelt.

Das, was ein Papst, der twittert (oder ständig in der Menge badet) macht, ist also keineswegs päpstliches Wirken. Es ist ein artfremdes seltsames "Etwas", das unruhig bleibt, weil es alle Stufen überspringt. Es fehlt der "Transformationsort", die Grenze - die im "Ritual", im "Zeremoniell" zum liturgischen, tänzerischen Berührungsort wird. Die rituelle, zeremonielle Formel enthält jeweils diesen Transformationsknoten, und entspricht dem Inhalt des Transformierten ("verdaulich gemachten"). In jenem Spiel, wo eins dem anderen begegnet, um sich mitzuteilen, und sich wieder zu entfernen. Ein Spiel hört wieder auf.

Deshalb hat jede Stufe ihre Rituale, in denen sie sich selbst repräsentiert, abstrahiert, zusammenfaßt, und in diesen Ritualen begegnet sie den jeweiligen angrenzenden Stufen, um sich mitzuteilen - in eins zu fügen, eins zu werden.

Inadäquate Stufenbegegnungen stehen damit auch nicht in einer Zueinanderordnung des Höheren zum Niederen - sie stehen in GAR KEINER Zueinanderordnung, das Zentralprinzip wird zu "nichts", löst sich ins Einzelne auf.

Genau so wie ein Präsident, der am Würstelstand sein Abendessen einzunehmen pflegt (will man es nicht als liebenswürdige ansehen, als vereinzelte Sonderheit, die das ja genau deshalb ist, weil es nicht artgemäß ist, was jeder nur solange und deshalb weiß, als das Prinzip sonst stark dargestellt wird.) Er schwächt das Staatsprinzip, reduziert damit den Staatsorganismus auf seine ent-ordneten Restfunktionen, enthebt die Menschen und ihr Tun ihrer Bedeutung, worauf ein Kampf dieser Menschen untereinander einsetzt, weil niemand ohne Stufe, ohne Bedeutung, ohne Sinn ÜBERHAUPT leben kann - die Einheit geht verloren.

Je höher die Stufe, desto reiner stellt sie das grundlegendste, abstrakteste Wesen von allem dar. Ihre Art der Bewegung - das Ritual, das Zeremoniell - stellt alles in seinen Prinzipien dar, was in seinem Organismus lebt, hält es in allen durch deren Teilhabe lebendig, erweckt es gar. Die Auflösung, die Nichtung des Höheren, Ganzen schwächt oder nichtet also das Prinzip der Teile.

Im Versuch, es etwas zu illustrieren: Ein Wasserrohr in einem Atomkraftwerk hat eine andere Bedeutung - obwohl es in beiden Fällen "nur" Rohr ist - als in einem Gartenbrunnen. Das Brunnenrohr kann zwar entfernt, der Brunnen inaktiviert und das Rohr in einem (aktiven) Atomkraftwerk verwendet werden, nicht aber umgekehrt. Seine Bedeutung, das Ritual, in dem damit umgegangen wird, ist in beiden Fällen unterschiedlich. Sie definiert sich aus dem Wirkkreis des Ganzen, in dem es Teil ist.



Teil 2 morgen) Entweder nationalstaatlich - oder gar nicht





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