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Dienstag, 15. Oktober 2013

Der König als Mittler zu Gott

Tief sind die Wurzeln des Ahnens um die Sohnschaft Gottes - und des Menschen Abstammung daraus. Und sie drückt sich in den alten Mythen gleichermaßen aus, im Glauben und Verstehen der Menschen, ja in ihrem ganzen Weltauffassen. Die seit Urzeiten eine tiefe Achtung vor den Mächtigen haben, den Söhnen Gottes, den Göttersöhnen. In deren Nähe zu Gott selbst liegt die Achtung, in der man ihnen begegnet. Ihnen nahe zu sein heißt, an göttlicher Macht teilzuhaben.

Und darin liegt das Geheimnis des Königtums, der Könige. In ihnen war (und ist) noch Priesterschaft und Regententum vereint, weil die Welt nur eine ist, und deshalb ihr sakraler Charakter nicht ein Separatbereich ist, den man hier, ihre weltliche Dimension (die plötzlich überhaupt zu einer solchen geworden ist) dort sieht und respektiert. Denn was der Sohn Gottes macht und tut, es ist Liturgie, in der sich Himmel und Erde vereint. 

Viele Implikationen liegen darin, und noch mehr Fehlentwicklungen. Weil der Mensch Mensch ist. Damit ist auch die Nahtstelle zur Herausentwicklung des Königtums aus der Verfaßtheit der Menschheit als Familie - Sippe geschlossen. Denn in ihr liegt seine ursprüngliche Macht, für jede Familie einerseits gleichermaßen, anders aber in der Stellung dieser Familie zur Mitwelt. (Deshalb war Politik eine Angelegenheit der Männer, was sich auch in ihren ursprünglichen Funktionen, die vor allem militärische Macht hieß, ausdrückt.)

In der Verbindung dieser beiden Elemente liegt das Kriterium für die "Wahl" des Königs, der in Wahrheit bereits vorbestimmt ist. Und man wählt nicht ihn, nicht eine Person, sondern ein Haus. Denn diese Eigenschaft, dieses "Mana" ist vererbt und vererbbar. Übergang der Regentschaft hieß deshalb immer, daß ein Haus in die Königswürde und -stellung hinaufgehoben wird. Wie immer diese Stellung hieß. Aber sogar, wie immer sie ermittelt wurde. Auch die "demokratische Wahl" der Athener mündete in einer Grundhaltung der alsbald ermittelten Führung gegenüber, die sich von der monarchischen in nichts unterscheidet. Niemals hätte ein Mensch weltliche Macht als "von ihm ausgehend" betrachtet, schon gar nicht ein alter Grieche.

Nur bei offensichtlicher Unfähigkeit, bei Verstößen gegen die himmlischen Gebote, die immer auch die menschlichen waren, wurde er abgewählt. (Etwa 751, als die Regentschaft der Franken von den offensichtlich unfähigen, degenerierten Merowingern* auf die Salfranken überging, was in Karl den Großen mündete.) Bei Mißerfolgen, wenn sie in einem Zusammenhang mit dem Willen Gottes gesehen wurden. Kurz: Züge, wie sie in der Auffassung von Königtum und Herrschaft weltweit und zu allen Zeiten gesehen wurden. Und werden, auch heute, bilden dieselben Haltungen die wahre, nur in allen Nebeln dem Blick des Verstandes verschwundene Grundlage unserer Genossenschaften und Staaten. Denn welche Herrschaftsform auch immer, nominell, herrscht und geherrscht hat, sie ruhen auf denselben Grundsätzen und Legitimitätsauffassungen auf, wie etwa Fritz Kern in "Gottesgnadentum und Widerstandsrecht" aufweist.

Das läßt auch das Auseinanderreißen von weltlicher und geistlicher Macht durch Papst Gregor VII. im 11. Jhd. als fatalen Akt erkennen. Denn dadurch erst entstehen zwei institutionelle Körper, die als Institutionen nur noch gegeneinander stehen können. Was sich im Lauf der Geschichte auch so entwickelt hat. Aber hier wird Königtum plötzlich depersonalisiert, und nur noch funktionalisiert. Hier entsteht der "Beamte", hier löst sich die Ordnung der Menschen aus einem personalen Zueinander, aus dem Ordnung hervorgeht, zu einer Ordnung, der irgendein Zueinander dann folgt. Der "homus novus" entsteht, wie bei den Römern (ab dem 2. Jhd. v. Chr.). 

Was nach dem Investiturstreit folgt ist nur noch Ausrollen der Folgen, die durch falsch gestellte Weichen entstanden sind, und der Kirche ihr Hauptproblem - die Ungebrauchtheit, die Langeweile - beschert hat, an dem sie heute erstickt. Aber damit war auch die weltliche Regentschaft in eine nicht mehr abreißende Legitimitätsdiskussion verstrickt, gezwungen, diese zu interpretieren. Denn die monarchische Verfaßtheit der Welt in Frage zu stellen, wäre den Menschen niemals eingefallen. Und es fällt ihnen bis heute nicht ein. Was heute darüber debattiert wird, weil es angeblich anders sei, ist leeres Topfgeklapper. Der Mensch lebt anders, und immer gleich. Nur sein explizites Wissen um die Wirklichkeit ist heute eingeschränkter.

Immer war die Akzeptanz der Königs eine Sache des Volkes, das aus der Befragung göttlicher Zeichen ein Haus erhob, nicht eine Person, aus dem solch ein mächtiger Mann (was ursprünglich vor allem hieß: kampfesstark) als Mittler zu den Allmächten hervorging. Etymologisch läßt sich im Indogermanischen das Wort schon darauf zurückführen: Der Abstämmling, der der dem Herrscherhaus entstammt. Auch wenn diese Haltung immer wieder zum Fetischismus wurde.

Ihm stand das Widerstandsrecht, ja die Widerstandspflicht gegenüber. Es brauchte die Fehlinterpretation des Absolutismus ab dem 17. Jhd., dieses Widerstandsrecht, nach einer langen Geschichte des Kampfes gegen den (alten) Adel, der noch diese Verbindung zur Volksseele entstammte, endgültig zu eliminieren, Macht absolut an die Personen zu binden. Und diese damit zu vergöttlichen, womit die europäische Entwicklung denselben Weg nahm, der in Klein- und Großasien bereits vorgezeichnet war: zur despotischen Massengesellschaft.** Eine Degenerationserscheinung. In der zwangsläufig der (neue) Adel aus zwei Richtungen her - der Selbstlegitimierung wie -rettung - in einem verabsolutierten Standesdünkel versank, und damit seine Existenzberechtigung verspielte.

Daraus aber, aus dieser ursprünglichen Sicht nur verstehbar, hat sich das Geblütsrecht entwickelt, und dieses war schon bei den Germanen nie absolut. Zur Umbildung der Königsherrschaft zur Wahlregentschaft (ab dem 13. Jhd.) kam es, WEIL es (vor allem durch menschliches Versagen) immer wieder absolut gesetzt worden war, ein Herrscher in der Regelung der Nachfolge gegen die innere Wahrheit des Königtums verstieß. Dadurch hat sich - in unseliger Verquickung mit der Entwicklung der Kirche, s.o. - Regentschaft definitiv funktionalisiert, von persönlicher Gnade und Würde getrennt. Die Politik wurde zu einer eigenen Sphäre der Technik, zu einem realen Ding für sich.

Die Mechanismen der Herrschaft aber, die in menschlichen Grundhaltungen wurzelt, die unveränderbar sind, weil die Struktur der Welt wiederspiegeln, haben sich nie verändert. Sie sind nur heute verdunkelt. Mit Grund. Weil sich das Illegitime - der homo novus, der lieber nicht mehr nach dem Recht fragt, mit dem er herrscht, sondern gleich das Recht neu definiert - Raum verschaffen will.



*Man lese den wunderbaren, unterhaltsamen Roman von H. v. Doderer "Die Merowinger", in dem er sie auferstehen läßt.

**Selbst die Entwicklung von Byzanz - zur "hydraulischen Gesellschaft" - , wo die Abstammung realpolitisch keine Rolle mehr spielte, läßt sich so ganz neu begreifen.