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Samstag, 5. Oktober 2013

Entstehungen

Es stimmt keineswegs, daß die Abhängigkeit und Unfreiheit der Bauern eine Frucht der bösen Tat reicher oder mächtiger Herren war. Sosehr das im Einzelfall zutreffen mag, weil die Germanenstämme die römischen Verwaltungsstrukturen (in einem sehr fließenden Übergang) übernahmen, und das hieß, daß (vielfach ehedem römische!) Adelige und Kleriker (als Bildungsstand) in Grundherrschaften kamen, Gerichtsbefugnisse erhielten, zugleich mit Steuer- und Militärpflichten belastet waren. Der König und Kaiser der Franken und bald aller übrigen Germanen, Karl der Große, hat sein Reich dezidiert auf römische Füße gestellt - in Verwaltung wie Verwaltungssprache wie römischer Rechtsprechung wie Reichsidee war er eine Fortführung des Römischen Reichs.

Aber nicht als Gesamterscheinung. Vielmehr entstanden diese - aus jenem. Denn diese Freiheit, die auch Pflichten verlangte - und zwar in Form von Abgaben und Wehrdiensten - war vielen Bauern, die sich von ihrem Land so recht und schlecht ernähren konnten, eine kaum zu tragende Last. Also begaben sie sich oft sehr gerne in "Mundschaft", diese war ihnen eine Erleichterung, eine soziale Verbesserung. Denn fortan waren sie aller dieser Staatspflichten entledigt, und hatten bei Mißernten etwa sogar eine gewisse "Versicherung", daß ihr Gutsherr sie nicht verkommen ließ, weil das in seinem Interesse lag. Im Gleichklang zu Entwicklungen der Militärtechnik gab es deshalb auch zyklische Entwicklungen. 

Im Frühmittelalter gewann der berittene, schwer bewaffnete Ritter zunehmend an Bedeutung. Die Kampftechnik wandelte sich von den Massenheeren der Antike zum Einzelkämpfer. Und das war für viele Bauern kaum noch leistbar. Also entledigten sich viele gerne dieser Pflichten.

Im Spätmittelalter verloren erst durch völlig veränderte Kampftechniken (man denke an die Siege der Schweizer "Paramilitärs" gegen die Habsburger)  dann mit der Einführung der Schußwaffen die Ritter ihre Bedeutung. Die bäuerlichen, noch mehr aber die bürgerlichen Stände (die sich weitgehend aus den bäuerlichen hier, den neuen Beamten-Adelsständen dort entwickelt hatten) gewannen die Oberhand zurück. Im selben Maß, wie Kriegführung sich vom Einzelnen auf eine organisierte Gesellschaft umwandelte, wo der Einzelne kaum Gewicht hatte, die Masse und die Technik zählte.

Aber dies alles in einer regional extrem unterschiedlichen Ausprägung. So unterschiedlich, daß es nicht möglich ist, von "den Bauern" oder "den Adeligen und Grundherren" zu sprechen. Die Quellen und Zeugnisse sind in keinem Fall ausreichende Belege, um zu behaupten, daß es den Bauern gut - oder schlecht ging. Beides, in allergrößter Vielfalt und in kleinsten regionalen Abschnitten unterschiedlichst, kam vor. In den allermeisten Fällen brachte aber recht gewiß das Abtreten der Steuer- und Militärpflichten gegen Verlust der Grundfreiheit erst einmal für die Bauern bzw. Landfreien eine Besserung ihrer Lebensumstände, und zwar besonders, wenn sie sich einem Bischof unterstellten, die sich ihrer üblichen Herkunft gemäß ohnehin meist mehr als weltliche Herren denn als Geistliche verstanden. Eine Stellung, die noch dazu von der über Gutsherrschaft allmählich Übergewicht bekommenden Rechtsprechung (als eigentliches Konstituens von Landesherrschaft) gefördert wurde.

Aber die Rechtlosigkeit, in die sie sich da begeben hatten, wirkte sich mehr und mehr zu ihrem Nachteil aus. Die sprichwörtliche Not der "armen Bauern", die Gleichsetzung von Armut mit Bauernstand im Mittelalter ist dennoch berechtigt. Denn es bleibt eine unbestreitbare Tatsache, daß die Bauern im Mittelalter als die nahezu einzigen produktiven Kräfte wirtschaftlich die gesamte Last der Gesellschaft zu tragen hatten. Welche Personen oder Personengruppen (wie Städte) es "zu etwas bringen" wollte, konnten es nur auf Kosten der Bauern. Und in einer Zeit ununterbrochener Fehden und Kleinkriege, die meist darauf abzielten, den Feind zu erschöpfen, indem man ihm alle Lebensgrundlagen verwüstete - und das hieß: seine Dörfer und Höfe niedermachte, die Bauern tötete und malträtierte - verhieß das für unzählige Einzelfälle unermeßliches Leid. Dazu kamen die Wetterunbill, Überschwemmungen oder Dürre, Hitze oder Kälte, Seuchen und Krankheiten, regelmäßige Mißernten und damit regelmäßig Hungersnöte. Es waren keineswegs Einzelfälle, daß sich die Bauern von Gras, Baumrinde und Wurzeln ernähren mußten, selbst Kannibalismus war häufig.

Und in dieser Phase erst wirkte sich die aus seinen Abhängigkeiten entstandene Rechtlosigkeit so dramatisch aus. Der Bauer wurde allgemein nicht einmal mehr als Stand gewertet, nur noch verachtet. Mehr noch von den Bürgern der Städte fast, als von ihren eigenen Grundherren. Die Bauern selbst entsprachen auch tatsächlich bald diesem Bild, waren vielfach zu Kulturlosigkeit und Roheit herabgesunken.

Daß es bei uns dennoch zu keiner endgültigen Fellachisierung der Bauern kam, wie im Orient, ist - neben dem Christentum, das die Würde des Menschen nie vergessen, immer wieder neu aufgreifen ließ - wohl auch den Resten germanischen Freiheitsbegriffs zuzuschreiben, die mit dem Ausgang des Mittelalters, der Neuzeit wieder zu einer allmählichen Besserstellung der Bauern führten. Die als einstige Freie - tief gefallen waren, aber immer wieder diese Freiheit in neuem Selbstbewußtsein aufleben ließen. Wirklich gebessert freilich hat sich ihre allgemeine Lage erst im 18. Jhd.




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