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Freitag, 27. Dezember 2013

Volkseigenschaft

Weil die jeweiligen Kontrahenten auf der iberischen Halbinsel - die muslimischen Mauren, und die katholischen Spanier - in ihren jahrhundertelangen Kämpfen jeweils Hinterland behielten, hatten sie die Möglichkeit, sich auch nach Niederlagen, die je beide Seiten betroffen hatten, zurückzuziehen und neu zu sammeln. Deshalb mußte der Sieg jenen zufallen, die sich länger als der Feind ihre aggressive Kraft bewahren konnten, schreibt Henri Pirenne.

Besonders aber der Umstand, daß die Mauren die landschaftlich besten Gebiete beherrschten, während sich die Christen in die kargen Wüsten und Bergländern zurückgezogen hatten, stachelte den Kampfesgeist der Spanier je neu an.

Es ist die Verlockung des höherstehenderen Kultur, ihr Glanz und Reichtum, der die Abneigung schürt. Dabei spielte die Religion eine entscheidende Rolle, denn angesichts der Tatsache, daß man dem wahren Gott angehörte, der Feind nicht, war die Tatsache, daß es ihm besser ging, ein andauernder Affront gegen Gott selbst. Mit Rasse hat das alles rein gar nichts zu tun. Wären die Spanier Heiden gewesen, so wären sie mit großer Sicherheit rasch zum neuen Glauben zu bekehren zu gewesen. So aber verquickte sich auf der iberischen Halbinsel Nationalgefühl und Religion auf enge Weise.

Den Spaniern ging es dabei - ein genereller Zug, der seit den ersten Kreuzzügen aufgetreten ist - nicht um die Bekehrung der Muslime. Auch jene Muslime, die sich nach dem Rückzug der Mauren "bekehrt" hatten, ob unter Zwang nur dem Schein nach, oder wirklich ist da gleichgültig, wurden von den Spaniern nicht wirklich geachtet. Nun wurde es wichtig, "altgläubig" zu sein, was zwangsläufig auf eine völkische, rassische Unterscheidung hinauslief. Seit dem ersten Kreuzzug ging es um die Ausrottung oder zumindest Vertreibung des (heidnischen) Feindes. Die strikte Religionsscheidung verhinderte über all die Jahrhunderte jede völkische Vermischung.

Wobei die Spanier den selbst zugefügten Nachteil hatten, der den Mauren immer wieder leichtes Spiel ließ, daß sie gespalten waren, sich die Königreiche Aragon und Kastilien auch noch untereinander schwere Kämpfe lieferten. Erst durch die Anstrengungen des Papstes vereinten die christlichen Iberer ihre Kräfte, und drängten ab 1212 (bei Navas de Tolosa) die Mauren in die Defensive, brachen endgültig ihren Widerstand.

Und unter dem Banner des Glaubenskampfes wurde alle persönliche Gier, alle Ausplünderung und Brandschatzung feindlicher Güter gerechtfertigt, die sich ununterscheidbar unter edlere Motive mischten. Roheste Instinke werden so freigelegt, ohne daß sich das religiöse Gewissen darüber beunruhigt. Der "Heilige Krieg" der Spanier wurde zum Deckmantel persönlicher und realer Gewinnsucht und Neid. Aber noch bis ins 17. Jhd. hinein hatten spanischen Soldaten den Ruf größter Kampfstärke.

So erhielt der spanische Katholizismus im Mittelalter seinen unerbittlichen und oft auch fanatischen Zug, schreibt Pirenne, prägte in dieser Eigenart den Volkscharakter. Und nicht zuletzt in diesen Mentalitätswurzeln gründet die Kraft, mit der 1812 nicht Rußland sondern Spanien Napoleon erstmals nachhaltig besiegte. Der Niedergang des Korsen nahm in Spanien, nicht in Rußland, seinen Anfang. In seiner Niederlage auf der iberischen Halbinsel, die erstmals in der Weltgeschichte einen Partisanenkrieg, den bewaffneten Kampf eines ganzen Volkes gegen einen Invasoren, geboren hatte.

Dabei war es vor allem Kastilien, das diesen wahren spanischen Charakter repräsentierte. Von dort auch gingen jene Legenden (Rolandssagen!) aus, die sich in ganz Europa verbreiteten. Aragonien war immer mehr am Mittelmeer orientiert, und über dieses an Europa und am Handel mit der Levante, Katalonien ging mit dem reichen Handelshafen Barcelona sowieso seinen eigenen Weg, und Portugal richtete sich nach Westen, trug den Religionskrieg selbständig weiter, nach Marokko, und immer südlicher. Aber vorerst konnte sich dank dieser neuerlich aufgebrochenen Konfliktlage der schwache maurische Rest in Granada noch halten.






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