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Dienstag, 10. Dezember 2013

Wie Geist sich ausdrückt

Ausdruck ist Offenbarung. Im Endlichen besagt er immer, daß ein Höheres sein Wesen auswirkt, indem es sich eines Niederen bedient, ohne die Eigenwirkung des letzteren anzutasten. Beispiel sei uns wieder das menschliche Wort. Es gelten physikalische Gesetze in dem rein physikalischen Sein der Klänge, innerhalb des "Wortleibes"; diese physikalischen Geschehnisse haben ihre eigene strenge Gesetzlichkeit Und doch tritt in ebendiesen ungestörten physikalischen Geschehnissen die höhere Wirkung des Geistes nach außen. 

Was im Geiste geschieht, gibt letztlich den physikalischen Geschehnissen den Sinn. Ohne diese zu stören und kausal zu beeinflussen! (Und ohne daß Sinn schlichtweg "hinzugedacht" wird, weil er sonst keine Realität hätte; Sinn ist im physikalischen Geschehen vorhanden, umgreift es, stellt es in eine geistige Ordnung; Anm.) 

Denn die physikalischen Gesetze sind ebensogut erfüllt bei einer sinnlosen wie bei einer sinnvollen Klangfolge. Das geistige Geschehen läßt das physikalische Geschehen (kausal) unangetastet; und gerade in dieser Symbiose bekommt das Geistige die Weise seines Wirkens, seines "Aus-sich-Heraustretens" - seinen Ausdruck, der also mit dem "Erzeugen" der physikalischen Geschehnisse durch geistige Akte nichts zu tun hat. 

Man kann sagen: Ausdruck besteht, wo ein höheres Sein dergestalt in einem niederen lebt, daß das "Niedere" die Weise bestimmt, nach welcher das "Höhere" sein Wesen nach a8ußen auswirkt. Das Wirken des Geistes tritt mit dem Wirken des Physikalischen im Worte nach außen. Ausdruck: Aufprägung des Lebensgesetzes des Höheren auf ein unter im Seiendes, ohne daß die spezifische Eigentätigkeit des letzteren angetastet wird.


Hans-Eduard Hengstenberg in "Der Leib und die letzten Dinge"



Geist ordnet also physikalisches Geschehen, er gibt ihm das Sinngefüge, das etwa einer Bewegungsenergie auf einen Körper gewandt seine Richtung gibt. Keinerlei Eigengesetzlichkeit ist dabei verletzt - aber das Sinngefüge, in dem sie sich wirken, ist bestimmt, und somit das Niedere "in Dienst genommen." Aber noch mehr: Dadurch wird die Materie "entkörperlicht", d. h. dem rein "innerweltlich körperlichen" entrissen. Sie kommt zum Strahlen (und nun nicht nur im mikrophysikalischen Sinn!) - wie das Wort strahlt, wenn es einem Edlen, Hohen Ausdruck gibt! Im Dienen vollendet sich das Dienende zu sich selbst.*

Das ist gemeint, wenn von "Selbstbesitz" des Menschen gesprochen wird: Er meint das Eingliedern aller "materialen" Elemente und Teile in eine ich-bestimmte Ordnung. Solange der Mensch dem zufällig Begegnenden unterworfen ist, kann er sein innerstes Ich (in der Antwort auf das Begegnende) nicht im eigenen Leib zum Ausdruck bringen. Gleichzeitig ist diese Ausdruckhaftigkeit (etwa im Handeln, und insofern handelt der Mensch immer) nicht ohne Begegnung zu denken, weil es kein Atom gibt, das sich nicht "in Bezug auf" etwas anderes definiert. Aber beherrscht das Eintreffende, Begegnende den Leib, so ist der "Ausdruck" Folge fremden Sinns. Wo wir in Abhängigkeitsbeziehungen stehen, also nicht Sinn setzen, sind wir des Ausdrucks beraubt - in eben dem Maße als die Abhängigkeit uns beherrscht.** (Im Antworten auf den Sinnbezug ist menschliche Willens-Willkür ausgegrenzt.)

Der Mensch ist Ich im freien (geistbestimmten) Antworten auf das immer vorgängige Du. Es sind nicht die autonomen einzelnen Teile, die die Sinn-Richtung vorgeben, während der Sinn die physisch-physikalische Natur der einzelnen Teile zu ihrer höchsten Möglichkeit im Dienst am Sinn führt. Es ist die zentrale Antwort auf dieses Du.



*Nicht das Material ist Ausdruck des Künstlers, sondern Medium seines Sinn-Ausdrucks im gesamten Kunstwerk. Das Material kann er in seiner Eigengesetzlichkeit nur verwenden. Der Sänger schafft nicht den Ton, sondern bedient sich des hervorgebrachten, damit verwendeten Tones, der durch das Sinngefüge, in dem er steht, sinnlich strahlt.

**Das unterscheidet auch die Hörigkeit vom Gehorsam, der ein freier Akt gegenüber der Ordnung im Sinn ist. Beide "folgen", aber nur einer gehorcht. Der Hörige fügt sich (übrigens: aus fehlgeleiteter Zwecküberlegung), aber er gehorcht nicht. Anders der Wahnsinnige, der einem fehlgeleiteten Sinn gehorcht.



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