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Freitag, 10. Januar 2014

Marginale Gemeinkosten unserer Lebensweise

Schon vor einem Jahrzehnt war der Verfasser dieser Zeilen als Controller und Quality Assurance Manager bei einem Hersteller von Produkten beschäftigt, die man im Alltag kaum wahrnimmt. Die aber Milliardenumsätze zu einer Zeit liefert, wo solche schlichten Basisprodukte in einem scheinbaren Widerspruch zur Hochtechnisierung und Virtualisierung des Geschäftslebens stehen: mit einer hauchdünnen Silikonmischung beschichtete Papiere, die chemisch fein abgestimmt auf die vielfältigen Kleberzusammensetzungen und Abzugsnotwendigkeiten der Etiketten diese tragen, um dann abgezogen und entsorgt zu werden.

Ähnliches gilt von der Beschichtung des Papiers der Etikette selbst mit thermisch reaktiven Substanzen, um die Druckverfahren, die in großem Stil vom Tintenauftrag auf ein Einbrennen übergegangen sind, zu ermöglichen.

Beides: Reine Wegwerfprodukte, deren Kostenanteil sich in der Herstellung pro Stück oft im Milli-Cent-Bereich bewegt, die aber durch die so weitgehende Umstellung auf Aufklebeprodukte - man denke nur an die Post, an die rasende Zunahme der Bedeutung von Etiketten* in allen Lebensbereichen, die man auf den ersten Blick gar nicht wahrnahm - einen Boom erleben. Beschichtung von Papier (und die Herstellung von Etiketten) ist ein äußerst florierender und riesiger Produktionsbereich geworden.

Einen ähnlichen Boom erleben die Hersteller von schlichten Pappkartons, die Welt berichtet darüber. Auch hier geht es ja nicht einfach um Kartonerzeugung (mit dem "Gewinner" Wellpappe), sondern um Anpassung an die Verwendungen durch Beschichtung, Konsistenz und Falttechnik. Die enorme Zunahme des Versandhandels (über Internet ausgelöst) hat den Bedarf nach Versandkartons** nämlich explodieren lassen. In ganz Europa werden Produktionskapazitäten erweitert, neue Fabriken gebaut. Ein Zusammenhang, an den man nicht gleich denken würde. 18.000 Mitarbeiter beschäftigt diese Branche.

Schon erzählt hat der Verfasser über sein Staunen, mit dem er eine Aussage eines Papierproduzenten aufnahm, der bei einer der in der Schulzeit noch erlebten Exkursion in eine Fabrik meinte, daß Papier und Fahrzeugindustrie leicht gegenläufige Zyklen, aber direkte Abhängigkeit hätten. Jedes (!) Auto benötige bzw. verschleiße, bis es den Verkaufsraum erreicht 100 Kilogramm Papier. Auch an solche Zusammenhänge denkt man nicht. Erlebt die Autoindustrie Einbrüche oder Höhenflüge, so segelt in ihrem Schatten, zeitlich leicht versetzt (Entwicklung!), die Papierbranche.

Und die wirkt sich direkt auf das Holz (oder, wie beim Bambus bzw. zellulosetragenden Holzadäquaten) weltweit aus. Denn das europäische Papier besteht aus Kostengründen bereits zu hohen Anteilen aus Zelluloseplantagen etwa in Afrika.

Wie man diese Umstände, reine Fakten, bewertet, steht freilich auf einem ganz anderen Blatt Papier geschrieben. Als Faktor, der im Produktendpreis kaum eine Rolle spielt, der in der Kalkulation so gering ist, daß er summarisch meist nur unter die prozentual ohnehin niedrigen "Materialgemeinkosten" fällt. Der alleine bei Karton sich in der Herstellung bereits auf 5 Milliarden Euro Umsatz kumuliert, in Deutschland, bei jährlichen Zuwachsraten von 15-20 %. Der sehr reale und handfeste Auswirkungen hat, die kaum direkt mit dem Produkt, viel aber mit der Art es zu handhaben zu tun haben.



*Ein schönes Beispiel übrigens für die direkte Wirklichkeit rein geistiger Grundzüge einer Zeit. In einer Zeit, wo die persönliche Wahrnehmung immer weniger Rolle spielt, wird - rein faktisch - die Etikettierung von allem und jedem immer bedeutender. Denn die Erkenntnis der Dinge geht hier nicht mehr über die sinnliche Erkenntnis, die im Ding, im Objekt, im Produkt selbst liegt, sondern über seine verbale Beschriftung.

**Hier Analogieschlüsse zur Veränderung des Umgangs mit den Dingen zu ziehen sei dem Leser überlassen. Denn sie sind zahlreich. 




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