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Montag, 27. Januar 2014

Wieviel ein Staat wert ist (1)

Daß eine Bilanz keineswegs das "tatsächliche" Wertgefüge eines Unternehmens oder einer Institution, die unternehmerisch geführt wird, darstellt, mag den Laien überraschen, ist aber eine der spannendsten Fragen des praktischen Wirtschaftens. Wie hoch der tatsächliche Wert von Anlagen, Aktiven, Forderungen oder auch Verbindlichkeiten oder zukünftigen Verbindlichkeiten liegt, ist aber immer eine Frage von Einschätzungen vor allem künftiger Entwicklungen. Und eines der problematischesten Kriterien unternehmerischer Verantwortung. Der Verfasser dieser Zeilen hatte selbst viele Jahre mit solchen Fragen zu tun.

Ob eine Forderung dies oder das noch wert ist, ob nicht diese 300 Stunden, die Mitarbeiter damit verbracht haben, über die Papiervorräte im Hof ein Dach zu basteln, nicht doch eine Investition darstellen - also keine gewinnmindernden Kosten - weil das Dach ja nun steht, und wie viel es dann wert ist (Verkaufs- oder Einkaufspreise?), ob Rückstellungen für mögliche schlagendwerdende Risken aufgelöst oder erhöht werden müssen. Und nicht erst ein unternehmen hat seine Bilanz "gerettet", nicht erst ein Unternehmer sich den Kadi erspart, weil Produktion auf Lager, entsprechend bewertet, Aktiva geschaffen haben. Und nicht erst ein Politiker hat seine Karriere gerettet, weil er sich auf Bewertungen beziehen konnte die seinen Entscheidungen zugrundelagen, die "anzuerkennen" waren, weil von "Fachleuten" erstellt. Die es ja "wissen müssen".

Wer mit Bilanzen je zu tun hatte weiß, wie umfangreich und komplex das Gebiet ist, wo eins mit dem anderen zusammenhängt. Weil es sohin ein alles andere als mit mathematischer Präzision zu ermessendes Land ist, kann sich ein Gesamtbild ergeben, das wiewohl im Einzelnen scheinbar präzise und verantwortlich erstellt, im Ganzen völlig falsch liegt. Wie überall gilt auch hier: Mit nichts läßt sich so schön lügen, wie mit "Fakten".

Vor allem wenn die Frage um Überschuldung auftaucht, wenn also die Passiva die Aktiva überwiegen, wird diese Bewertungstätigkeit wichtig und entscheidend weil zukunftsabhängig. Und das ist nicht einmal einfach eine Frage von "Gewinn oder Verlust" in den eigentlichen Unternehmenszwecken, dem Agieren auf den Märkten. Nicht selten agieren Unternehmen operativ mit Erfolg, krepieren aber an falschen Einschätzungen von Werten.

Es wird unter anderem transparent, wenn es darum geht in Zeitungen zu lesen, wieviele Millionen oder Milliarden jemand als "Vermögen" besitzt. Das Beispiel des argentinischen  Milliardärs Battista, der binnen weniger Monate von einem der reichsten Männer der Welt bestenfalls noch zum Millionär absank, hat im Vorjahr ja die Runde gemacht. Eine Veränderung der Bewertungskriterien hat plötzlich ergeben, daß seine Milliarden gar keine mehr waren. Und wenn kein Mensch plötzlich noch Windows verwendet, und das Internet plötzlich auf das reduziert wird was es ist, sein normenbildender Mythos zusammenbricht, wird sich auch die Frage nach den Phantastilliarden eines Bill Gates rasch erübrigt haben. Vermutlich hat er ohnehin längst in Kohlekraftwerke und Tamponhersteller investiert.

Darum ging auch jüngst der öffentliche Streit um die ominösen 20 oder 40 Milliarden, die "plötzlich" dem österreichischen Bundesbudget fehlten. Daraus, wie es etliche Zeitungen machten, einen typischen und weiteren Fall von unglaublicher Dummheit der Politiker zu konstruieren, zeigt nur die Ahnungslosigkeit der Journaille, ohnehin eines der größten Probleme der Gegenwart. 

Es hat eben tatsächlich mit Fragen der Einschätzung künftiger Entwicklungen und damit von Potenzen einerseits, deren Aktivierungskraft anderseits zu tun, ob ein Kredit (um ein Beispiel zu nennen) rückzahlbar ist (oder sein wird, wichtig für Finanzierbarkeitsfragen), in gewisser Weise also lediglich Liquiditätsmittel ist, das mit gut oder schlecht wirtschaften nicht primär etwas zu tun hat, oder ein Risiko hinsichtlich einer Überschuldung darstellt. Die sich in der Zukunft als Belastung des Wirtschaftens herausstellt, und in Unternehmen Erträge schmälert, oder in Staatsbudgets weitere Steuern (oder Einsparungen) notwendig macht. Falsch zu bewerten ist deshalb eine Kernfrage bei Firmenzusammenbrüchen, und die Antwort darauf entscheidet, ob verantwortungsvoll, fahrlässig, oder betrügerisch gehandelt wurde.

Wenn also wie derzeit beklagt wird, daß Banken Unternehmen nur mehr sehr zögerlich Kredite geben, weil äußerst vorsichtig sind, so kann das sehr viel anzeigen. Nicht nur "unsichere Rahmenbedingungen". Es kann vielmehr eine Schwäche im Erkennen von Wirklichkeiten bedeuten, auf beiden Seiten, Banken wie Unternehmern. Fehlt nämlich der transzendente Bezug im Urteil, wird Wirklichkeit (weil auf einen einschränkenden Realitätsbegriff verkürzt) verkannt, ergibt sich Bewertungsunfähigkeit automatisch. Dazu noch unten. Banken "zwingen" zu wollen, Kredite zu vergeben (indem man die Einlagen negativ verzinst, wie jüngst vorgeschlagen), ist damit ein seltsamer Verstoß gegen das Prinzip der Verantwortung, weil man etwa Bewertungsmaßstäbe durch bilanzielle Zwänge auszuschalten sucht. In der Hoffnung auf eine weitere selbsterfüllende Prophezeiung, die politische Handlungen ohnehin schon so dominieren.

Daraus, übrigens, erschließt sich auch die enorme reale Bedeutung von "Ratings". Denn das mag sich ja der eine oder andere schon gefragt haben, was diese Haltungsnoten der Ratingagenturen überhaupt für einen Wert haben, außer den Vitrinen der Politik Pokale zuzusprechen, oder abzuerkennen. Nein, sie haben immense praktische Bedeutung in einem Wirtschafts- und Staatsgefüge, das in so hohem Ausmaß wie heute kredit- und damit anlagenbasiert ist. Die meist nur diskutierte Frage um Zinshöhen ist fast ein Nebenschauplatz, selbst nur mehr Ausdruck von Bewertungsfragen.




Morgen Teil 2) Wie man Goldvorräte vervielfacht - am Beispiel Schweiz






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