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Sonntag, 9. Februar 2014

Irrationalität der Moderne

Vernunft, schreibt Eric Voegelin in "Das Drama des Menschseins", ist an erster Stelle das Bewußtsein, von einem Grund der Existenz her zu existieren. Vernunft ist also ein Inhalt, der äußerst wichtig ist.

Das Ausharren zu diesem Grund ist das, was als humane Leistung bezeichnet werden kann - als existentielle Tugend. Und dieses beharrliche Suchen des Bezugs des Vielen zu diesem Grund (als Inhalt) ist das, was man mit Weisheit bezeichnet.

Entfernt man diesen Inhalt, etwa gar indem die Frage nach dem Grund ausgeklammert wird, was ja möglich ist, so wird die Vernunft leer, zu einem bloßen Instrument der Handhabung weltimmanenter Dinge. Das einzelne Fragen wird zu einem grundlosen Fragen (im wahrsten Sinn), der Blickpunkt, unter dem die Beziehungen der Dinge untersucht werden, wird zufällig und vor allem: er wird irrational, willkürlich. Das führt im Fortlaufe der Zeit zu einem völlig chaotischen Fragen, das immer weniger Inhalt und Antwort enthält.

Oder man nützt eine der zahlreichen Möglichkeiten, diesen Grundinhalt durch andere Inhalte zu ersetzen. Diese aber werden damit zu bloßen "-ismen", zu Ideologien, die nur so lange und so weit tragen, als die Grundprämissen eingehalten werden, von denen aus die Beziehungen zu den Dingen konstruiert werden. 

Fehlt aber die reale Beziehung des Grundes zu den Dingen der Welt, so ist auch die Welt zwangsläufig nicht mehr vernünftig. Weshalb der Grund - als Ursprung - zur (bald fanatischen) Kernfrage aller solcher Vernünftigkeit wird, die keine andere Antwort neben sich erträgt. Sie wird irrational, die Wirklichkeit wird zur potentiellen Bedrohung, und alle, die sie vertreten oder verkünden (wie die Kirche, die ja nicht nur über die Menschen, sondern in ihrer Existenz in der Polarität zu ihrer Potenz alleine die wirkliche Wirklichkeit vertritt), zu Bedrohenden.*

So, wie die Moderne seit dem 18. Jhd. zwar "rationalistisch", aber zutiefst irrational wurde, weil sie den Grund auszuklammern begann. Ja, sie wurde zwangsläufig im Maß ihrer Unvernünftigkeit "rational", weil die Widersprüche aus der Grundlosigkeit heraus mit der (historisch zwangsläufig zunehmenden) Quantität der Dinge gleichfalls zunehmen.

Weil somit der Grund die Vernunft konstituiert, ist die menschliche Vernunft auch durch ihre Art die Struktur des existierenden Menschen selbst. Und darin die Struktur einer Gesellschaft. Denn nur aus der Teilhabe (wie Aufrechthaltung) an einer einzigen bzw. vom selben Grund her bestimmten Vernunft kann sich Gemeinschaft bilden. Als Quantität von Menschen, die in ihrer Qualität zueinander vom Grund und seinen Forderungen her bestimmt sind wie sich bestimmen lassen.

Das begründet damit ihre Ethik - der gemeinsame nous, die gemeinsame Vernunft. In der sich alle von derselben Art sehen, denselben Bezügen ausgesetzt und unterworfen. Deshalb kann es nur auf dieser Ebene eine gemeinsame Ethik geben, weil Ethik dieser Vernunft entspringt. Die nicht willkürlich (nach bestimmten Glücksvorstellungen etwa) postulierbar, ausrufbar ist, sondern der alle beitreten müssen, und die ihr Einigungspotential nicht in Zwecken, sondern in ihrer Fähigkeit erweist, die Weltbeziehungen erschöpfend zu begründen. Sodaß das Gemeinweisen allen gleichermaßen zum Gedeihen wird.

Hat aber eine Gesellschaftsform, ein Staat etwa, diese gemeinsame Vernunft als Bezug zu einem Grund NICHT, so kann in ihm nicht die alles Zusammenleben tragende Liebe entstehen. Nur sie läßt Zusammenhalt zu. Deshalb muß das Handeln eines Staates - die Politik - sich auf das beschränken, was diese Gemeinsamkeit fördert bzw. ihr entspricht. Seine Politik kann nur so weit stark sein, als sie sich auf der Grundlage des gemeinsamen Grundes bewegt.

Das muß er durch seine Institutionen auch vertreten, genauso wie es die Kirche tun muß: Sie müssen die einende Lehre vertreten und verkünden und den Grund in Symbolen und im Kult zugängig machen weil lebendig halten**. Denn Menschen unterschiedlichen Grundes wissen im Gespräch miteinander mit der Zeit nicht mehr, wovon der andere überhaupt spricht, und eine Gesellschaft bricht zwangsläufig auseinander.

Voegelin sieht wie Aristoteles und Heraklith dabei klar, daß es nur unter transzendentem Bezug auf Gott (das Sein als Ursprung von allem, das IST) hin Gemeinschaft und Würde des Menschen gibt. Nur wenn Geist als Schatten Gottes (in Ähnlichung) gesehen wird, kann es zur Einung weil zur Harmonie und Ausgewogenheit kommen.




*Jeder Totalitarismus ist vom äußeren Zwang gekennzeichnet, einen bestimmten Grund vorzuschreiben, der sonst nicht von allen akzeptiert würde, weil er nicht aus sich heraus die Potenz hat, die Vielfalt der Welt widerspruchsfrei in der Vernunft zu einen. Insofern ist Totalitarismus von Autoritarismus zu unterscheiden. Letzterer setzt zwar einen Grund (und damit eine Art der Vernunft) bindend, aber er beschränkt sich darauf als Doktrine offiziellen Handelns und der Gesetze. Er beschränkt anders gelagerte Vernunfthandlungen in ihrer Offiziösität, verlangt aber nicht das je innere Beitreten, und er läßt deshalb etwa Ausreise zu. Er kann also nicht "gemeinsame Werte" verlangen, er kann aber bestimmte Verhaltens- und Vernunftweisen vorschreiben. Wenn er auch auf lange Sicht nur Bestand haben wird, wenn er sich (wieder) in dem einen Grund eint. Deshalb hat Voegelin den Ständestaat unter Dollfuß unterstützt, weil in Zeiten - was damals von innen (Sozialisten) wie von außen (Deutschland bzw. Nationalsozialismus) gegeben war - drohenden Zerfalls kann ein autoritärer Staat notwendig sein.

**Einen Staat ohne Symbole kann es deshalb gar nicht geben, er wäre eine Mißgeburt, die nicht lebensfähig ist. Genauso wenig wie es eine Kirche ohne priesterlichen Kult geben kann.





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