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Freitag, 28. Februar 2014

Vom Vernichten von Werten (1)

Der Wende folgte die Deindustrialisierung der DDR, die geplante Versenkung einer ganzen Volkswirtschaft mit 15 Mio. Bürgern. Hunderte Milliarden an Kapital wurden vernichtet. Hauptursache: Der populistische Währungswechsel, der die inneren Wertverhältnisse für Konsumenten ausglich, für die Wirtschaft aber zur Katastrophe machte, weil sie einer unmöglich zu tragende Erhöhung der Kosten (man denke nur an die Löhne, an Kredite) um 400 % bedeutete. Denn die Ostwirtschaft stand vor dem Konkurs. Aber anstatt zu sanieren, wurde demontiert, das positive Wirtschaftskapital geplündert, Konkurrenz beseitigt - es blieben den Westunternehmern bloße Konsumenten, bloße Nachfrage. Niemand schien ernsthaft überlegt zu haben, was eine Währungsparität für die Nachfrageseite von 1:1, hinter der wirkliche Produktivverhältnisse von 4:1 standen, auslösen würde. Der Ertragswert der Unternehmen fiel gegen Null, und auf diesen Wert fällt die nun unbewirtschaftete Substanz.

Eine der schlimmsten Auswirkungen: Man brach das letzte Selbstbewußtsein eines Volkes, und fast notwendig drängte man das (berechtigte) Empfinden erlittenen Unrechts, die notwendige Selbstrettung im Stolz, zur brisanten, schwelenden, und irgendwann auflodernden Dolchstoßlegende ab. Jeder vierte Bürger der ehemaligen DDR sieht sich heute als Verlierer der Wiedervereinigung. 85 % der ehemaligen DDR-Betriebe sind heute in der Hand westdeutscher oder ausländischer 'Eigentümer. Ob man aber wirklich von "Plünderland" sprechen muß (wie dieser Film) wagt der Verfasser dieser Zeilen zu bezweifeln, so sehr Plünderung im Einzelfall vorgekommen sein mag. Dazu hat er einfach zu viel gesehen und erlebt, wie die wirklichen Vorgänge in ihrer Komplexität aufgrund einer gerade im Krisenfall direkt aufbrechenden Ambivalnz der Dinge, über die schon alleine oft zu sprechen schwierig oder unmöglich ist, ganz anders liegen, als es für viele aussieht.

Verschwörungstheorien haben den eklatanten Mangel, daß sie so gut wie immer eine schwierig zu durchdringende, weil einfach nicht so einfach eindeutig zu erklärende Sachlage, über ein erklärungsleisten scheren, der scheinbar viel erklärt, und doch völlig falsch liegt. Meist, weil schon im Grundansatz fundamentale Denkfehler begangen werden. Vor allem aber, wie der Verfasser dieser Zeilen immer wieder beobachtet hat, werden sie so gut wie immer von Menschen vertreten, die genau von dem Gebiet, über das sie auf diese Weise denken, Wirklichkeiten mangels existentieller Erfahrung nicht kennen. Man nehme nur die Situation, in der Liquiditätserhalt zur leitenden Maxime werden muß, eine Situation, die vorübergehend passieren kann und vorübergehend bleiben muß - wehe aber, wenn sie zur Dauer wird.

Nicht zuletzt drückt sich darin die tatsächlich bedenkliche Situation aus, in der unsere Länder furchtbar bereits leiden: Mangel an wirklicher Führungserfahrung. Denn erst dabei wird die erwähnte Ambivalenz oft in aller Wucht und "Unlösbarkeit" erfahren. Es gibt etwa Lagen, in denen nicht mehr zu entscheiden ist, was das "Bessere" innerhalb von "Gutem" ist, sondern nur noch das "weniger Falsche" gesucht werden kann. Eine Lage, in der die wirkende Kraft von Information zum existentiellen Problem aufsteigen kann.

Man nehme ein Beispiel: Goldfanatiker, die im Grunde dieser Klientel der Verschwörungstheoretiker angehören, nur "gesundvernünftelt" werden, auch von Journalisten, haben dasselbe Wirklichkeitsproblem wie die Macher obvernetzten Hör-Videos (das durchaus interessant ist), sie begreifen deshalb nicht die Relativität von "Wert", sondern fliehen ins Irrationale, die einfach behauptete Ursache.

Aber es ist unter Umständen bis zum Gegenteil falsch, was Untersuchungen im Detail erbringen zur Beurteilung eines umfassenden Geschehens heranzuziehen. Die Motivlage ist oft recht komplex, und wo im Einzelfall - man nehme die Bankenübernahmen, die für sich betrachtet wie riesige Geschenke an Westbanken aussehen - Seltsames geschehen scheint, muß man auch annehmen, daß die Gesamtlage in den Verhandlungen zwischen Treuhand und Banken zahlreiche andere Faktoren ins Kalkül zu ziehen hatte. Wie Theo Waigel es sagt: "Wir haben doch nichts verschenkt! Aber wir brauchten auch die Banken."

Denn so seltsam es auch für manche klingen mag - selbst, wenn man einräumt, daß findige Köpfe Vermögen ergaunert haben, selbst wenn man (was sogar hohe Wahrscheinlichkeit hat), daß ehemalige Führungsgrößen der DDR ihr Schäflein aufs Trockene gebracht haben, hat die Logik, die in der "Abwicklung der DDR" ablief und sich so katastrophal auswirkte, nichts von prinzipiellem Betrug - wenn auch möglicherweise von grundsätzlich falschem Denkansatz - an sich, das glaubt der Verfasser dieser Zeilen nicht.

Sondern ist seiner Erfahrung nach die Auswirkung realistischen Geschehens und Bewertungsverfahrens, die so wesentlich von Perspektiven abhängt. Man erlebt es auch im Westen etwa im Falle von Unternehmenskonkursen. Damit ist auch verbunden, daß schon ein Wechsel des Eigentümers den Wert einer Anlage, eines Organismus, eines Betriebes maßgeblich verändern kann, obwohl sich - haptisch, sichtbar - nichts verändert zu haben scheint.

Wobei ein Dilemma gleichfalls unlösbar bleibt, und auch bleiben muß, das ist ein Gesetz des realen Lebens: Die oft so persönlichen Schwächen von Führungskräften. Aber wo wäre die Alternative? In der lächerlichen Forderunge nach "Transparenz", als wäre dann die Reinheit von politischen Entscheidungen erzielbar? Oder mit einer Beteiligung aller an allen Entscheidungen? Wer so denkt, hat ... keine Ahnung vom Tuten und Blasen, mit Verlaub. Wir müssen einfach mit der Fehlerhaftigkeit von Menschen und auch mit deren Fähigkeit zum moralischen Versagen leben, und neu leben lernen. Mit Sorge muß man den Aberglauben beobachten, der wächst und wächst, es gäbe so etwas wie eine perfekte Gesellschaft und eine perfekte politische Führung, was alles auf einer völligen Selbstüberschätzung beruht, auf einer unendlichen Überschätzung dessen, wozu menschlicher Geist fähig ist. Im Guten, wie auch dabei, eine "Verschwörung" durchzuziehen. Was im Einzelfall immer höchstes Ziel bleiben muß, ist im Ganzen einfach als Spannung zu ertragen, um eines höheren Gutes willen.

Das führt auch zur Fehleinschätzung, es bräuche für eine Gesellschaftsreform "große Maßnahmen". Die Erfahrung lehrt vielmehr, daß das Versagen - oder auch das Gute - im Kleinen und Kleinsten liegt. Dort liegt das Kriterium von Kraft, im Widerstehen, im Initiieren, im Durchsetzen. Nicht in den großen utopischen Entwürfen. Deshalb ist es für eine Reform nie zu spät. Aber sie sieht im Einzelfall anders - und ach, wie bescheiden oft - aus, als meist vermeint wird.

Wenn sich die DDR-Bürger um die Früchte ihrer Arbeit gebracht fühlen, wenn so viele Bürger der ehemaligen Oststaaten  meinen, ihnen sei etwas vorenthalten worden, auf das sie nun zugreifen dürften - das wäre dann der Westen - dann haben sie in gewisser Hinsicht Recht! Aber vorenthalten wurden ihnen die Wirklichkeit, vorenthalten wurde ihnen, wie es wirklich um ihr Land und damit um sie selbst steht. Erst als dieser Schein nicht mehr aufrechtzuhalten war, weil die DDR pleite war, wie es Egon Krenz dann öffentlich zugab, trat die Führung die Flucht nach vorne an.

Die entscheidende Tatsache ist, daß die westdeutsche Politik kein durchdachtes Konzept hatte, wie im Fall einer Wiedervereinigung zu handeln sei. Tempo, "Pastoral", ja, Schein wurde substantiellen Lösungen vorgezogen, baute wohl auf auf persönlichem Ehrgeiz mancher Politiker auf, sich in den Geschichtsbüchern zu verewigen. Man probierte also wie getrieben den großen Wurf. Dadurch entstanden aber zahlreiche Graubereiche, die in der Geschwindigkeit der großen Änderungen nicht gerecht gelöst werden konnten, weil vordergründige Motive der Oberflächenbehauptung, in der man substantielle Ursache-Wirkungs- und damit Schuldverhältnisse nicht lösen wollte, um manche Gestalt nicht zu zerschlagen, die Herrschaft übernahmen.

Im Nachhinein wäre so manches besser gewesen, was im Endeffekt ohnehin auf dasselbe hinauskam, denn auch so blieb ein riesiger Schuldenberg: realtistische Konvertierung der Währungen, Schuldenschnitte ... hätte man nur darüber ernsthaft  nachgedacht. (Ist nicht bei Griechenland, ja wo sonst noch ... dasselbe passiert?) Dadurch entstehen auch viele Ängste, die gar nicht begründet sind, sondern einfach dem fehlenden  Mut zur Wirklichkeit entsprechen. Und das hat nicht zuletzt mit dem Zentralismus der Politik zu tun, die mit einem mal vor Entscheidungen steht, die eben dann auch "alles" betreffen, weil das organische Hinterland fehlt, das aus eigener Kraft Stöße aushält und ausgleicht. Erinnern wir uns aber an Erkenntnisse der Kybernetik: Wo Systeme ab einer bestimmten Komplexität in ihrem Gesamtverhalten bei Teilentscheidungen nicht mehr vorhersagbar reagieren. Daran erstickt der Zentralismus an sich selbst, reißt aber viel mit sich. Es gibt auch in der Natur ein Gesetz von Größenordnungen, die kein Organismus überschreiten kann und je überschreiten wird - es sei denn, er rottet sich selbst aus. Das nicht zur Kenntnis zu nehmen ist der furchtbare Fehler einer mechanistischen Weltsicht.



Morgen Teil 2) Lug und Betrug bei der Zerschlagung der DDR? - Ein Bericht des ZDF




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