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Mittwoch, 23. April 2014

Gültige Diagnose

Die Übersetzungen von Swedenborgs Schriften finden in und außerhalb Deutschlands, wie wir hören, einen sehr starken Absatz, und die Zahl seiner Anhänger vermehrt sich täglich. Dies ist uns völlig begreiflich. Das ungeschmückte Evangelium, die Einfalt der Kirchenlehre ist nicht mehr imstande, die geistig entkräftete Zeit zu erregen; die Wahrheit muß mit schreibenden Farben aufgetragen und in ganz gigantischen Schilderungen versinnlicht werden, wenn sie noch reizen und die Gemüter in Bewegung setzen soll. 

Die unendliche Leerheit und Stumpfheit des religiösen Sinnes ist in die Lage versetzt, falls sie die Geister nicht mit Händen greift und täglich vor sich herwandeln sieht, an keine höhere Geisterwelt mehr glauben zu könne, und die Phantasie bedarf der grellsten Aufschreckung, wenn die Hoffnung, auch jenseits noch fortzuleben, nicht ganz zusammensinken soll.  

Lange genug hat man sich die ebenso geistlose als beweinenswerte Mühe gegeben, die Wunder aus der evangelischen Geschichte zu verbannen, den Glauben an die große Erscheinung des Gottes Sohnes mit frechem Hohne zu untergraben, allen lebendigen Verkehr zwischen dem Schöpfer und dem Geschöpfe in Abrede zu stellen, und mit den seichtesten Moralien die Völker wie mit einer Sündflut zu überschwemmen; wenigstens folgte diese auf dem Fuße nach.  

Aber die sehnsuchtsvolle Brust des Menschen ist mit solchem Gerede nicht zu befriedigen, und wenn du ihr die wahren Wunder nimmst, so wird sie sich falsche erdichten. 

Unsere Zeit ist dazu verurteilt, das trostlose Schauspiel des mattesten, unmächtigsten und freudelosesten geistigen Lebens nach dem überspanntesten und krankhaftesten Überreiz desselben aufführen zu sehen, und wenn wir nicht mit lebendigen und geisterfülltem Sinne zur Kirchenlehre zurückkehren, werden wir bald die kläglichste Schwärmerei mit demselben Übergewichte um sich greifen sehen, wie wir den flachsten Unglauben auf dem Throne erblicken. 

Zum gottgefälligen Glauben aber wird niemand durch diese Erscheinungen geführt werden, und die Antwort, die im Evangelium (Lk. XVI, 19ff) jener üppige, hartherzige Reiche von Abraham erhielt, als er diesen bat, den Lazarus zu seinen Brüdern zu schicken, auf daß sie sich bekehren möchten, paßt vollständig auch für Swedenborgs Anhänger, wenn sie dafürhalten, daß die Welt eines Geistersehers bedürfe, um zur Wahrheit zurückzukehren, undenthält ein vollgültiges Zeugnis gegen ihren Propheten. Wir haben Moses und die Propheten, und jetzt auch Christus, die Apostel und die Kirche, und wenn wir diese nicht hören, werden wir auch dem kein Gehör geben, der aus der andern Welt Kunde in diese zu bringen vorgibt. Mit diesen Worten allein hat Christus alle Erwartungen abgewiesen, die sich an Swedenborgs Visionen knüpfen.


J. A. Möhler in "Symbolik", ca. 1850, 
in einer Synthese Swedenborgs, 
als nach wie vor gültige Diagnose der Zeit




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