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Dienstag, 24. Juni 2014

Honi soit qui mal y pense (2)

Morgen Teil 2) Deutschland zeigt es längst vor 


In die gleiche Kerbe schlägt ein dieser Tage in der Welt erschienener Bericht über Deutschland. Er läßt sich auf einen gleichen Nenner bringen, wobei es in Deutschland die Zentralmatura bundeländerweise gibt. Mit dem interessanten Ergebnis, daß die Leistungsschwankungen zwischen den Bundesländern - die ihre Ansprüche natürlich ihrem Klientel anpassen, so, wie es bei Zentralmatura automatisch passiert - den Unterrichtsinhalt von sage und schreibe zweieinhalb Schuljahren umfaßt.

Und dennoch steigt der Notenschnitt in ganz Deutschland seit Jahren und beachtlich. Durchfaller gibt es kaum noch. Die Kritik bezieht sich aber auf das Gymnasium generell, auf die Unterrichtsmethoden, und auf das, was der Autor "Beweislastumkehr" nennt. Bisher waren schlechte Noten für den Schüler Ausweis von Versagen und Nichtkompetenz. Heute ist es Erweis eines Versagens der Lehrer, denn das flexible Unterrichtssystem, das das "Eingehen auf die Struktur der Einzelbegabung" garantiert und vorgibt, führt in der Praxis zur Bereitschaft der Lehrer, eher gute Noten zu vergeben. 

"In den Ländern, wo das Zentralabitur eingeführt wurde, wurden die Aufgaben oftmals leichter", sagt der Präsident der Universität Hamburg, Dieter Lenzen. Offenbar führe das Zentralabitur zu Standardisierungseffekten, die auch Vereinfachungseffekte sein könnten: "Man einigt sich auf niedrigerem Niveau." [...] Lenzen hadert mit dem Können seiner Studenten. Das Abitur bereitet seiner Meinung nach häufig nicht mehr adäquat auf ein Studium vor. "Die zentrale Aufgabe des Abiturs, die allgemeine Hochschulreife zu garantieren, ist aus dem Auge geraten", sagt Lenzen. In der Schule werde sehr früh eine Spezialisierung erwartet. (cit./Die Welt)

Was das bedeutet, illustriert sich durch einen im Artikel geschhilderten Vergleich: 

[...] Aufgaben in den Fächern Mathematik und Biologie. Dabei legte er Schülern der 11. Klasse aus Nordrhein-Westfalen zwei Aufgaben aus der Analysis vor. Eine aus der Zeit vor der Einführung des Zentralabiturs und eine aus der Zeit danach, als die Kompetenzorientierung Standard wurde. "In der Zentralabituraufgabe erreichten bis auf zwei Schüler alle anderen zumindest ausreichende Leistungen, während in der Kontrolle in der gleichen Klasse von den an diesem Tag anwesenden 22 Schülern 21 scheiterten, davon 63 Prozent mit der Note 'ungenügend'."  (cit./Die Welt)

Die Folgen sind ausrechenbar. So, wie heute akademische Titel immer weniger wertgeschätzt werden, wo für Positionen, für die noch vor 40 Jahren ein Handelsakademiker mehr aus ausgereicht hatte, nun nach einem "Magister" (und am besten noch weitere) verlangt wird, ist bereits jetzt eine Geringschätzung der Matura (Abitur) festzustellen, die auf der Leichtigkeit des Erwerbs zurückzuführen ist. Ja, im Zuge sozialpolitischer Utopien ist für ein Hochschulstudium nicht einmal mehr Abitur verlangt, sondern auch Berufs-Querumsteiger können mit entsprechenden Berechtigungsprüfungen studieren, die von einem völlig anderen Bildungskonzept ausgehen: Bildung als Skill, Wissen als Nachschlagekompetenz bei Wikipedia. 

Hans Peter Klein, Professor für Biologiedidaktik an der Universität Frankfurt, gehört zu den radikalen Gegnern des neuen Abiturs. "Der neue Abiturient begibt sich in den von ihm zu bearbeitenden Aufgabenstellungen auf eine Art Ostereiersuche, in dem nahezu alle Antworten aus dem vielfältigen Text- und Grafikmaterial zu entnehmen sind. Lesekompetenz ist gefragt. Fachwissen ist Schnee von gestern. Damit belastet man sich heute nicht mehr, das googelt man", sagt Klein. 
[...] "Man hat die Kompetenzorientierung dazu missbraucht, das zu deren Entwicklung notwendige Wissen weitgehend zu entfernen, insbesondere in den Zentralabituraufgaben fast aller Fächer, im zugrunde liegenden Unterricht zunehmend auch." Nur das Wissen werde als erstrebenswert erachtet, das anwendbar sei und im Rahmen einer weltweiten "employability" Konkurrenzvorteile verschaffe. "Bildung und Wissen als Wert an sich spielt in diesem Konzept keine Rolle mehr." (cit./Die Welt)

Daß man heute mit dem unfaßbaren Umstand konfrontiert ist, daß ein bereits erheblicher Anteil der Maturanten an "burn out" leidet, ist da nur ein weiteres Schlaglicht. Die Konzentration auf die Noten ist - ganz anders als behauptet - so ausgeprägt wie noch nie.

Denn genau das Gegenteil von dem, was man mit der Abschaffung differenzierter Schulstufensysteme vorgeblich im Sinn hatte, tritt und trat nachweisbar ein: Die Berufswahl muß immer früher stattfinden, weil sonst eine "individuelle Förderung", die also bereits frühzeitiger denn je spezialisiert (im alten System mußte jeder Maturant noch eine bestimmte Allgemeinbildung erwerben), überhaupt sinnlos wird.

Noch ein abschließendes Zitat aus dem Artikel: 

"Als es noch kein Zentralabitur gab, haben wir mit den Schülern aus Lust richtig schwere Sachen gemacht", [...] "An diese Grenzen führen wir sie heute kaum noch. Wir üben lieber die Aufgaben, die ihnen im Abitur auch nutzen, und das immer wieder. Alles ist leider schematischer geworden." Mit jedem Zentral-Abi-Jahrgang wächst der Pool an Beispielaufgaben, die die Schüler pauken können. Verlage geben sie als Bücher heraus. (cit./Die Welt)



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