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Mittwoch, 30. Juli 2014

Angriffspläne aus Reaktion (1914-18)

Es genügt eine leichte, kleine Umgewichtung von Gedanken, und schon sieht ein Gesamtbild anders aus. Das macht das Video (von arte) ("Klarstellung 01") interessant. Denn die Geschichtsschreibung wird natürlich von den Siegern gemacht. Und darin heißt es, daß Deutschland aggressive Angriffspläne - den Schlieffen-Plan - in der Lade hatte, mit denen es Frankreich niederwerfen wollte. Das macht Deutschland schuldig am Ersten Weltkrieg.

Tatsache ist aber mit Gewißheit, daß dieser Schlieffen-Plan die britisch-französischen Kriegspläne einfach beantwortete, und nur insofern ein Aggressionsplan war, als er die bekannte, zu erwartende (und übrigens: noch vor dem 2. Weltkrieg zu erwartende) französische Angriffsposition war. Die davon ausging, daß Deutschland durch einen Zentralstoß in seine Mitte, mit den wichtigsten Versorgungs- und Industriezentren, am vernichtendsten treffen würde. Dem begegnete der Schlieffen-Plan.

Der noch etwas mit einberechnete: Die Neutralität Belgiens war keineswegs ein sakrosankter Standpunkt, auch wenn er formal völkerrechtlich so zu sehen beanspruchte. Belgien war bewußt von den Briten wie den Franzosen als Aufmarschgebiet vorgesehen. Dies schon alleine aus Gründen einer möglichen bzw. effizienten Anlandung der Briten.

Noch eine Gedankenverschiebung ist wichtig, und geht meist unter: Das Militärbündnis Österreichs mit dem Deutschen Reich (schwer kommen diese Begriffe über die Lippen des VdZ, sie enthalten bereits schreckliche Verschiebungen ...) war keineswegs einseitig, wie es oft dargestellt wird. Die für Deutschland lebenswichtige Funktion Österreichs im Osten wird meist verschwiegen. Denn ohne die Abwehrhaltung Österreichs gegen Rußland wäre Deutschland, das ja im Norden anfangs gegen die Russen schwere Niederlagen einstecken mußte, sofort zusammengebrochen. Österreich mußte dem Deutschen Reich den Rücken im Osten freihalten, und verblutete daran. Das hat die spätere Schwäche der K.u.K-Armee wesentlich mitbedingt, denn im Osten ist die Armee der Habsburger-Monarchie schon 1914/15 verblutet. Mit schwerwiegenden Auswirkungen auf Zielsetzung, Orienterung und Kampfmoral so mancher Nationalitäten. 

Auch der angebliche anfängliche Sieg Serbiens im Anfang des Krieges - bei einer leider wirklich verfehlten Gesamtstrategie des Habsburger-Reiches - war keineswegs ein "Sieg", sondern bedingt durch diese Notwendigkeit, die Kräfte auf den Abwehrkampf gegen Rußland - im Sinne einer Gesamtstrategie - zu konzentrieren. Man hat die schon bei den ersten österreichischen Angriffen bis an die Grenzen ihrer Leistungsfähigkeit gezwungene serbische Armee, die nach ihrem ersten "Sieg" nachhaltig erschöpft war, sodaß sie später nur noch fliehen konnte (eine Weltkriegepisode, die kaum bekannt ist, und 100.000 österreichischen Gefangenen das Leben kostete) lediglich "in Schach gehalten", bis Kräfte aus den nach den ersten Angriffen erlahmenden russischen Angriffen frei wurden, um Serbien schließlich - mit einem Zusammenwirken deutscher und österreichischer Divisionen - niederzuwerfen. 200.000 deutschen Soldaten standen im Osten 900.000 österreichische "zur Seite". Da konnte sich Hindenburg dann leicht des Erfolgs von Tannenberg rühmen - die Hauptlast der ersten russischen Offensiven hatte Österreich bereits verblutet. Während die eigentliche strategische Richtung Deutschlands, der Zangengriff nach Schlieffen, nämlich schon gescheitert war.

In diesen ersten Monaten verlor Österreich-Ungarn die Elite seiner Armee, stand zudem im Schock über die neue Art der Kriegsführung, die die Tugenden, auf denen österreichisches Soldatentum beruhte, düpierten. Nun ging es um Masse, um Material, nicht mehr Ehre und Mannestum. Alleine die Wirkung der Maschinengewehre und Artilleriekaskaden war verheerend. Fast die Hälfte der österreichischen Soldaten fielen oder wurden verwundet. Jedes Monat 1914 (!), schreibt Manfred Rauchensteiner in seiner akribisch-faktischen Rekonstruktion des Ersten Weltkriegs Österreich-Ungarns, mußten 20 Prozent seiner Soldaten ersetzt werden. Dadurch wurde die k.u.k-Armee binnen weniger Monate zu einer besseren Miliz, denn es traf vor allem die Berufssoldaten, die einen ganz anderen Ehrencodex hatten und ihren Soldaten mutig in den Tod voranschritten. Mehr als die Hälfte der Offiziere, und vor allem die mutigsten, besten Truppenteile verbluteten schon in den ersten Monaten, im Rahmen der Gesamtstrategie, um DER ALLIANZ nicht das Rückgrat brechen zu lassen. Die Selbstmordzahlen, die Anzahl der Entlassungen von Kommandeuren (die es in ähnlicher Weise aber in allen Armeen gab) waren enorm.

Es ist als Österreicher wirklich oft beleidigend zu erleben, wie Deutsche meinen, auf die männlichen Taten ihres "kleinen Bruders" herabblicken zu können. Ohne diese "kleinen Brüder" wäre Deutschland, das sehr wohl seine eigenen politischen Zielsetzungen hatte, die mit den österreichischen eigentlich gar nicht übereinstimmten, denn Österreich-Ungarn hatte keinerlei europäischen Machtziele, binnen Wochen erledigt gewesen. Österreich hat sich bereits aber 1914/15 für seinen deutschen Bruder, seine Sendung, verblutet, und ist daran auch zerbrochen. Denn es war in keiner Hinsicht, militärisch, industriell, versorgungstechnisch auf einen Krieg dieser Dimension vorbereitet. Ihm fehlte allerdings der Mut, sein Schicksal wirklich zu gestalten, und das wurde Österreich zum Verhängnis. Die Pläne Conrad von Hötzendorfs in den Jahren 1907-10 hätten vermutlich sogar den Weltkrieg verhindert - durch Präventivkriege gegen Serbien und Italien.

Das Attentat auf Erzherzog Franz Ferdinand war keineswegs zufällig, es war der Kern des Schicksals. Seine Pläne, die k.u.k-Monarchie umzugestalten, waren - was immer man ihm als Charakter zurechnen mag - sehr hoffnungsvolle und realistische Pläne, die Monarchie zu einem wirklichen zukunftsfähigen Reich im besten Sinn umzugestalten. Und sie wären sie heute Maßstab für eine europäische Gesamtgesundung. Das war den Serben aber ein Dorn im Auge. Denn eine stabilisierte Monarchie, die allen Völkern in ihrem Rahmen beste Überlebens- und Mitbestimmungsmöglichkeiten geboten hätte, hätte die serbischen Pläne für ein Großreich unmöglich gemacht.

Mit einem Begriff von Reich und Volk, den sich das Preußentum, eine Gehirngeburt, gar nicht mehr vorstellen konnte. Als der britische Premier 1914 noch Kaiser Franz Josef vor die Frage stellte, ob er nicht auf die Seite der Entente treten wolle, meinte dieser: "Was glauben Sie? Ich bin doch ein DEUTSCHER Fürst? Wie könnte ich das?"

Heimíto von Doderer meint zurecht, daß es 1914 nur noch zwei Kulturen in Europa gab. Die britische (gut, darüber mag man streiten), und die ... österreichische. Deutschland war schon nur noch moderne Zivilisation.



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