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Donnerstag, 10. Juli 2014

Wohin will man Rußland treiben?

Wenn es ein Land gibt, das man in der Geschichte Europas der letzten fünfundzwanzig Jahre bewundern muß, dann ist es ... Rußland. Es hat zugesehen, gute Miene zum bösen Spiel gemacht, und sämtlichen assoziierten Staaten der früheren UdSSR die staatliche Autonomie gewährt. Und es hat nicht einen Mucks gemacht, daß seine frühere militärische Einflußzone im Warschauer Pakt radikal schrumpfte.

Aber mehr als das: es hat zugesehen, ja freundlich gelächelt, daß die EU und die NATO (und hier schon direkt die USA) in blitzschnellem Vorgehen seine Einfluß- und direkte Machtzone bis fast an seine Grenzen vorgetrieben hat. Heute stehen amerikanische Raketen schon in Polen, damit an der Grenze zu Rußland.

Das Rußland als Erbe der UdSSR war lange Zeit durch internes Chaos geschwächt. Es mußte zusehen. Aber es ist wieder stark geworden. Als selbst sich so definierender Rechtsnachfolger der UdSSR hat es sogar sämtliche Schulden übernommen, und beglichen. Woran selbst in Österreich niemand geglaubt hat. Denn die seinerzeitigen 30 Milliarden Schilling (2,2 Mrd. Euro) waren vor allem Kreisky'scher Arbeitsmarktpolitik zu verdanken, mit der das Überleben auch sinnloser Unternehmungen (wie bei der Werft Korneuburg, oder der VÖESt) auf dem Papier verlängert wurde, um "Arbeitsplätze zu sichern" - durch Rußlandaufträge auf Pump.

Aber es ist heute wieder stark geworden. Es hat sich wirtschaftlich erstaunlich erholt, nicht zuletzt unter Berufung auf seine traditionelle Stärke, die Rohstoffe, mit denen es den Westen beliefert. Und es hat vor allem eines nicht gemacht - es hat die neu entstehende Raumordnung in Europa weitgehend zugelassen.

Denn das ist, liest man das ausgezeichnete Buch Carl Schmitts "Der Nomos der Erde", die Grundlage jeder rechtlich geordneten Zwischenstaatlichkeit: Ein allgemein anerkanntes Konzept des Großraumes, in dem sich staatliche Politik jeweils abspielt.

Nur einer hat sich nie daran gehalten: die EU und die NATO mit den USA. Mit einer Politik der geschaffenen Tatsachen hat es seinen Einfluß in Europa erweitert, was soweit geht, daß man Rußland als europäische Großmacht regelrecht ausschaltet. Und das ist der eigentliche aggressive Akt, folgt man der überaus schlüssigen Argumentation Schmitts.

Nun ging die EU sogar so weit, den Krieg der Ukraine um seine östlichen, vorwiegend russisch bevölkerten Gebiete zu finanzieren. Wie, die EU finanziert den Krieg gegen die "Rebellen"? Ja. Sie nennt es zwar "Krisenhilfe", aber die bereits geflossenen 1,5 Mrd, weitere stehen im Raum, die die Zahlungsfähigkeit des bis ins Mark korrupten Staates aufrechthalten sollen, sind nichts als direkte Kriegshilfe. Geld hat bekanntlich ja keine "Mascherl". Während sie laut schreit, daß Rußland - angeblich, wiewohl wahrscheinlich - die russischen "Rebellen" unterstütze. Wohin die Ukraine wollte, wurde bereits wenige Wochen nach der "diesmal aber sicher demokratischen Neuwahl" klar. Als sie ein Assoziierungsabkommen, lange schon vorbereitet, mit der EU unterfertigte.

Damit steht die EU direkt an den Grenzen Rußlands. Damit etabliert die EU ein neues Raumkonzept für Europa, ja für die Welt. Wieweit das überhaupt noch in den Interessen der europäischen Völker liegt, bleibe dahingestellt, das zeitgleich vorliegende Projekt eines Transatlantischen Wirtschaftsfreiraums EU-USA ist kein Zufall, und die Frage, wer zu welchem Einflußraum - ohne Gegenmittel - wird, ist leicht zu beantworten.

Mit allen Erkennungsmerkmalen amerikanischer Politik. Die seit Jahrzehnten Raumkonzepte offiziell ablehnt, in Wahrheit sie aber umso energischer verfolgt, als sie die Ordnungskonzepte der Welt auf eine moralische Ebene hebt. Damit werden sämtliche Kriege der USA nicht mehr zu "Kriegen" - die USA hat nicht einen einzigen ihrer Kriege zum "Krieg" erklärt! Es sind Religionskriege geworden. Und damit Auslöschungs- und Vernichtungsfeldzüge, die den anderen, der den Interessen der USA widerstrebt, schlicht zum "Untermenschen" erklären. Die Kriegsgegner der USA sind keine Staaten mehr. Es sind Untermenschen, gegen die jede Maßnahme gerechtfertigt ist. Die Bevölkerungen der Gegner müssen nur eines ertragen: daß sie keinem Staat mehr zugehören, sondern nur noch Teil der CocaCola- und Internet-Lebensweise sind, an der sie als Trostpreis partizipieren dürfen. Dafür überläßt die Welt den Amerikanern alles, was mit Politik zu tun hat. Bis es nur noch eine Politik gibt - die der USA als Weltordnungsmacht, die beliebig schalten und walten kann.

Dem widersetzt sich Rußland mehr und mehr. Neben China, dessen immer stärker werdendes Selbstbewußtsein als Weltmacht immer sichtbarer wird. Das sich nicht als Staat in einen panamerikanischen Weltstaat hinein auflösen möchte.

Mit einem Europa, das sich nur noch als Vorfeldorganisation amerikanischer Welt-Hegemonie erfahren darf, und offensichtlich damit zufrieden ist, maßgeblich von Ländern wie England dorthin gedrückt. Das bis hinein in den Orient reicht, über den die USA die Staaten des Fernen Ostens kontrolliert, über die Rohstoffe nämlich. 

(Die Ölquellen der arabischen Welt haben für die USA immer nur eine periphere Rolle gespielt. So bezogen die USA zu besten Zeiten kaum 10 % ihres Öls von dort, heute brauchen sie es gar nicht mehr. China und überhaupt Japan sind aber zu fast 100 % von der arabischen Förderwelt abhängig. Sämtlich in der US-Währung abgerechnet ... sodaß wie in einem Hintertreppenwitz gerade China auch noch von einer prosperierenden USA abhängt, will es nicht sein Kapital verlieren. China hat in den letzten zwanzig Jahren aufgerüstet wie kein Land der Erde, und offensichtlich wie logisch mit dem Ziel, den USA widerstehen zu können. Die sich anmaßen, ohne Rücksprache mit der Weltgemeinschaft - Gegner, s.o., sind ihnen nur noch rechtlose Untermenschen - den Weltraum neu zu ordnen.)

Denn auch das britische Konzept war bereits jahrhundertelang zunehmend universal-ORTSLOS geworden, was so weit ging, daß sie 1914 ohne Bedenken in einen Krieg zogen, der die Raumordnung Europas zerstören sollte. Sollte, denn der Kriegseintritt Frankreichs-Englands und Rußlands war ein solcher Verstoß gegen den Nomos Europas, und insofern war nicht Österreich und Deutschland die Katastrophe, sondern die Entente, die bedenkenlos Bewegungen gegen das in Jahrhunderten gewachsene auf Gleichgewicht beruhende Raumgefühl europäischer Politik handelte. Und damit den gesamten Kontinent riskierte - und verspielte. 

Abwich vom Prinzip des "gehegten Krieges" (Schmitt), wie ihn die Akzeptanz einer solchen übergreifenden Raumordnung bedeutet, um zum "totalen Vernichtungskrieg" Europas zu greifen. Und dabei keineswegs zufällig seine eigene Ordnung zerstörte, die (man denke ans englische Kolonialreich, den Commonwealth)nur funktionierte und bestand, WEIL sie in der Ordnung Europas gründete, ihre Wurzel hatte.

(England verlor als Folge dann überhaupt seine Weltgeltung, bis es sie Ende der 1920er Jahre überhaupt aufgab, als es auch als Weltleitwährung abdankte. Und dann noch - keineswegs zufällig! - im nächsten Krieg von den USA endgültig abhängig wurde, nicht mehr in der Lage, sich innereuropäisch selbst zu erhalten.)

Das Spiel 1914 war nicht der Krieg einzelner Staaten gegeneinander. Es war das Spiel mit dem Nomos Europas, den - groteskerweise - Österreich und Deutschland regelrecht verteidigten, während ihn die Gegner aufgaben. (Die Friedensschlüssse, die gegen dasselbe Prinzip verstießen, erzählen es auf andere Weise weiter.)

Und nun, 100 Jahre später, riskiert das englisch-amerikanische Europa dasselbe. Spielt mit einer Raumordnung, die sie durch neue Kategorien zu rechtfertigen sucht. Es riskiert damit eine Auseinandersetzung, die nur durch die bewundernswürdige Langmut Rußlands noch nicht ausgebrochen ist. Das immer noch auf das einzig vernünftige Konzept eines europäischen Raumes setzt - einer Raumordnung, die die EU wie Rußland umgreift. Und nicht den Kontinent spaltet, bis er zum Pulverfaß geworden auseinanderfliegt. Wenn Europa noch so friedlich bleibt, immer noch, dann ist das das Verdienst Rußlands. Die Frage ist nur, wann man den Punkt erreicht, wo man die Lebensinteressen der Russen so beschneidet, daß sich alles auf eine Konfrontation zuspitzt. 

Die EU kann dem offenbar nicht gegensteuern. Sie finanziert sogar noch jene Kräfte, die Europa spalten wollen. So wird sich Europa ein weiteres mal verspielen, wird im schlimmsten aber leider wahrscheinlichsten Fall zum Austragungsplatz wie Mietling fremder Konflikte werden. Aber wieder wird es England sein, das die Ordnung des Kontents erst geistig, dann realpolitisch, zerstört. 




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