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Freitag, 5. September 2014

Aus dem Archetypen-Kabinett

Wer erinnerte sich nicht mit wohligem Schauer an besagte Tage im Sommer 1985, als sich der Himmel verfinsterte und die Bevölkerung angesichts der wahrgewordenen Apokalypse spürbar zusammenrückte. Bibeln wurden gezückt, Johannes-Texte ausgelegt - ja, es stand ja so geschrieben! Was gerne mal zu deutlich erlebbaren Gefühlen eines erwärmten Herzens führte. Auch der VdZ war dabei, und er hat unter Ausnützung bester Freundeskontakte rasch eine gute Tonne unverstrahlten Getreides aus der Vorjahresernte gekauft. So würde man gesund bleiben können, so würde man nicht der Katastrophe einfach ausgeliefert sein.

Diese Gefühle wurden freilich bald vergessen, der Alltag schlug unbarmherzig zu, und fünf Jahre später hat der VdZ begonnen, die unverarbeiteten Getreide an eine extra deswegen begonnene Hasenzucht zu ver(sch)wenden. Die putzigen Tierchen fraßen das gerne, hatten erfreulich hohe Libido, und gediehen genauso prächtig wie die Truthähne und einmal sogar Tauben, die ebenfalls noch im Ställchen Platz hatten. Denn da und dort waren bald einmal Käfer in die Biokörner eingedrungen, und man konnte ja dieses Gottesgut nicht einfach wegwerfen.

Nichts schien aber seither passiert zu sein. Nichts zumindest, das die Angst bestätigt hätte, die man bald vergaß. Weder war es zu vermehrten Mißbildungen, noch zu höheren Krebsraten und sonstigen Strahlen-Sterbefällen gekommen, obwohl wir doch direkt die dunkele Wolke abbekommen hatten, wie es geheißen hatte. Es passierte sogar nichts, wenn man wie der VdZ seinen Neigungen ungehemmt nachgab und Unmengen an Pilzen aus Wald und Heide verdrückte, eine seiner Lieblingsspeisen. Dabei war doch vor denen so besonders gewarnt worden.
Das sieht, geht man nach wie vor zu findenden Presseberichten nach, freilich in und um Tschernobyl anders aus. Diesem Musterbeispiel sowjetischer Mißwirtschaft und Menschenverachtung. Dort herrscht noch 20 Jahre später das reinste Horrorkabinett. So die Medien, die ihrer Deutungsbrille, bequem in ein fernes Land verlegt, treu blieb. Man hat ja nicht gar so viele Archetypen, deren man sich bedienen kann. Und mehr als ein Kabinett einiger weniger Archetypen ist keine "Nachricht", keine Erzählung. Auf Fakten zu schließen ist da nicht immer leicht, und es ist im großen Ganzen auch unwesentlich. Der Mensch bewegt sich ja wesentlich innerhalb solcher Grundbewegungen. Was so an Gedanken und Worten auftaucht, spielt eine andere Rolle.

Was sagt dazu aber ein jüngst erschienener Bericht von WHO (Weltgesundheitsorganisation), UNSCEAR (United Nations Scientific Committee on the Effects of Atomic Radiation) und anderer Organisationen, welche sich immerhin auf die Ergebnisse von nunmehr über 100 Jahren strahlenbiologischer Forschung stützen? Sie kommen zu dem Ergebnis, dass es keine erkennbare Verschlechterung des Gesundheitszustandes der Bevölkerung gibt, außer durch Angst erzeugte. Vor allem im Bezirk Gomel ist anfangs doch etwas passiert, 172 Kinder bekamen Schilddrüsenkrebs, aber 370.000 blieben gesund. Das ist über 20 Jahre her, seitdem sind die Strahlendosen auf weniger als ein Hundertstel gesunken.

Na das schlägt doch dem Faß den Boden aus. Sind die alle blind? War das gute Geld der Rettungsaktion von 1985 beim Fenster hinausgeworfen?

Da fand der VdZ noch eine andere Graphik. Die zeigt, wie hoch die Strahlenbelastung in Weißrußland - samt der des explodierten Kernreaktors - ist, und wie hoch in Deutschland oder im Iran oder in Indien, oder Brasilien. Der Lesermöge sich selbst ein Bild machen. Jedenfalls hat er so seinen Verdacht, warum unsere Medien unmittelbar nach Tschernobyl von diesen 172 Fällen von Schilddrüsenkrebs berichtete, nicht aber von im selben Zeitraum geborenen 370.000 gesunden Kindern. Und warum sich so hartnäckig Gerüchte halten, daß "nach wie vor dort nur 20 % der Kinder gesund geboren werden." Das ist bei uns sicher anders. Nur sind wir weniger als Objekte wahrer Nächstenliebe und Empathie geeignet. Wir sind so normal.

Vielleicht aber sollten wir alle nicht den so überaus (!) häufigen Fehler machen, von unseren inneren archetypischen Erlebenswellen auf Fakten und konkrete Realitäten zu schließen.








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