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Dienstag, 2. September 2014

Das Ganze ist mehr als eine Summe

Interessanten Fragestellungen gingen jene Mathematiker nach, die 2014 mit der Fields-Medaille preisgekrönt wurden, wie die Zeit berichtet. Diese wird alle vier jahre an Mathematiker unter 40 Jahren Lebensalter vergeben. Die meisten haben versucht, Momente rund um den Zufall berechenbar zu machen, wie sie bei hochkritischen Systemen auftreten. Werden die Wirkfaktoren zu groß, reagieren in ihren Teilen sehr rational nachvollziehbare Systeme chaotisch. Natürlich heißt das nicht, daß damit das Chaos doch wirder zur Ordnung wird. (Der Mensch neigt halt zu sehr zu der alltäglichen Realität entnommenen Bildern.) Die Forschungen hier beziehen sich vielmehr darauf, den Moment berechenbar zu machen, ab dem und (mathematisch) warum ein physikalisches System von der Ordnung ins (mathematische, physikalische) Chaos übergeht.

Es ist ja immerhin bemerkenswert, daß wir überwiegend, ja eigentlich nur, von "chaotischen" Systemen umgeben sind. Betrachtet man die Welt als Welt der Dinge nur mit immanenten Ursache-Wirkungs-Verhältnissen, so lassen sich nur Teilvorgänge "messen" oder vorhersagen. Wir setzen gerne diese Teilvorgänge fürs Ganze, aber selbst die alltäglichste Wirklichkeit reagiert weit komplexer, nicht mehr nach diesen Kriterien - als Ganzes - beurteilbar. Dies ist aber nur eine Betrachtungsweise aus der Sicht der Mathematik (bzw. der Physik), die damit eigentlich nur ihre Grenzen der Tauglichkeit für eine Weltbeschreibung deklariert. Denn auf "mysteriöse" Weise ist diese Welt, die ein System von fast ausschließlich chaotischen Systemen ist, doch eine gigantische Ordnung, in der alles aufeinander abgestimmt ist, sonst würde sie nicht mehr bestehen. Nur ist sie nicht in einem Sinn berechenbar, in dem sie vom menschlichen Verstand kontrollierbar, lund das heißt: machbar ist. Das tägliche Wetter liefert das beste Beispiel dafür. Dennoch kann man solche Vorgänge "verstehen".

Man muß sich nur von der Idee freimachen, solche Ordnung auch herstellen zu können. Man kann sich ihr nur fügen. Gerade diese Mathematik arbeitet ja mit einer Fülle von Unbekannten, in denen man - "black box"artig - bestimmte abstrakte Wirkfaktoren annimmt, von denen es keine konkrete Vorstellung gibt. Mit "rechnen" (wie es die Erfahrung in der Schule suggeriert) - so Hairer, dessen Vater Österreicher ist, in einer Art Gespräch mit der Presse - hat sie nichts zu tun. OIn ihrem wirklichen Grund ist die Mathematik eine äußerst reine Abstraktion, eine nicht gegenständlich denk-, vorstellbare Modellerstellung der Welt - eben: geistig.

Viel Unsinn, der heute in den Köpfen der Menschen herumschwirrt, stammt lediglich aus einer unzulässigen Umlegung von solchen Abstraktionen (man denke nur an Interpretationen von physikalischen Erkenntnissen im Volksmund, allen voran: die Relativitätstheorie) in konkrete Bilder der Alltagserfahrung, nur weil sich  natürlich auch diese Mathematik in der Mitteilung weitgehend alltäglicher Begriffe bedienen muß. Auf diesen Ebenen aber funktionieren sie gar nicht. Deshalb gibt es ja Symbole in ihr, um diese Irritation zu vermeiden. Womit diese Symbole aber an konkret Gewußtem, an Gemeintem gefüllt sind, entzieht sich dem Nicht-Mathematiker. Genau dort aber vollzieht sich das eigentliche mathematische "Denken".

Das heißt aber nichts anderes als daß das Denken des Alltags, das funktional-rechnerische Denken, für ein Gesamturteil über Weltprozesse gar nie ausreicht. Eigentlich könnte man sagen: das ist mathematisch bewiesen. Dennoch aber versinkt die Welt nicht in unerkennbarem Chaos, sondern die wesentlichen Ereignisströme der Welt sind nur in immer abstrakteren, also umfassenderen Abstrakta erfaßbar, deren Teilmengen aber jeweils höchst rationale Vorgänge sind. Doch ist eben das Ganze mehr - qualitativ auf einer anderen Stufe! - als die Summe seiner Teile.*

Martin Hairer (38) von der Universität Warwick beschäftigt sich mit stochastischen partiellen Differentialgleichungen. Solche Gleichungen berücksichtigen die Erkenntnis, dass ein dynamischer physikalischer Vorgang – wie etwa fließendes Wasser – meist nicht sicher berechenbar ist, weil er zufallsbedingten Schwankungen unterliegt. Für diese Situationen kennt man oft keine geschlossene Formel, sondern nur lokale Zusammenhänge, etwa zwischen Ort und Geschwindigkeit.
Der promovierte Physiker Hairer entwickelte als Erster relativ leicht nachvollziehbare Gleichungen, die solche Zufallselemente berücksichtigen und annähernd korrekte Ergebnisse liefern. 

Artur Avila (35) von der Universität Pierre und Marie Curie in Paris lieferte neue Erkenntnisse zum Feigenbaum-Szenario, das beim Übergang von periodischem Verhalten zum Chaos auftreten kann.
Das lässt sich zum Beispiel an den Zeitabständen zwischen zwei Tropfen aus einem Wasserhahn beobachten. Ist das Leck klein, fallen die Tropfen in regelmäßigen Abständen. Ist es größer, ist keine Periodizität erkennbar, sondern die Folge der Zeitabstände verläuft chaotisch. Bei einer bestimmten Hahnstellung dazwischen befindet sich das System nicht nach jedem Tropfen wieder im selben Zustand, sondern erst nach jedem zweiten.  





*Das hat natürlich sehr konkrete Implikationen. So, wenn von "Weltklima" gesprochen wird, das von schlichten Gemütern aus der Summe von Einzeldaten "hochgerechnet" wird. Vorgänge dieser Dimension aber entziehen sich mit mathematischer Gewißheit jeder Vorhersagbarkeit. Die einzige Beurteilungsmöglichkeit bestünde aufgrund von Wahrscheinlichkeiten auf der Grundlage jahrhunderte-, jahrtausendelanger menschlicher Erfahrung. Und hier ergeben sich sogar nach empirisch heute vorliegenden Gegebenheiten ganz andere Resultate (nach denen nichts Ungewöhnliches am heutigen "Klima/Wetter" ist), als Klimapropheten und -hysterikern lieb ist.



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