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Dienstag, 23. September 2014

Mehr vom Gleichen

Das amerikanische Meinungsforschungsinstitut Pew Research bestätigt in einer aktuellen Erhebung, was auf diesen Seiten schon vor Jahren gesagt wurde: Das Netz, die social media, haben keineswegs die erhoffte Steigerung der Meinungspluralität gebracht. Der VdZ geht ja noch weiter: Vielmehr ist das Gegenteil eingetroffen.

Man sucht im Netz Bestärkung der eigenen Meinung, und diese wird zudem immer enger eingeschränkt, wobei sich die Algorithmen als Fluch erweisen, die ja auch den Suchenden mit genau dem versorgen, was er ohnehin bereits hat. Oder was andere ihm aufdrängen wollen. Und hier haben wir es mit einer weiteren Problematik zu tun: denn so wird das Netz zum Instrument von Propaganda, zum einen, und zum reinen Mainstreamproduzenten, zum anderen. 

Wer aber "anderer" Meinung ist, hört bald auf, so wieder die Studie, seine Meinung zu äußern. Wozu gewiß die Tatsache beiträgt, daß "Verstehen" sich im Netz/social media-Strom auf Fähigkeit, Willen und Bereitschaft bezieht, sich so auszudrücken, wie es im Leben auch ist: Daß das Gegenüber immer ein "Mehr" mitschwingen läßt, der sich verbal Äußernde nicht auf jenen verbalen Nettogehalt seiner Aussagen eingeschränkt wird, der selbst schon wieder Produkt der Phantasie und des Herzens des Rezipienten ist.

So findet das Pew Research Institute im Netz dieselbe Schweigespirale, wie sie im richtigen Leben auftritt, wenn jemand eine Meinung hat, die von der vorgefundenen, mit der Autorität des Mainstreams behaftete abweicht. Man schweigt, weil man keine eskalierte Auseinandersetzung will. Man schweigt, weil Diskussion anders, als so viele meinen, keineswegs schlicht DAS sinnvolle Instrument einer Kommunikation ist, sondern ein Kampf auf Biegen und Brechen. Denn viele andere Ausdrucksmittel als Text gibt es nicht. 

Dessen Form noch dazu meist völlig vorgegeben ist, wenn er nicht ohnehin von Moderatoren ausgeblendet wird. Da zählen sogar Schriftart und -größe, einige der notdürftigen Parameter des katastrophal engen Ausdrucksspektrums der Bildschirmerscheinungen, die alles, was sich im Netz äußert, bereits auf eine bestimmte Art des Ausdrucks (Flüchtigkeit, Veränderbarkeit, Nicht-Ernsthaftigkeit etc.) a priori festlegt.

Aber die Hoffnung, daß sich Meinungen allgemein differenzieren, hat sich recht eindeutig nicht erfüllt. Dafür geraten Schattenmeinungen, Meinungen Einzelner, noch weiter aus dem Blickfeld. Das ist deshalb besonders folgenreich, weil die Veränderungen von Organismen, von komplexen Systemen, immer ... von den Rändern erst getragen, und dann durch und in Polarität ausgelöst werden.

Das Internet - und auch das wurde an dieser Stelle schon vor Jahren behauptet - bewirkt also eine Verfestigung, weitere Erstarrung des öffentlichen Klimas. Während ihr schöpferisches Potential erstirbt.

Übrigens: Es wird ja gerne behauptet, daß es zwischen der heutigen Situation und der vor 1914 große Parallelen gebe. NUR, so hat der VdZ unlängst gehört, sei die Kriegsbegeisterung, die den Krieg gewollt und ausgelöst habe, mit heute nicht vergleichbar, was beruhige. Nun, diese Kriegsbegeisterung hat sich damals verschiedentlich geäußert, ja. Aber erstens war sie keineswegs allgemein, und zweitens Mainstream, sodaß man es wagte, sie zu artikulieren. Und DAS unterscheidet heute von 1914! Denn niemand wagt heute noch zuzugeben, daß er Krieg wolle, ja nicht einmal sich selbst wagt er es einzugestehen. Die Kriegssehnsucht von vor 1914 aber war, so der VdZ, um nichts kleiner als heute, eher im Gegenteil. Denn ihre eigentlichen Parameter liegen im Leiden an der Starrheit der ungeliebten Gegenwart, die mit herkömmlichen Mitteln egal welcher Art unveränderbar scheint, und im Willen, sie - irrational! - zu zertrümmern. Was 1914 so folgerichtig machte war nicht, daß man gerne mal von einem notwendigen Krieg sprach. Vielmehr herrschte schon Jahrzehnte ein weitgehend aber noch unterdrückter Wille alles, und wirklich alles zu zerschlagen. Man betrachte alleine die Kunst in allen Bereichen, den Seismographen jeder Kultur. Auch 1914 nahm man sie nicht wirklich ernst, so wie man es heute tut.

Wer aber heute offenen Auges durch die Straßen wandert sieht genau dasselbe: Wo immer die Menschen, und vor allem die jungen Menschen, irgendwo bemerken, daß sie in einer Konvention festlegbar sind, beginnen sie diese zu brüskieren, meinen sie als Unfreiheit zu erfahren. Oder wer meint, daß eine Erscheinung wie die irrationalen Piratenparteien, als Afterprodukt der Grünenbewegungen (und diese als Proponenten des entstaltenden Willens zum Barbarentum), NICHT genau diese Sehnsucht nach Zertrümmerung bedeutet? Wer meint, daß die Forderung nach "Transparenz", die zu einem der neuen Zauberworte - eine pure black box - wurde, nicht dasselbe an Zertrümmerungswillen und Vertrauensverlust bedeutet? Wer mit ein wenig Verstand hat je gemeint, daß die Frühlingswinde, zu denen irrationale Rebellion allenthalten verklärt wird, je anderes waren als genau dieser irratonale Wille, alles aufzulösen? 

Es sind Ersatzwege für den Willen zum Krieg. Der nur deshalb expressis verbis meist abgelehnt wird, weil die Angst vor Gestalt noch über allem zu reihen ist. DESHALB wird auch heute nirgendwo mehr Krieg erklärt. Man schlittert nur noch in alles hinein. Und das verweist erst recht auf ... 1914. Wo die Angst vor den Dingen und Gestalten allerdings noch nicht so ausgeprägt war. Wo man noch wußte, aus historischer Erfahrung, daß es bei einer bestimmten und unauflösbaren Komplexität der Lebenssituation nur noch mit radikalen Mitteln, mit Krieg nämlich, Neuanfänge geben kann. Zu dem man noch Mut fand, weil er immer noch als kultivierbar, begrenzbar gewußt wurde. Bis er durch die Technik und technisches Denken ab 1914 die letzten Reste von Kultur abstreifte, und zum Völkervernichtungsdesaster wurde.

Aber die heutigen gesellschaftlichen Strömungen sind nur ein verborgener, verschleppter, verschleierter Weg genau dieser Kultur- und Selbstvernichtung. Wenn bereits mehrere tausend Europäer - darunter ca. 130 Österreicher - an der Seite der IS in der Levante kämpfen, so ist das als die Spitze eines Eisbergs anzunehmen, dem bestenfalls bestimmte Migrantengruppen, die hier in eine große und enttäuschende Leere fallen, am schnellsten entsprechen und entfliehen. Die aber Teil einer Gesamtsymptomatik sind, und nicht Einzelfälle lediglich bestimmter isolierbarer Richtungen.

Wenn die allgemeine, öffentlich sanktionierte (und etwa aus Gründen von Moralvorstellungen geforderte) Sprechweise als nicht mit seinem Fühlen, seinem Selbst übereinstimmend erfährt, wer die Gegenwart nicht mehr denken und verstehen kann und will (warum auch immer), hat eben nur zwei Wege: Ersatzorte (und -theorien) für seine unartikulierbaren und verbotenen oder feige verheimlichten Zertrümmerungswünsche zu suchen, oder vorerst zumindest zu schweigen und zu lügen. Und eine Situation zu provozieren, in der Krieg und Zerstörung einem "zustößt".




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