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Samstag, 25. Oktober 2014

Fehlerhafte Triebe (1)

Es ist einer der verhängnisvollsten Fehler Sigmund Freuds gewesen, den Menschen als ein Kompositum von Einzeltrieben zu sehen, deren beide mächtigste in seiner Konzeption die Libido sowie der ihr entgegenstehende Todestrieb sind, der die "natürlichen", biologischen Kräfte der Libido durch Lebensverneinung zu formieren sucht. Und dabei auch wieder im Überlebenstreben der Natur verankert ist, denn Freud - das vergißt man gerne - ist materialisitscher Evolutionist, und der menschliche Geist ist für ihm lediglich ein Epiphänomen, also eine andere Sichtweise derselben rein biologischen, chemisch-physikalischen Vorgänge.

Wer sein Triebkonzept in allen Implikationen (die Freud meinte nicht nur ignorieren, sondern umschiffen zu können, denn er wollte mit Philosophie nie etwas zu tun haben) aber ausfaltet sieht, welch enormen Einfluß es auf das allgemeine Denken entwickelte, und heute fast als allgemein Sichtweise betrachtet werden muß.

Aber so kann man den Menschen nicht sehen, so ist er nicht. Freud hat eben immer nur an Kranken, an Neurotikern gearbeitet, und von da her recht offensichtlich auch sein falsches Konzept entwickelt (bei allem, was seinen Gedanken sonst an Inspirativem und auch Richtigem beigemessen werden muß). 

Man muß vielmehr die "Einzeltriebe" als Auswirkungen des einen und einzigen Lebenswillens (und insofern "-trieb") sehen. Wie ein Baum, der im Zuge seines Wachstums zur Gesamtheit nach und nach einzelne Phasen durchmacht, in denen je ein Aspekt des Menschen (wie er im Erwachsenen, im günstigen Fall, ganz ausgefaltet ist) stärker (immer im Dialog mit der Welt zu sehen) wirkt. Weil quasi seine Stufe dran ist. 

Bleibt freilich ein Mensch in einer dieser Stufen hängen, gelingt es nicht, diese Stufe je weiter zu integrieren, in die nächste höhere Stufe - bis zur Geistigkeit des Erwachsenen - einzubetten, die jeweils die vorangegangen Stufenen in sich birgt, so bleibt er natürlich in diesem vorgängigen Stadium gewissermaßen "hängen". Es hypertrophiert unter Umständen sogar, und beginnt ihn zu beherrschen. 

Der Todestrieb, den Freud mit der Moral (bzw. in weiterer Konzeption: mit dem Vater) gleichsetzt, wird also zugunsten des narzißtischen Triebes (Ödipus als mythologisch-symbolischer Archetyp) zu schwach. So Freud, für den das Leben als Mensch, in der Kultur, nur so möglich und damit aus dem Tod geboren wird. Denn nur über Verbot (Tabu) kann sich Kultur somit entfalten. So Freud, für den damit das "Sublimieren" der Primärtriebe (mit dem Sexualtrieb als zentralen, alles beherschenden darunter) in Sekundärtriebe (als "Kulturtriebe", die auf Gattung gehen) zu einer Form des Todestriebes wird, der dem eigentlichen Leben des Individuums entgegensteht und es über kulturelle, gemeinschaftliche Institutionen und Formen "zwingt". Der Primärtrieb läßt sich für diese Triebkonzeption also nur "zwingen".

Aber Geist ist etwas ganz anders als Moral, und schon gar nicht als "Verbotssituation" zu begreifen. Und wer nur einen Vogel beobachtet, der zuerst seine Jungen versorgt, um dann selbst zu essen, sieht die Widerlegung. Reife ist nicht eine Frage der Stärke des Todestriebes - der über Unterdrückung (und Kollektiv) funktioniert. Selbst, wenn Verbote gewiß eine praktische Rolle spielen.* Er ist die Konstitution des Menschen als sich in der Vernunft selbst besitzender, ergreifender, der über die Begegnung mit der Welt, über die Erkenntnis, über die Ausreifung der Beziehungen zu den begegnenden Dingen, der Welt, zu sich selber kommt.

Der "Todestrieb" Freuds findet eine gewisse Analogie jallerdings in der Erscheinung der Reife, die nämlich tatsächlich ein Selbstvergessen - insofern: ein Sterben - bedeutet, in der sich das Ich dann je neu aus den transzendenten Quellen erhält.

In stufenweisem Aufbau, der aber nie eine Summe ist, sondern immer nur eine Etappe mit je stärkerer Betonung des noch nicht Geistigen, wo die nächste Stufe die vorhergehende(n) besitzt oder besitzen sollte, steht am (gar nie abschließbaren) Zielpunkt seine Geistigkeit, seine Freiheit (die sich im Selbstverhältnis im Verzicht auf das Selbstische - im "geistigen Sterben" also - erst vollkommen ausdrückt). Die nur weltimmanent, nur materialistisch-evolutionistisch tatsächlich nicht begreifbar sein KANN. Denn sie ist in ihrem Wesen transzendent, nur vom Transzendenten her überhaupt verstehbar.



Morgen Teil 2) Unkultur als Weg zur Perversion


*Was man sehr gerne übersieht ist, daß der Mensch in seiner Verfaßtheit ja einem rhythmisch oszillierenden Zustand - Schlaf/Wachen, Ruhe/Aktivität, etc. etc. - eher gleicht, als einem starren, "immer gleichen" Dasein, das er ja gar nie erreicht und erreichen KANN. Im Wachen braucht man kein Moskitonetz, weil man sich gegen diese Feinde zu wehren vermag. Der Mensch als Person ist ein immer aktuelles Geschehen, kein statisch fixierbarer Zustand, das in der Kultur je seine Pole soweit institutionalisiert, als sie ihn zu seinem größten Möglichkeiten auszustrecken helfen, ohne jeden Einzelschritt immer wieder neu setzen und durchkämpfen zu müssen.

Aber es ist klar: Wo eine geistige Struktur fehlt, diese nur im Materiellen vorhanden ist, wie im Materialismus des Evolutionismus, kann es Entwicklung nur in starren Stufen geben, weil das jeweilige Menschlein kein "Backup" hat, aus dem er sich je neu vom Moment der passiven Entspannung her zur Vollgestalt hervorbewegt, die nur geistig - im Erkenntnismaß - konzipiert sein kann.



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