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Freitag, 31. Oktober 2014

Staat als Auftrag Gottes

Robert Spaemann erzählt über die erste Predigt des "Löwen von Münster", Kardinal Clemens August von Galen, nach dem Ende der Herrschaft des Hitlerismus 1945. Eure Liebe, so von Galen, hat mich gerettet. Denn es war seine Beliebtheit, die die Nazis davor zurückhielt, ihn, der während der gesamten Nazizeit öffentlich gegen die Tyrannei aufgetreten war, verschwinden zu lassen. Nur aus Vorsicht hielten sie sich in den Schikanen ihm gegenüber also zurück, denn man fürchtete - wie jede Tyrannei - das Volk. 

Was wir aber jetzt erlebt und hinter uns gebracht haben, so Galen damals, die Unfreiheit, die Tyrannei, das Leid (etc.), ist die Strafe für das, was in Deutschland 1919 passiert ist. Als eine Verfassung installiert wurde die da festhielt, daß die Macht vom Volke ausginge.

Das ist aber ein Irrtum, sagt Spaemann, eine menschliche Überhebung. Denn es gehört zum Wesen des Menschen, ein Gemeinschaftswesen zu sein. Gemeinschaft aber kann nur funktionieren, wenn sie hierarchisch gegliedert ist und in einem Punkt, einer Leitung, anhebt wie endet. Wenn etwas aber zum Wesen eines Dings gehört, dann heißt das auch, daß es im Willen Gottes liegt, dieses Wesen zur Erfüllung zu bringen, ihm zu gehorchen. Und damit auch der staatlichen Obrigkeit - dort, wo diese selbst sich begreift als eine Obrigkeit, die göttliche Macht nur repräsentiert und verwaltet. So, wie sich früher die Könige verstanden haben. Dort liegt das Prinzip der Legitimität von Macht, in der Wesensverfaßtheit des Menschen, die damit göttlicher Auftrag wird, liegt der Grund für den Staat als höchster Form menschlicher Gesellschaft.

Was wir jetzt erlebt haben, so von Galen, ist das Resultat, ist, was herauskommt, wenn die Menschen sich selbst zum Urheber ihrer Welt setzen: es mündet unweigerlich in Tyrannei. In dieser Selbstherrlichkeit nämlich spaltet sich das Volk von sich selbst ab, und verliert seine Einheit: Staat und Volk stehen sich damit feindlich gegenüber. Einheit ist nur in Gott möglich, und nur dort liegt auch der Grund für das berechtigte Vertrauen, daß sich auch im Staatsleben letztlich alles zum Guten führt. Denn das Gute ist nur im Willen Gottes, der das Sein ist, verankerbar.

Alles nur menschliche Sinnen und Trachten, sagt Martin Heidegger* einmal in einem erst postum veröffentlichten Interview im Spiegel, führt zu nichts. Nur ein Gott kann uns retten.

Die Welt liegt letztlich nicht in der Hand des Menschen. Denn dessen entscheidende Erfahrung - die man sich so sehr weigert, zur Kenntnis zu nehmen, denn sie hat so weitreichende Konsequenzen - ist nicht Macht und Freiheit, sondern Ohnmacht und Gnade. Die tiefste Erfahrung des Menschen, sagt Carl von Weizsäcker einmal, ist nicht der Mensch, sondern Gott. Nur in Gott ist der Mensch und alles, was er tut und entscheidet, gehalten. Menschsein heißt zur Kenntnis zu nehmen, daß sich der Mensch - jeder einzelne - durch sein eigenes Tun nicht selbst im Sein halten kann. Nur wenn er über sich hinaussteigt, Gottes Willen erfüllt, und in dem Maß, hat er Anteil am Sein.

Insofern also der Staat als Element des Wesens des Menschen gesehen werden muß, das dieses Gemeinschaftswesen Mensch zu seiner höchsten irdischen Präsenz führt, kann und muß er als Wille Gottes aufgefaßt werden. Reißt sich der (institutionelle) Staat aber von Gott los, so fällt er über den Umweg der Hölle ins Nichts.

Gleichermaßen fällt ein Staat (und sein Volk) ins Nichts, wenn er aufhört, sich schöpferisch - in der erwähnten Insecuritas, Ungewißheit - immer neu in die Zukunft zu entwerfen. Je mehr er sich an seinen Bestand klammert, der ein Rückgriff auf das Vorhandene der Vergangenheit ist, desto mehr wird er sich verlieren. Wo aber ein Volk nicht die Kraft hat, sich schöpferisch in obigem Sinn zur Geschichte zu erheben, kann es auch keinen Staat gründen und erhalten, der über bloßen leeren Formalismus hinausgeht, aber zuinnerst gegen das Sein streitet.



*Heidegger hat sich in seinem gesamten Werk bemüht, jeden Gottesbegriff aus seinem Denken herauszuhalten.




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