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Freitag, 7. November 2014

Aufruf zum Kreuzzug

Immer wieder erfaßt einen beim Lesen von Schriften von Carl Schmitt das Gefühl, sie wären gestern erst in einer Schreibstube in Winkelhofen in Bayern verfaßt worden, so aktuell sind sie. Und beweisen damit die enorme wissenschaftliche Qualität seiner Arbeiten, die vor 80, 90 Jahren verfaßt wurden und in ihrer Analytik Dinge in ihrer Entstehung erkannt haben, die seither - und vor allem heute - regelrecht ausblühen. Wohl deshalb hat man sie zeitweise so bekämpft, wohl deshalb aber erleben sie, wie man hört, heute eine schwunghafte Renaissance. Mit Recht.

So zeigt Schmitt in seinen Analysen auf, wie die Einführung von universalistischen, moralistischen Kriterien ins Völkerrecht, spätestens nach dem 1. Weltkrieg, das Völkerrecht selbst auflösen. Denn dieses kann nur Staaten als souveräne, von der Weltgemeinde als Staaten respektierte und gleichberechtigte Subjekte betreffen. In dem Augenblick, wo man aber im Namen universalistischer Werte - "Humanität", "Demokratie", "Freiheit", "Gleichheit", "Wirtschaftsliberalität" ... - urteilt und vorgeht, löst sich das Völkerrecht allmählich auf, und wird zu einem Recht des Bürgerkriegs. Denn mit dem Staatsbegriff löst sich der Dreh- und Angelpunkt des Völkerrechts auf, das Recht auf Krieg. Das jeden Krieg, der im Rahmen staatlicher Souveränität geführt wird, automatisch als gerecht (von den übrigen Staaten) ansieht bzw. die Frage nach gerecht/ungerecht auf eine andere, nur indirekt völkerrechtliche Ebene hebt. Plötzlich aber wird zwischenstaatlicher Konflikt zur Religionssache werden, schreibt Schmitt,  und die Welt verspielt, was sie in Jahrhunderten errungen hat: daß der Krieg kultivierbar wird. 

Bei solchen Prinzipien kann es aber nur noch um Ausrottungs- und Vernichtungskriege gehen, und jeder Krieg wird zum fanatischen Bürgerkrieg, Krieg wird zur bewaffneten Mörderpartie von Verbrechern, die jede Gegenmaßnahme rechtfertigen, und alles in rechtsfreien Raum stellen bzw. Recht neu und universalistisch definieren.

Wie aktuell diese (natürlich von Schmitt wesentlich präziser ausargumentiert und durchanalysiert, als es hier möglich und beabsichtigt ist) Wahrheit ist, läßt sich am Problem des Islamismus ausgezeichnet studieren. Denn der Islamismus ist die Gegenreaktion gegen genau diese - vorwiegend von den USA weltweit durchgesetzte universalistische Völkerrechts-Uminterpretation - Aushebelung des Völkerrechts. Die konkrete Politik (v. a. der USA) hat es am Beispiel des arabischen Raumes eindrücklich vorexerziert. 

Hier wurden nach und nach sämtliche Staaten "geknackt", im Namen eben solcher universalistischer Werte, die jeden Staat, den es betraf und der seine Macht dazu verwendete, sich als Staat zu erhalten, zum Verbrecherregieme erklärten. Gleichzeitig wurden alle diese "bewegungen" von den USA (aber nicht nur von diesen) unterstützt, gefördert, ja ins Leben gerufen. Die Folgen waren evident, und zwar in ALLEN diesen Staaten. Die ausnahmslos entweder zerfielen (und nur noch dem Namen nach bestehen), oder mit Unterdrückungsmechanismen agieren, die jedes Maß sprengen (wie in Ägypten).

Vor allem aber kamen in allen diesen früheren Staaten - und damit sind wir bei Syrien und dem Irak angelangt - islamistische Bewegungen hoch, die GENAU DIESE PRINZIPIEN verfolgen, die die USA eigentlich eingeführt hat. Denn es war ja zuerst Präsident Wilson, der mit dem höchst schwammigen "Selbstbestimmungsrecht der Völker" das Völkerrecht in Europa aushob, vorgeblich um es "humaner" neu zu gestalten, praktisch indem er es in Widersprüche und Vagheiten trieb, die es eigentlich auflösten. ihm seine Regelungskraft durch Interpretationsungewißheit nahm und damit sogar der Willkür auch nichtstaatlicher Parteiungen und Interessensgruppen öffnete.

Die USA sind nach diesem neuen, "universalistischen" Recht, das sie kraft ihrer militärischen Stärke - denn jede Rechtsnorm ist nur so stark wie jener ist, der es durchzusetzen vermag - fast weltweit durchgesetzt haben, seit Jahrzehnten vorgegangen. Sie haben Staat um Staat aufgelöst, und immer dasselbe Ergebnis geerntet: Das Land, in dem sie intervenierten, zerfiel in Interessensgruppen und Parteien, die von keiner Staatsidee und -macht mehr gehalten und geregelt wurden. Sondern die jede es als ihre eigentliche Aufgabe betrachteten, ihre Vorstellungen zur Macht zu bringen. So werden aus Religionen Fanatismen, aus Weltanschauungen Ideologien, denen es um alles oder nichts geht, aus deutsch sein wird Deutschentum, aus Vaterlandsliebe Nationalismus, aus Wissenschaft Moralismus und Weltrettungsbewußtsein, und aus Judentum Zionismus - dazu weiter unten.

Es waren damit auch die USA, die den (sunnitischen) Islamismus regelrecht "züchteten". Die jetzt genau das wollen: einen "Staat" gründen, der nach (ihren) universalistischen Prinzipien funktioniert und geregelt ist. Hier begegnen sich also zwei völlig gleichgeartete Kontrahenten. Und umso fanatischer erfolgt der Kampf gegeneinander. Wer nicht auf dersselben "Werteebene" steht, versündigt sich gegen das Menschsein selbst, und er hat deshalb kein Recht, sich Mensch zu heißen. 

(Solche Aussagen, übrigens, sind auch heute weit häufiger explizit anzutreffen, als es scheinen mag, wir haben uns nämlich längst an so viel gewöhnt, das genau diese Tatsache oft sehr dicht verschleiert: Sie bestimmen aber auch in Deutschland oder Österreich längst den simpelsten Alltag, die einfachste Zwischenmenschlichkeit. Man ersträgt den nicht mehr, der "anders denkt". Das kann auch kein Mensch sein, der muß unintelligent, debil, charakterlich verworfen oder böse sein, und er hat kein Recht, sich darzustellen, er muß verschwinden. Bis zu Extremata: Vor zwei Jahren, wir erinnern uns, hat ein Grazer Universitätsprofessor in seinen Vorlesungen dazu aufgerufen, "Klimawandelleugner" mit Todesstrafe zu belegen. Wenn man eben glaubt, daß das Wohl und Wehe der Welt von einem und seiner Anschauung abhängt, wird der andere zum Todfeind.)

Und er zielt auf die jeweilige Vernichtung des anderen ab. Wie sehr, zeigt ein höchst lesenswerter Artikel des französischen Europaabgeordneten und Beraters der Front Nationale, Aymeric Chauprade. Der Artikel ist schon deshalb sehr zur Lektüre zu empfehlen, weil er das Gedankenspektrum, in dem sich die Konflikte auch mit dem Islamismus in Europa bewegen, sehr gut umreißt und auch durch neue, hierzulande kaum je erörtete Aspekte tiefer als gewöhnlich auslotet. Chauprade geht dabei natürlich von einem sehr französischen Standpunkt aus, der sich von dem der Deutschen und Österreicher gründlich unterscheiden muß. Denn anders als wir hierzulande, hat Frankreich sehr reale historische Verantwortlichkeiten auf sich geladen. 

Im Grunde aber - das schreibt Chauprade natürlich nicht - ist Frankreich in einer nur um viele Jahre bereits weiter gereiften Situation, wie sie die USA derzeit herbeiruft. Die Unterschiede sind nur scheinbar. Es war ja nicht zuletzt Frankreich, das diesen Universalismus sogar ins europäische Recht einführte, es war Frankreich, das ganz Europa durch die Kriege Napoleons zu ganz neugeartetem Staats- und Wertepositivismus trieb, das die Kriegführung zum Bürgerkrieg umgestaltete, der nur noch Vernichtung des anderen, der zur Esitenzbedrohung wird solange es ihn auf Erden gibt, kennt. Und es war Frankreich, das nach 1918 (mit England) den gesamten arabischen Raum in reine Interessen auflöste.

Daß sich das Problem des Islamismus in Frankreich wesentlich tiefer stellt, als (noch) im übrigen Europa, liegt deshalb auf der Hand. Für uns jedenfalls ist es höchlichst interessant, die Diskussion (und ihre Brisanz) aus der Sicht der Franzosen kennenzulernen. Mit allen Fragwürdigkeiten. Denn Frankreich ist nicht einfach nur das Frankreich von heute, es ist es eben auch mit seiner Vergangenheit. Und so manche seiner Probleme sind nichts als die Frucht (vergangener) böser Tat.

Was Chauprade in diesem Sinn folgerichtig macht ist, zu einem Religionskrieg aufzurufen, dazu aufzurufen, die Islamisten mit Stumpf und Stiel und wo immer man ihrer habhaft wird auszurotten. Auch und gerade in Frankreich, denn der Islamismus sei eine ganz konkrete Gefahr für die französische Kultur.

Zur Erinnerung, wir kennen das nämlich bereits als Charakterbewegung: Das scheinbar Unlösbare aber Störende soll ausgewischt, ausgerottet werden, vom Erdboden verschwinden, damit die eigene Verantwortung und Tat dem (eigenen) Vergessen anheimfällt.

Auch dazu ruft er auf, die Christen dieses Raumes mit Militärgewalt zu verteidigen - oder (sic!) in Europa aufzunehmen. Weshalb er sogar die amerikanische Bombentaktik nicht nur gutheißt, sondern Frankreich aufruft, sich seiner Verantwortung bewußt zu werden, und sich an diesen Bombardements zu beteiligen. Eine "Gewissensallianz", die nunmehr überhaupt nicht merh überrascht.

Es sei jedenfalls, schreibt er, und darin ist ihm zweifellos zuzustimmen, ein schwerer politischer Fehler gewesen, die Ebene der Auseinandersetzungen in diesem geographischen Raum von den Staatsebenen weg hin auf universalistische Kriterien zu verlegen. Etwa auch, indem Israel nicht mehr über einen palästinensischen Staat sprechen wollte - und nun im Gegenzug die Rechnung präsentiert bekommt, indem sich eine islamistische Hamas sich zum Sprecher einer palästinensischen Sache macht, die gleichfalls nur noch die Vernichtung Israels zum Ziel hat.

Auch wenn der Aufsatz von Chauprade viele bedenkenswerte Aspekte hat, und durch seinen Standpunkt bereichert weil für uns manches neu beleuchtet und weitere Facetten aufzeigt, so kann ihm der VdZ aber in seiner Konsequenz - dem Aufruf zum Kreuzzug neue Art - nicht zustimmen. Europa, das Abendland, und auch Frankreich, erstickt an seinen eigenen historisch eingeschlagenen Wegen. Den Aussatz den man sich eingefangen hat, und der sich nun allenthalben immer deutlicher zeigt, wird man nicht durch "Nichtung" der Symptome wieder los. Weil nicht sein kann, was nicht sein darf. Der Islamismus ist Europas Schatten, nicht sein Gegner.




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