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Sonntag, 16. November 2014

Ein für allemal verspielt

Der Artikel in der FAZ ist gut, und das "mea culpa", das Stefan Niggemeier namens des deutschen Journalismus vollzieht, wird gerne angenommen. Weil es stimmt. Und Niggemeier bekennt auch die Sündenfälle ein.

Da wurde zu schuldzuweisenden Gewißheiten, was bis heute ungeklärt blieb (wie die Ursachen über den Abschuß der malaysischen Passagiermaschine), da wurde der Konflikt in der Ostukraine zu einer Auseinandersetzung zwischen dem immer guten Westen und dem bösen Putin, da wurde aus einer Gruppe von NATO-Offizieren eine "Kommission der OSZE", die die Ostukraine besuchte und entsprechend "informierte", da wurde nie über das wirkliche Ausmaß faschistischer Bewegungen in der Westukraine berichtet, da zieht Rußland seine Truppen "aus der Ostukraine" zurück, dabei waren sie nur auf russischem Gebiet im Grenzbereich zur Ukraine stationiert gewesen, da wurden berechtigt nach Ausgewogenheit suchende Gegenstimmen als "Putin-" oder "Rußland-Versteher" lächerlich gemacht, wurden die regelrecht explodierenden Gegenstimmen* in Zeitungspostings als Produkte bezahlter Rußlandagenten diffamiert, und so weiter, und so fort.

Das alles ist mit einer "beiläufigen Konzentriertheit" passiert, deren Pestillenz man aber sehr bald wahrnahm. Sie hat eine Journaille angezeigt, die nicht möglichst objektiv weil mit möglichst zweckfreiem Abstand von sachlichen Gegebenheiten berichtet, sondern sich als Mitkämpfer der Politik auffaßt. Sie hat sich damit verkauft. Und jedes Leugnen einer ohnehin bereits zuvor bestehenden, allseits bekannten, aber an diesem Prüfstein endgültig sittenlos gewordenen Nähe von Politik und medialer Macht ist zwecklos.

Viele Medienkonsumenten haben das sehr rasch erkannt, wenn auch ursprünglich mehr gefühlt, geahnt als gewußt. Entsprechend diffus war und ist oft die Gegenwehr. Aber man unterschätze die Wahrnehmung der Menschen nur nicht. Medienkritische Publikationen dominieren seither die Bestsellerlisten. Wenn Niggemeier vom Vertrauensverlust des Journalismus spricht, und davon, daß es ein Zurück zu mehr Ausgewogenheit brauchte, so kommt er in den Augen des VdZ deshalb zu spät. Man steigt nur einmal in denselben Fluß, sagt eine alte Weisheit.

Mit der mittlerweile sogar von so gut wie allen relevanten Medien - im Versuch zu retten, was zu retten ist - eingestanden einseitigen und manipulativen Ukraine-Berichterstattung ist ein Bruch in der Haltung der Konsumenten zu den Medien passiert, der nicht wieder zu heilen sein wird. Noch dazu, wo dieser Läuterungsprozeß bei weitem nicht alle Medien gleichermaßen erfaßt hat. Die Konsumenten haben aber einen Block der "Etabliertheit" erlebt, der selten so einheitlich in die selbe Kerbe schlug. Sich hier nun nachträglich korrigierend, abgrenzend, unterscheidend positionieren zu wollen, hilft nicht mehr wirklich.

Daß vielerorts überzogen darauf reagiert wurde und wird, daß Verschwörungstheorien (die sich vor allem aus dem Gefühl der Unsicherheit in der Faktenkenntnis  nähren) wuchern wie nie, ist dabei nur zu verständliche Reaktion der Gegenwehr. Hier hat sich ein Volk einer einheitlichen Schichte von Meinungsmachern gegenüber erfahren. Binnen weniger Monate hat sich ein großer Teil zuvor vertrauensvoller Medienkonsumenten zu skeptischen Informationssuchern entwickelt, die inmitten einer versagenden Medienlandschaft Orientierung und Standpunkt für ein eigenes Urteil suchen. Blogs und Internetseiten mit "aufklärerischen Intentionen" boomen wie noch nie, und das mit Recht. Das Etablissement wurde wie noch nie als "herrschende Klasse" empfunden, gegen die es sich zu wehren gilt.

Aber dieser Punkt ist nicht von heute auf morgen entstanden. Vielmehr muß er in einer Linie mit einer politischen Berichterstattung gesehen werden, die sich in den letzten Jahren allzu offensichtlich und wiederholt, ja notorisch falsch positioniert hat. Falsch, weil die historischen Entwicklungen die vertretene Interpretation von Ereignissen - man denke nur an den von den hiesigen Medien ausnahmslos (!) zum "Wendeereignis zum Besseren" hochgejubelten "Arabischen Frühling" - von den Realitäten seiner Kleider beraubt wurde. Die Medien haben sich damit auch jedes Vertrauens in ihre Deutungskompetenz beraubt.

Wer soll einer Zeitung noch vertrauen, die noch vor zwei Jahren Syriens Asad zum brutalen Unterdücker gestempelt hat, um heute zerknirscht vor den Trümmern des Staates Syrien, ja einer ganzen Region zu stehen, aus denen sich ganz neue und viel schlimmere Bedrohungsszenarien erheben, von Gruppen, die noch vor zwei Jahren "die Guten, die Unterdrückten" waren, die es angeblich zu unterstützen galt? Denn es gibt zahlreiche Beispiele dafür, daß diese Entwicklungen absolut vorhersehbar waren. Dabei ist die nächste Katastrophe des Vertrauensverlusts noch gar nicht richtig manifest geworden, die den Medien bevorsteht - in der "Klimakatastrophe", die nicht eintritt. Da steht ein wahrer Medien-Supergau an, den manche bereits jetzt abzutragen beginnen, aber auch hier bereits: zu spät, die Lawine ist bereits in Bewegung.

Wo wären eben jene Orientierungshilfen in den Mainstream-Medien, zu denen sich die Branche wie in Akkordierung kollektiv gemacht hat**, die über allem momentanen Gewitter die langfristigeren Linien und Bezugspunkte noch kennt und sieht? Wozu aber braucht man dann noch Medien, außer für ein paar Brocken Information, die man selber herausschälen muß, die aber Medien völlig austauschbar machen? Das Konzept, auf einzelne Kommentatoren zu setzen, funktioniert nie für ein ganzes Medien, und insgesamt wirklich nur in Einzelfällen (wie bei Peter Scholl-Latour), die sich aber längst anderwärtig autorisiert haben. Man identifiziert Journalist mit Medium, mit Recht.

Die Journaille hat freilich bis heute noch keinen Weg gefunden, mit solchem massivem Versagen umzugehen. Erst in Zusammenhang mit der Ukraine-Berichterstattung kommt es da und dort zu zaghaften Versuchen, den Stier bei den Hörnern zu packen. So wie in diesem (dabei immer noch zaghaften) Artikel in der FAZ.

In einem Punkt muß man Niggemeier zustimmen: das ist keine positive Entwicklung. Die Meinungsbildung - als Prozeß, nicht als Ergebnis medialer Erziehungsabsichten - ist noch problematischer geworden. Denn die öffentliche Meinung ist kein leeres Phantom, sondern sie ist eine Vorform des geistigen Raumes eines Volkes, einem Organismus vergleichbar, in dem wie in jedem Organismus eine Ordnung des Zueinander herrscht. In einem komplexen Vertrauensspiel aus Offenbarern und Rezipienten, kommt es zur Abklärung von Wahrheit in ihrer historischen Form als Sprache. Die Sünde wider diesen Geist ist also Mißbrauch der Sprache.

Diese Ordnung ist nun zerfallen, und sie wird es so lange bleiben, bis sich eine neue Ordnung (und das heißt auch zugleich: Hierarchie) etabliert hat. Aber darin haben die herkömmlichen Medien ihre Position verspielt, sie werden ersetzt werden. Und zwar zu einem Teil bzw. für einen Teil. Der geistige Raum, und damit die innere Einheit, ist also in einander feindlich gegenüberstehende Parteien zerfallen. Und das ist die schlimmste Auswirkung dieses einmal zuviel erfolgten Versagens der Medien, wo sich der bestehende Staat, das Etablissement, die "herrschende Klasse", das Volk zum Gegner gemacht hat. Das sich einer Schichte umso erbitterter gegenübersieht, die ihr demonstriert hat, wer die Mittel der Macht in Händen hält, und wozu er sie jederzeit zu mißbrauchen bereit ist.



*Zeitweise waren die empörten Stimmen in den online-Medien, als Foren- und Postingbeiträge, so zahlreich und massiv, und zwar in Medien aller Couleurs, daß es immer häufiger vorkam, daß die Antwort-Möglichkeiten zu diesbezüglichen Artikeln entweder streng selektiert, oder überhaupt gleich abgeschaltet wurden.

**Was eine eigene Betrachtung des Faktors "settled" als Siegel und Behauptung des Autoritativen wert wäre, wie sich an der Betrachtung des "Klimawandels" so eindrücklich ablesen kann.



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