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Freitag, 5. Dezember 2014

Alles mußte sehr schnell gehen (4)

Teil 4) Und weitere Faktoren, deren diese Strategie bedurfte



Ein Faktor stellte sich sehr rasch als das wahre Problem dieser Strategie dar - der vermeintlich doch ihre Stärke war: die notwendige Zusammenfassung von Politik und Militär. Alle diese Linien mußten ja in einer Person zusammenlaufen. Und das war im Fall Deutschlands der Kaiser, Wilhelm II. Der erwies sich sehr bald aber als mit zumindest dem militärischen Bereich viel zu überfordert, um ihn in eine Gesamtstrategie des Staates einzubinden. Er war zwar im Großen Hauptquartier des Heeres bis Sommer 1918 physisch anwesend, spielte aber lieber Skat und ging auf die Jagd. Von der militärischen und immer brutaleren Realität der Fronten bekam der formale "Oberste Kriegsherr" nichts mit, während die Intrigen "bei Hofe" ausuferten, sodaß Moltke im Stab zusätzlich einen Mehrfrontenkrieg kämpfen mußte. Wie hätte sich hier die der ursprünglichen Strategie fehlenden Szenarien, militärisch wie diplomatisch, entwickeln sollen?

Wie sah es denn aber mit den rein diplomatischen Notwendigkeiten dieser ursprünglichen Strategie aus? Deutschland brauchte für diese Konzentration auf den Westen aber Verbündete für den Osten. Beide Fronten konnte es nicht zugleich bedienen. Es brauchte nicht nur Österreich, sondern auch die Türkei, um einen russischen Angriff vom Süden her zumindest durch Bedrohung zu schwächen. Während der Verbündete über die Bagdad-Eisenbahn mit Nachschub versorgt werden konnte, um die Alliierten in Levante und Mittelmeer zu binden, vielleicht sogar den Suez-Kanal abzuschnüren, und einen Vorstoß der Alliierten über den Balkan zu verhindern. Wozu auch Bulgarien (und ein neutrales Rumänien) benötigt wurde. Phantasien von einem geplanten deutschen Vorstoß bis nach Indien, um England von seinen Kolonien abzuschneiden, wurden auch in Deutschland als utopisch angesehen. Aber das Interesse an der Niederwerfung Serbiens war durchaus im eigendeutschen Interesse, denn Serbien durchschnitt die strategisch bedeutsame Nachschublinie.

Österreich-Ungarns Rolle im Rahmen der deutschen Strategie war aber entscheidend, das Gelingen der Gesamtstrategie aber gleichermaßen für Österreich wie Deutschland überlebenswichtig. (Umso erstaunlicher ist, daß es nie zu strategischen Abstimmungen gekommen war; man hatte einander nur vage informiert.) Es mußte die zahlenmäßig überlegenen Russen im direkten Kampf binden und bis zum Sieg im Westen aufhalten, bedeutete außerdem für russische Armeen im "polnischen Balkon" die direkte Bedrohung, abgeschnitten zu werden. Wichtig, weil Berlin nur wenige hundert Kilometer von der deutsch-polnisch/russischen Grenze entfernt lag und die Kräfte für eine Verteidigung auf jeden Fall fehlten. DESHALB der russische Vorstoß über Ostpreußen, der mit dem bekannten "Tannenberg-"Sieg, einem meisterlichen Hasardstück eben dieser deutschen Taktik, seine Wende fand.

Aber schon in Ostpreußen zeigte sich, mit welch hohem Risiko Deutschland operieren mußte, wie die Ereignisse aber auch die Selbsteinschätzung deutschen Militärs fehlleiteten. Denn Tannenberg gelang nur durch die Animositäten und Nachlässigkeiten innerhalb der russischen Generalität. So wie die Deutschen in Ostpreußen 1914 operiert außerdem nur jemand, der keine Wahl hat und alles auf eine Karte setzt.*** Die Grunddogmen der deutschen Heeresleitung änderten sich nicht: Ein Krieg gegen Rußland war nicht zu gewinnen, mehr als Teilerfolge waren dort nicht zu erzielen, man mußte im Westen gewinnen.

Während Österreich, das sich bald seinerseits in einem Drei-, ja Vierfrontenkrieg wiederfand, mit dem Auffangen des russischen Hauptstoßes bereits 1914 ans Ende seiner Leistungsmöglichkeiten kam. Formuliert man es ein wenig überspitzt, so müßte man eigentlich sagen, daß Deutschland seine militärischen Probleme ausgelagert, an andere weitergegeben hat. Die erstickten nun daran, und mußten sich dafür den Hohn der Nachbarn anhören. Unabhängig davon, daß die österreichische Führung weithin tatsächlich ein Gipfelpunkt von Unfähigkeit und Dekadenz war, nicht viel anders als in Rußland. Karl Kraus' "Die letzten Tage der Menschheit" dürfte äußerst realistisch den Zustand in der k.u.k-Armee schildern. Für beide Monarchien war ja das Ende 1917/18 sehr realer Vollzug ihres inneren Zustands, da hilft kein sentimentales Nostalgiewunschdenken.****

Die Psychologie wurde also noch bedeutsamer, denn ein Feind war erst besiegt, ein Krieg gewonnen, wenn das der Feind, ja ein Volk auch selber so sah. War das nicht zu erreichen, mußte man sich auf einen Volks- und Partisanenkrieg einrichten, und der - das wußte man schon damals, und es stimmt bis heute - war niemals zu gewinnen. Deshalb spielt der Mythos, an den die Menschen glauben, die Medien die ihn verbreiten, stärken, ausarbeiten, eine noch größere Rolle denn je. Die moderne Massen- und Mediengesellschaft, die pseudologischen Zivilisationen als eigentliche Objekte der Propaganda, entscheiden auf diese Weise tatsächlich Kriege.

Was erklärt, warum sich die USA derart massiv auf diese Ebene gestürzt haben und stützen. Nicht zuletzt die Erfahrungen des Krieges gegen Frankreich 1870/71 haben das bestätigt: Durch den Sturz der Regierung war der erste und machtvolle Sieg Deutschlands fast nichtig geworden, denn nun hatte sich das Gesicht des Gegners gewandelt. Nur die Tatsache, daß sich das Volksheer - etwas anders als 1940ff - noch als Militär verstand, militärisch operierte, hat Frankreich letztlich doch besiegt. Als letzter Anklang an eine eingezäunte Kriegsführung durch Kabinettskriege.

Aber die USA befinden sich (wie sie selber meinen) geopolitisch gegenüber potentiellen Feinden in einer ähnlichen Lage wie Deutschland. Rußland gegenüber durch den Raum, Asien gegenüber durch dessen gigantische Überlegenheit an Menschen und Soldaten. Solche Gegner sind nach alter Militärweisheit prinzipiell unbesiegbar. Sie setzen also auf dieselbe, nur leicht modifizierte Militärstrategie, wie es Deutschland seit 200 Jahren tut - und wie es ihre großen Gegner auch tun.



Morgen Teil 5) Fußnoten und Exkurse



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