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Samstag, 6. Dezember 2014

Alles mußte sehr schnell gehen (5)

Teil 5) Fußnoten und Exkurse




*Diese Tatsache hat sich in der späteren BRD noch weiter verschärft, und stellt deutsche Außenpolitik vielfach in ein anderes Licht, als manche Öffentlichkeit ahnt. Denn sogar noch Kanzler Kohl hatte das formulierte Ziel, Deutschland im Rahmen einer gesamteuropäischen Sicherheitspolitik vom reinen Aufmarschraum zum Kernkampfgebiet der NATO - quasi zu seiner "inneren Linie" - zu machen, die NATO-Strategie also umzuformen. Denn sonst wäre Deutschland im Falle eines Krieges West gegen Ost zum bloßen Austragungsort von Schlachten, zur äußeren, keinem Maß der Zerstörung mehr unterworfenen Konfliktlinie geworden, und so wurde es in den NATO-Überlegungen nach 1945 ja tatsächlich eingestuft. Wenn jedoch die NATO ein "intaktes" Deutschland brauchte, würde es militärisch anders agieren müssen.  

Das beleuchtet auch die Vehemenz, in der Deutschland auf eine EU- und NATO-Erweiterung NACH OSTEN drängt, und wirft auch ein ganz anderes Licht auf die Rolle, die die Ukraine im Rahmen der gesamten NATO-Strategie hat. Deutschlands Militärstrategie (die maßgebend für die ganze Welt wurde) braucht zwei Räume, weil sie die im eigenen Land (theoretisch: anders als Rußland) nicht hat: eine vordere (äußere) Linie als Kampfort qualitativ hochwertiger Einheiten, um in der inneren Linie rasch umgruppieren zu können. (Ob sich das die Ukrainer ausreichend bewußt machen?) 

Und es erklärt sogar, warum dieser Nord-Südgürtel, vom Baltikum über Ostpolen, Weißrußland und die Ukraine bis zum Schwarzen Meer, seit mehr als 100 Jahren einen derartig hohen Blutzoll zu leisten hatte. Timothy Snyder spricht in "Bloodlands" von 14 Millionen Toten, die alleine dem sowjetischen und hitlerschen Terror zuzuschreiben sind, ohne Kriegstote (1. Weltkrieg; Krieg Polen vs. Sowjetunion, oder der sowjetische Bürgerkrieg) und viele Millionen (!) Auswanderer zu rechnen. 

Was Hitler und Stalin'sche Säuberungen und Völkermorde damit zu tun haben? Alles. Auch in Feldzügen sind Kampfräume - "Gräben" (wie die Zonen des Niemandslandes hießen, auf die vor den Stadtmauern der Müll gekippt wurde), Stätten der Nicht-Orte, Exterritorien der Kultur, in denen niemand etwas sieht, hört, riecht oder schmeckt, das niemand kennt, und um das niemand weint. Woran sich auch niemand mehr erinnert. Weil nichts menschlich-göttlichem Maßstab genügen muß, und doch alles amnestiert wird. (Friedensschlüsse enthielten zumindest früher immer auch Generalamnestien.)

Der VdZ kann sich auch nicht im Entferntesten vorstellen, daß das westlich der Karpaten liegende Europa - EU, NATO - ernsthaft daran denkt, die Ukraine so weit zu ihrem "Territorium" zu zählen, als sie sie als Kernland tatsächlich verteidigen wird. Das ist (und war) militärstrategisch gar nicht möglich.

**Recht sicher war der immer tiefere Konflikt zwischen der deutschen und österreichischen Generalität - namentlich Falkenhayn, Hindenburg etc. hier, Conrad von Hötzendorf dort - weit tiefer motiviert, als es etwa Jörg Friedrich in "14/18", aber auch viele andere, darstellen, die die Folgen der deutschen Strategie vielleicht nicht ausreichend begreifen. Hötzendorf dürfte aber die fatale Problematik der deutschen Strategie erkannt haben, wußte, daß die nur aufgehen konnte, wenn man den Gegner definitiv besiegte. Das hat sich am deutlichsten nach dem "Durchbruch bei Gorlice-Tarnow" im Mai 1915 gezeigt. Hötzendorf verlangte die Verfolgung der vorerst geschlagenen Russen, unter Abschneiden ihres Südflügels, um sie nachhaltig zu besiegen. Doch der deutschen Generalität waren die Aufgaben im Westen wichtiger. 

Hötzendorf muß begriffen haben, daß Österreich-Ungarn in der deutschen Doppelmühle gleichermaßen festsaß, hatte aber zu geringe eigene Kräfte zur Verfügung. Denn die waren zum einen in den ersten Offensiven der Russen bereits verblutet (Österreich verlor bis zum Winter 1914/15 praktisch seine gesamte Armee, mußte alleine im Osten 1,4 Millionen Mann ersetzen; es hatte aus ähnlichen strategischen Konzepten wie Deutschland, aber mit weit schlechteren Bedingungen, mit keinem langen Krieg gerechnet). Zum anderen traf die Kriegserklärung Italiens ein, das auf den günstigsten Moment gewartet hatte, um seinen Preis bei den Alliierten (Südtirol und Trentino, Triest-Istrien-Slowenien/Krain, Westküste der Adria bis Albanien) hochzutreiben - die vorerst bereits dritte Front für Österreich-Ungarn tat sich auf. 

***Das Argument "Alternativlosigkeit", aber auch der Zeitdruck, hat in Teutonien eine sehr lange Tradition, er wurde zum Selbstgefühl. Auch bei Hitler läßt sich belegen, daß er sich unter höchstem Zeitdruck fühlte, schnell und unentwegt Fakten zu setzen, die den anderen pausenlos überraschten, und Besinnen ständig neu verhinderten.

****Der VdZ hat immer wieder und gerne Erinnerungsbücher an die Monarchie gelesen, häufig von damaligen Spitzen der Monarchie, oft hohen Adels, verfaßt. Bei aller Liebe und Wehmut, in der man gerne einmal sein Herz weiden läßt, kam doch immer wieder Entsetzen auf: Das war die damalige Elite? In einer solchen Sonderwelt dachte und handelte sie? Bei so viel Wirklichkeitsverweigerung, Verkennung der Welt und der Menschen, bei so viel - oft dabei so überaus charmanter - Selbsttäuschung wundert einen wirklich nichts mehr. Und das sagt der VdZ, der bekanntermaßen Monarchie und wahres Menschentum für Synonyme ansieht. 

Dabei soll offen bleiben, ob dieses fast kindliche Unverständnis, mit der die österreichische Monarchie der modernen Zeit gegenüberstand, in der ihre Wertbegriffe gar nicht mehr vorkamen, nicht die wahre Größe jener Epoche war, der nachzuweinen dann jede Träne wert wäre. Hier hält sich der VdZ aber gerne an Karl Kraus als Zeitzeugen. Der ja keineswegs ein Linker, sondern nur ein scharfer und wahrhaftiger Geist war, der sich in seinen späteren Jahren sogar offen zu politischen Konzepten der Restauration hierarchischen Staatsaufbaus bekannte. Weil er erkannt hatte, daß mit der Monarchie eine ganze - und eigene (!)- Kultur zerstört worden war.

Die k.u.k-Armee war schön. Aber sie hatte zu wenig Nutzen einer Welt der Verzweckung gegenüber. Ob das zu bedauern ist? In jedem Fall muß es dem deutschen, technizistischen Zwecksinn ein Greuel gewesen sein. Wer einmal hier vor dem alten Wiener, dort am Berliner Landwehrkanal vor dem preußischen Kriegsministerium steht, kann die völlig verschiedene Kategorie des Kriegsverständnisses deutlich fühlen. Hier ist immer noch Spiel, dort ist Thors Hammer, der der Welt einen Würfel schlägt.

Deshalb die häufigen Berichte aus dem 1. Weltkrieg, daß in dem Moment, wo durch deutsche "Korsettstangen", durch deutsche Führung der Geist in den österreichischen Armeen wechselte, auch deren Verwendbarkeit, deren "Kampfkraft" sprunghaft stieg, sich den der der deutschen Divisionen anglich. Oh, der VdZ kennt diese Haltungsdifferenz sehr sehr gut. Dem deutschen Geist der Neuzeit ist vielfach nur dann beizutreten, wenn man bereit ist, das Menschsein über Bord zu werfen und ebenso nutzenorientiert-zweckhaft zu denken. Aber der Preis dieser Beschränkung auf ein Segment ist enorm - es ist der Verlust der Welt zugunsten eines "effizienteren" Scheinbildes. Die doch ein Irrtum ist, der der Welt auf seltsame Weise nicht gerecht wird und scheitert.

Morgen Teil 6) Nachtrag - Ein tragischer Selbstläufermythos




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