Dieses Blog durchsuchen

Donnerstag, 15. Januar 2015

Newmans Häresie der Unfehlbarkeit (1)

Dem serbischstämmigen Leser S verdankt der VdZ einen Hinweis auf ein Dokument aus der Feder von John Henry Kardinal Newmann. Der mittlerweile Seliggesprochene ist ja von ungebrochener Aktualität, auch wenn er nach wie vor wenig rezipiert wird. Denn er hat sich besonders um die Zusammenführung von Wissen und Glauben verdient gemacht, um diesen Scheinbruch zu kitten, der der Kirche so fatal zusetzt. Eine Problematik, die vielen hellen Köpfen des 19. Jahrhunderts in den katastrophalen Auswirkungen bewußt war, weshalb es wirklich herausragende Werke gibt - man denke an Ceslaus M. Schneider und sein "Wissen Gottes" - die in klarem Denken aufarbeiten, daß es Wissen überhaupt nur geben kann, wenn beziehungsweise WEIL es in Gott Wissen ist. Aber so fundamental dieses Thema ist - darüber soll ein anderes Mal gehandelt werden. 

Hier geht es nämlich um einen Brief, den Newman verfaßt hat, und in dem er etwas ausbreitet, das manchen in Erstaunen versetzen wird. Und einige seiner Gedanken wollen wir hier ausführen.

Newman meldet nämlich darin seine Skepsis der bevorstehenden Dogmatisierung der Unfehlbarkeit des Papstes an! Und was er anführt, ist so einleuchtend, daß es im Grunde unbedeutend ist, welchen formellen Rang dieses Schriftstück hat. Denn selbst, wenn Leser S es verfaßt hätte (was wir ihm natürlich nicht unterstellen wollen, aber wer weiß ;-) so bliebe es doch wahr. Wollen wir einige Gedanken dazu ausbreiten.

Denn, um gleich ein Mißverständnis auszuräumen: Selbstverständlich zweifelt Newman nicht einen Augenblick an der Wahrheit, die sich in diesem Dogma ausspricht. Ja, die Logik dahinter zu erkennen, spielte ja in der Geschichte seiner Konversion eine entscheidende Rolle. Daß die Kirche in der konkreten Person des Papstes letztlich unfehlbar sein müsse, stand ihm nie außer Frage. Und dennoch spricht er sich DAGEGEN aus, dies als Dogma zu verkünden.

Denn Newman sagt etwas anderes: Er sagt, daß die praktischen Auswirkungen eines solchen Dogmas auf den normalen Katholiken verheerend sein könnten. Das ist schon deshalb interessant, weil dieses Dogma, so wie andere auch, einen sehr realen, historischen Kontext und Anlaß hat, auf den es hinzielt, indem sie eine implizite Wahrheit explizit machen, ihr damit eine stärkere politische, pastorale Dimension geben: den Kirchenkampf in ganz Europa. Das haben Dogmen überhaupt so an sich, denn ein richtiger Katholik bräuchte gar kein Dogma. ER hat ja das, was ein Dogma mühsam zusammenkratzt, und nur aus dem kann es schöpfen: das depositum fidei.

Das sieht gewiß auch Newman, auch wenn er sich darauf nicht bezieht. Aber genau der Grund ist es auch - die pastorale Seite - die ihn starke Bedenken anmelden lassen. Denn er sagt, daß sich nach dieser Dogmatisierung für die Weltkirche die Gestalt des Papstes ganz anders darstellen wird. Während sich nämlich diese Unfehlbarkeit lediglich auf den allerinnersten Kern des katholischen Glaubens, das despositum fidei, bezieht, wird die Verkündigung als Dogma hinkünftig jede faktische Äußerung des Papstes in den Geruch einer dogmatischen Äußerung stellen.

In Wahrheit aber ist der Anlaßfall für die explizite Bemühung der "Unfehlbarkeit" eine "minimalistische" (Zitat Newman) Angelegenheit, und sollte es auch bleiben. Denn der Glaube lebt aus dem inneren Bezug der Gläubigen auf dieses Herz der Kirche, auf den Heiligen Geist, der in ihr in Wahrheit herrscht. So daß man von Kirche als Vollgestalt ja nur sprechen kann, wo und soweit dieser Geist atmet. Ohne ihn wäre sie tot. Erlischt also dieser Geist in Gläubigen, so ist er auch durch kein Dogma wiederherstellbar. Denn auch das Erkennen der Wahrheit, die die Kirche darstellt, ist bereits eine Angelegenheit des lebendigen Geistes, ein Geschenk. 

Umgekehrt aber wird diese Dogmatisierung ganz neue Probleme aufwerfen. Denn wie die Kirchengeschichte lehrt, sind die praktischen, die pastoralen, ja sogar die moralischen Maßstäbe einzelner Päpste höchst unterschiedlicher Qualität, um es gelinde auszudrücken. Und nicht zuletzt die zweite große Kirchenspaltung - Luther ab dem Jahre 1517 (wobei er selbst erst ab 1519 von "Protest" spricht, denn eigentlich wollte er reformieren, Mißbräuche, "nützliche Mißdeutungen" auch durch Päpste abstellen, und gar nicht zu Unrecht) - führt sich keineswegs auf einen ursprünglich protestantischen Geist zurück, sondern auf reale (spirituelle!) Erfahrungen eines erst wohlmeinenden Reformers, der aber die Auswüchse des Papsttums, seinen Absolutismus, seinen Zentralismus, als Krebsschaden erkannte. 

Nunmehr aber wird - nicht gleich, aber allmählich - jeder Kritiker des Papstes und seiner Regierung zu einem tendenziellen SEDISVAKANTISTEN. Das ist ungefähr dieselbe Ebene wie jene, auf der sich die Kirchensteuer in Deutschland und Österreich abspielt: Selbst aus der Pflicht jedes Gläubigen, für den Erhalt der Kirche (wie jeder Bedürftigen) zu sorgen, läßt sich nicht ableiten, daß er bei deren Verweigerung NICHT MEHR KATHOLISCH, kein Mitglied der Kirche mehr sei. Durch die teuflische Kirchensteuer aber findet sich diese Problematik UNTRENNBAR verquickt. Denn wer nunmehr die Zahlung der Kirchensteuer verweigert, ist gezwungen, AUS DER KIRCHE AUSZUTRETEN. Und DAMIT setzt er einen Akt des Abfalls von der Kirche. Jedes noch so wohlmeinende Argument, daß das ja nicht so sei, weil es ja auf die innere Haltung etc. etc. ankomme, greift zu kurz. Die Sache ist NICHT MEHR ZU TRENNEN. Und ganz real setzt jeder, der aus der Kirche austritt, auch einen realen Akt der Apostasie, des Abfalls vom Glauben - mit Auswirkungen auf sein Seelenheil. An dieser Wahrheit führt kein Weg vorbei.

Und dieses Beispiel zeigt, wie sehr dogmatische Fragen mit ganz einfachen historischen Handlungen veränderbar sind. Man nehme nur Ungarn, in dem der VdZ ja seit etlichen Jahren lebt, und wo er auch den Jahreskreis in die Heiligen Zeitschöpfungen der Kirche eingebettet und zum Heil erhöht erfährt. Aber hier gibt es keine Kirchensteuer. Lediglich freiwilligen Obolus, mit einer Empfehlung der Kirche, ihn mit einem Prozent des Jahreseinkommens festzulegen, denn damit komme sie durch. Das war's.  Niemand hier tritt aus. Und wenn, dann ist es ein definitiver Akt des freiwilligen, bewußten Abfalls. Und niemand nimmt einen am Schlafittchen, weil man nur 0,5 Prozent oder gar nichts abliefert. Und man wird auch nicht heiliger, weil man mehr spendet. 

Entsprechend ist der im kirchlichen Alltag erfahrbare Bürokratismus (was das ist, weiß ein Kirchendiener in Österreich, Laie oder Kleriker, ja nicht einmal mehr, der VdZ hat es erst jüngst erlebt: die leben überhaupt schon in einer Separatwelt) nicht vorhanden. Es gibt ihn in Ungarn nicht. Und - es gibt auch nicht die Frage, die sich der VdZ in Österreich permanent gestellt hat: Ob man aus der Kirche austreten wolle, weil einem etwas an ihrer realen Politik nicht paßt. Dafür sind die Kirchen voll, tatsächlich, voll, immer, und die hohe Anzahl der Messen und kirchlichen Feiern in den vielen Kirchen in Sopron steigert sich immer noch, von Jahr zu Jahr. Aber wir werden schon wieder ausschweifend ... Zeigen wollten wir, daß ein dogmatischer Inhalt keineswegs von praktischen und historischen Fragen abzukoppeln ist.


Morgen Teil 2) Wie aus einem Menschen plötzlich ein Heiliger wird




*150115*