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Montag, 13. April 2015

Es könnte doch gehen?

Einen erstaunlichen Artikel, den man als Zeichen betrachten könnte, daß doch noch nicht aller Geist und alles Leben in Westeuropa erloschen ist, findet man in diesen Wochen in der FAZ. Und zwar in Form einer Kritik an der Diskussionssendung "Maybrit Illner". Diese hatte zu einer Diskussion über die Lage in Europa, unter besonderer Berücksichtigung der Entwicklungen in der Ukraine und in Griechenland, geladen. Der Kommentar von Frank Lübberding ist zwar  nicht "neutral", Lübberding nimmt Stellung, ist Partei. Aber er weiß das, weiß aber auch, daß nicht er der Politiker ist, und läßt damit eine Offenheit von Fragen zu, die schon zu stellen bislang verboten war, weil sogar die Informationspolitik instrumentalisiert wurde. Verboten? Erstickt in einer Einschränkung der Sichtweisen, die die Realitäten zum Teil wenigstens verweigert hat, um nur ja "moralisch" zu sein. Europa hat sich mit ihrer eigentümlichen (und dabei so widersprüchlichen, nahezu irrationalen) Moralisiererei in eine politische Sackgasse manövriert.

Kaum ein Politiker, der aus unfruchtbaren Denkschablonen auszubrechen in der Lage war, und das ist der wirkliche Grund, warum es in diesen Fragen (nicht in Europa selbst, nicht im Verhältnis zu den angrenzenden Weltregionen) zu keinen konstruktiven Lösungen kam und bislang kommt. Festgefahren in "Gesolltem", werden die eigentlichen, die großen, geopolitischen Perspektiven ignoriert. Die aber neu zu schaffen sind, und immer wieder neu zu schaffen sind, um einer sich ändernden, sich IMMER ändernden Welt noch gerecht zu werden. Damit erst schafft man auch die Möglichkeit, das größere Ganze, das Wichtige doch noch zu wahren.

Dies hat in Europa Zersplitterung bewirkt. Denn man hält am zufälligen Vereinzelten fest, und merkt nicht, daß sich die Grundmotive und -ziele auseinanderbewegen. Das kommt einer Verweigerung des Blicks auf die Wirklichkeit gleich. Damit steuert man blindgemachten "sehenden" Auges, und ohne Handlungspotenz, es zu ändern, auf Situationen zu, von denen keiner eine Vorstellung hat, wie sie einmal zu beherrschen wären! 

Was, wenn die Ukraine wirtschaftlich und innenpolitisch wirklich zusammenbricht, und alle Anzeichen deuten darauf hin? Europa kann sie dabei nicht auffangen! Mehr als PR-Standardsätze scheinen europäische Politiker (und, wie in diesem Fall der Talkshow: amerikanische Generäle) nicht aufbringen zu können.

Dasselbe ist doch auch längst in Griechenland eingetreten, und dort sind die Kräfte Europas bereits an ihre Grenze gestoßen. Findet man über reine finanz- und wirtschaftspolitische Diskussionen, deren Wege eben versagt haben, keine Inspiration mehr, die Grundsituationen durch Neudenken wieder zu durchbluten. Denn wer denkt da noch an das höhere Gut - die Rolle, die Griechenland (mit der Türkei) für den gesamten (und längst auseinandergefallenen) Vorderen Orient spielt? Griechenland hat in diesem Raum nicht nur eine historische (vor allem: geistige! und damit: von den Wurzeln her ordnende!) Sendung, sondern ist ja auch die Außengrenze Europas zu diesem geopolitisch so bedeutenden Gebiet.

Es geht also zu allererst um ein Neudenken des Nomos, als jenes Wertegefüges, das den wirklichen, tiefen Beziehungen der Völker und Länder untereinander - auch und vor allem unter historischen Aspekten - gerecht wird. Über allem tagespolitisch Vordergründigen bzw. darunter liegen nämlich Grundbedürfnisse, Grundbeziehungen, die mit ein bisserl Geldverschieben nicht zu regeln sind, ja im Gegenteil, diese tiefen Konflikte noch verschärfen.

Konflikte, die deshalb entstehen und immer größer werden, weil niemand die Situation Europas (und seiner angrenzenden Räume) grundlegend neu durchdenkt. Und dazu muß man erst einmal zur Kenntnis nehmen, was überhaupt DA ist. Nicht, was man aus irgendwelchen Gründen (um bestimmte Zahlen der Staatsbudgets etwa zu halten) zu sehen sich weigert. Das heißt nicht nur nicht, sondern fast im Gegenteil einen Nomos "zu erfinden". Es heißt einfach, diese Grundkräfte neu auszugraben, und darauf aufbauend konkrete politische Lösungen zu suchen. Nur die Hüllen - und sie sind es ja, die in den letzten Jahren und Jahrzehnten aufgerissen, auseinandergebrochen sind - auf jeden Fall und um jeden Preis aufrecht zu halten ist dabei kontraproduktiv. Nur aber wenn man den Nomos kennt, kann man überhaupt von "moralisch" sprechen, denn tagespolitische Moral kann sich nur darauf beziehen.

Nur so kann man also Politik machen, die den wirklichen Bedürfnissen der Länder und Völker gerecht werden. Das braucht auch Politiker, die bereit sind, neue Strukturen zuzulassen, zuerst denkerisch, und dann realpolitisch. Das braucht Politiker, die sich diesen wirklichen, tiefen Beziehungen und Bedürfnissen offen stellen, und sich dann mit allen Betroffenen an einen Tisch setzen, und das Pferd nicht vom Schwanz her aufzuzäumen versuchen. Solange wie derzeit in Europa der Schwanz mit dem Hund wedelt, wird die Tagespolitik widersprüchlich und immer widersprüchlicher werden, weil sie Grundbedürfnisse durchbrechen, die zu denken und als bestehende wie zu schaffende Ordnung zu begreifen aber niemand wagt. 

Wer aber nicht fest vor Anker liegt, ist von jedem Wind in eine andere Richtung zu schieben. Und plötzlich staunt der Laie und wundert sich der Fachmann, daß nach und nach einzelne Länder eigene Wege etwa im Verhältnis zu Rußland suchen. Nur von einem vitalen Bezug zum Nomos her läßt sich auch die Schichtung europäischer Politik begreifen, und Tagespolitik ebenengemäß, nach sachgemäße(re)n Prioritäten, als letztlich doch einheitlich gestalten (ohne daß jedes Detail gleich sein muß: es muß ja nur die Richtung stimmen, in die es mündet).

So lange nicht grundsätzliche Dinge geklärt werden, wird auch Europa bloßes Werkzeug von Ländern bleiben, wie den USA, die diese Fragen zumindest zu lösen anstreben, aber dies aus ganz anderen Interessensgewichtungen heraus tun. Sie haben es leicht, weil es gar keine definitiv europäische Haltung dazu gibt. Die Europäer, so das Fazit Lübberdings in der FAZ, brauchen gar niemanden, der sie spaltet - das schaffen sie alleine. Während die einzige euorpäische Macht, die dies begriffen hat, und das ist Rußland unter Putin, wie mit einem Erntekorb herumreist und Früchte einsammelt*. Die Angst vor Rußland, so der VdZ, besteht in einem gewissen Maß also durchaus mit Recht! Aber sie ist die typische Angst vor der Vernunft, zu der in Europa gar niemand mehr in der Lage zu sein scheint.

Denn die Welt besitzt der, der Vernunft hat, und das heißt: ihr gegenüber offen ist, um an ihr teilzuhaben (denn niemand "besitzt" sie je endgültig, sie ist eine stachelige Frucht). Das ist weit mehr als Kalkül (und das wäre im übrigen auch das, was man als "christlich" bezeichnen könnte: denn die Welt liegt letztlich in Gottes Hand der Vorsehung - Zukunft ist immer offen -, nicht in der des Menschen, in der alleine alles zum Tode erstarrt.) Rein rechnerisches, rationalistisches Kalkül hingegen verträgt keine Gegensätze, und braucht die Erstarrung der Einzelnheiten. Vernunft hingegen vermag auch Gegensätze zu akzeptieren - und dennoch zu einen, weil von ihr aus auch Vertrauen in die Zukunft aufgebaut werden kann, selbst wenn diese noch nicht bekannt ist.



*Das geht mittlerweile sogar so weit, daß auch hiesige Medien nicht mehr umhinkönnen, von der "erstaunlichen" Erholung des Rubels zu berichten. Dabei war das alles andere als erstaunlich, und sogar durch kluge russische Politik (etwa gegenüber ihren Unternehmen im Außenhandel) bewirkt. Und kühle Köpfe haben das schon vor einem Jahr gesehen und gesagt (nur wurde davon kaum berichtet): der Sturz des Rubel war gewollt, sogar herbeigeführt, und durch die reale Lage des Landes keineswegs gedeckt, er war also unterbewertet. Aber da waren die Kiefer hiesiger Medien vor dem zu sollenden Niederschreiben Rußlands - als Teil der Blockadepolitik - in Beißhaltung gelähmt. 

Schaut man genau, hat man nur ein wenig Einblick in die Mechanismen der Medienwelt, wirkt die europäische Medienlandschaft ohnehin längst wie von zentraler (politischer) Hand konzertiert und gesteuert. Das braucht aber gar kein offizielles "Zentralbüro" mehr. Die Mechanismen dazu sind längst allgemein und immanentisiert: durch den interventionistischen, zentralistischen Sozial- und Subventionsstaat. Es hat in dem Fall auch verhindert, die ganze Wahrheit zu sagen: Daß sich Europa mit den (grotesken, ja dummen) Sanktionen selber am schwersten sanktioniert hat. Es erzählt viel, wenn man sich schädigt, um Schaden am anderen zu behaupten, weil man Schaden mit Leiden verwechselt.  

Das kennt man prinzipiell vor allem von Kindern, die von Müttern zum Vaterhaß erzogen wurden - es ist also in Europa bereits allgemeine Haltung.


Dem VdZ fehlt freilich nach wie vor ein Ritus, der hiesigen Medien und Journalisten so etwas wie "Schämen" möglich machte, und das ist der Grund, warum die Glaubwürdigkeit der Medien gegen Null zeigt: sie sind zum Kampfraum von Interessen geworden. 

Aber so ein Ritus des Entschuldigens wäre ob so vieler Fehlinformationen (wo Wahrheit dem Gesollten zum Opfer fiel) schon sehr oft - nicht nur in diesem Fall - angebracht. Ja es wird, das behauptet der VdZ mit vollem Ernst, ein Hauptkriterium der Medien in den nächsten Jahren und Jahrzehnten, denn mittlerweile hat der völlige Unsinn in den Medien bei weitem Übergewicht. Wenn sie DIESEN Sprung nicht schaffen, sind sie tatsächlich nicht zu retten. Etwas, was sich in der FAZ übrigens tatsächlich (wenigstens ansatzweise) schon vor einem Jahr zu vollziehen begonnen hat.




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