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Freitag, 22. Mai 2015

Der Zuschauer will nur das eine (2)

Teil 2) Man spielt sich die Theater leer





Sie werfen biligen Zucker unter die Menschen, und glauben die dadurch erzielte Dankbarkeit hätte einen absoluten Wert. Das ist in der Kirche - Stichtowrt "Niedrigschwelligkeit" - um nichts anders, ja nahm von dort seinen Ausgang.  Und das gehörte den Herren mal um die Ohren gedroschen, denn alles beginnt in der Religion. Das sagen sie aber nur noch in heiligen Seminaren oder hochgelahrten Dissertationen, ohne noch zu glauben, daß das auch Wirklichkeitsrelevanz hätte. Wen zieht man damit an? Dasselbe Niveau, das dann auch noch nach unten bricht. Jeder Geist aber, jeder Mensch somit mit Willen zur Vernunft, scheut doch längst das Theater, und das Theater der katholischen Gottesdienste, die billiges Entertainment wurden. Wer heute noch Vernunft (aber schwachen Glauben, also fast jeder) hat, geht weder ins Theater, noch in die Gottesdienste. Da gehörte allen, am Theater nicht weniger als in der Kirche, vom Papst angefangen (und er scheint ja nur darauf zu warten!), gehörig in den Arsch getreten.

Kunst, Inszenierung muß nicht etwas zeigen, das der Zuschauer noch nie gesehen hatte, sonst wäre sie minderwertig. Und sie muß auch niemanden dort "abgholen, wo er steht". Das kann nur das Stück machen, das ist ja seine Qualität (oder nicht). Wer die Spielpläne so einrichtet, hat schon verloren, weil er sich ums Publikum spielt, oder ein falsches aufbaut, anzieht. Das gar keine Kunst sucht. Sondern virtuellen Dauerplausch, um sich in seiner Scheinwirklichkeit des Manichäischen, Soporanaturalistischen zu halten. Dem deshalb jede Minute langweilig ist, wenn es nicht pausenlos auf einer ganz anderen Ebene als der Kunst, im Entertainment nämlich, aus den Sitzen gerissen und persönlich verblüfft wird.* Man füllt die Lücken mit "Interessantheit", wo der Inhalt angebracht wäre, der nicht im Moent liegt, sondern in der nur aus und mit der Erinnerung möglichen Spannung, weil dort die Handlungsbögen abstrahiert werden - als Wirklichkeit. Als statische, eine Wirklichkeit.

Einem Stück läßt sich nichts hinzufügen, es sei denn, es ist sowieso schlecht, stellt eine dieser Grundwirklichkeiten nicht ausreichend dar. Warum aber führt man es dann auf? Nur Gelangweilte fordern etwas "Neues". Sie erinnern sich? Das sind die, die zu Geist - ein schöpferisches, sich übersteigendes Selbstsein, auch des Zuschauers - gar nicht mehr in der Lage sind.

Deshalb kann man gute Stücke, gute Filme, gute Bücher (!) oder was auch immer, immer wieder ansehen, lesen, genießen, egal aus welcher Epoche, und eigentlich auch egal in welchem Kostüm. (Und - man kann eine konkreten Situation im Gedächtnis bewahren, und damit das Wirkliche rememorierend aktualisieren, immer wieder, dem Außen entwachsen.) Gute Kunst verbraucht sich nicht, und nur gute Kunst ist Kunst. Und der Zuschauer möchte das auch: er will Kult, Kult des - Einen, in Zahl Wenigen, aber alles durchdringenden - Wirklichen, in dem er ja selber lebt. Der größte Kult ist im Äußeren scheinbar immer gleich.

Sieht man es nicht, weil man im Zufälligen (und das psychisch Faktische, also auch das oberflächliche, "stark vom Effekt gefangene" Erleben" ist in diesem Sinn fast immer zufällig) verhangen ist, kann man nicht diese Wirklichkeit erneuern, neu in den Willen stellen weil besitzen, und geht unbefriedigt aus einer Vorstellung.

Und stimmt, während man den Mantel anzieht und die Handschuhe glattstreift, in den Chor der Gewohnheitsplauderanten ein, und münzt die eigene Unzufriedenheit mit ihnen um: "Ach, nichts Neues".

Heute erzieht man regelrecht das Publikum um. Das allmählich in der nominalen "Kunst" gar keine Kunst mehr sucht. Den Kult dann woanders hin verlegt. Kunst wird dann zur Attütüde einer virtuellen Lebenshaltung. Die Kunst aber sucht man schließlich woanders.




*Stücke von Elfriede Jelinek zeigen das exemplarisch: Sie sind nur erträglich, wenn die Regie sich in gewaltigen Kosten- und Einfallsanstrengungen pausenlos selbst in überraschenden Effekten überbietet. Eine Jelinek-Inszenierung läßt sich deshalb nicht nur nicht wiederholen, sondern sie läuft sich mit der Zahl der Inszenierungsversuche tot. Hat man die "Einfälle" gesehen, sind sie das nächste mal automatisch langweilig weil "schon bekannt", haben sich verbraucht. Die Nobelpreisträgerin zeigt nur situatives, faktisches Stückwerk, nie eine Wirklichkeit, die sie gar nicht sieht, weil sie zu sehr in sich verfangen ist, von sich nicht loskommt, und damit im Zufälligen steckenbleibt, das sie nie ins Eine - das außer einem liegt - zusammenführen kann. Ihr Problem ist nicht, daß sie sich "mit sich" befaßt, das tut jeder Schriftsteller, sondern daß sie von sich gefangen ist, das Treibende nicht "isolieren", von sich wegstellen kann. Jelinek-Stücke zeigen deshalb überhaupt nichts, sie hat nichts zu sagen, ihre "Aussagen" sind dazugehängt wie Zuckerstreusel am Sandkuchen. Sie befeuern nur das intellektualistische Dauergequatsche einer Virtualelite. Bei Handke ist es doch anders, wenn auch von sehr sehr fragiler, fast zufälliger Qualität, weil ihm der Geist fehlt, den er immerhin aber ahnt. Jelinek ahnt ihn nicht einmal. Sie ist nützlicher Idiot.




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