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Montag, 15. Juni 2015

Identitätsverlust

Interessante Zahlen liefert eine Untersuchung über die Religionsstruktur in den USA, die die Veränderungen in den Jahren 2007 bis 2014 betrifft. Demgemäß waren von allen US-Amerikanern im Vorjahr noch 31,7 % als Katholiken geboren und aufgewachsen, aber nur noch 20,8 % bezeichnen sich heute als solche. Und das trotz der ungebrochen hohen Zuwanderungs- und auch weit höheren Geburtenraten von Menschen aus lateinamerikanischen Ländern*, die mehrheitlich katholisch sind. Das ergibt in nur sieben Jahren eine Reduktion um 10,9 Prozentpunkte, oder: den Verlust eines DRITTELS von sich noch 2007 als Katholiken sehenden Mitgliedern.

Der Anteil der Protestanten hat sich im selben Zeitraum etwas geringfügiger reduziert, er sank von 50,2 % auf 46,6 %. Leicht gestiegen ist allerdings darin der Anteil der (genuin protestantischen) Evangelikalen, von 23,9 % auf 25,4 %. Sodaß die absolute Zahl der quasi traditionellen Protestanten gleich stark absank wie der der Katholiken in den USA. Bei letzteren fällt aber auf, daß die Zahl der Übertritte IN die Katholische Kirche deutlich niedriger ist als bei den Protestanten: Viele verlassen aktuell also die Kirche, aber nur sehr wenige treten ein.

Mit den "Skandalen" zu argumentieren, die die Kirche auch in den USA erschütterten, ist nicht stichhaltig, und man macht es sich damit viel zu leicht. Denn wie Untersuchungen etwa aus Österreich zeigen, sind solche Ereignisse lediglich die Auslöser - für einen längst gereiften Prozeß der Identitätserosion. Und das ist auch der entscheidende Punkt: Identität. Denn Glaube ist wesentlich Identität, selbstverständliche Gestaltung des Lebensrhythmus, ist Gestaltskategorie, kein Einzelverhalten. Wer je im Verkauf war (und darüber reflektiert hat) wird bestätigen, daß die Zustimmung zu einer Zubehörigkeit (und das ist das Kauf-Verkaufsgeschenen) der Eintritt in eine gemeinsame Gestalt ist, die beide Seiten nun überspannt, in die der eine sich nun auch birgt, sodaß der Entschluß für einen "Käufer" (man verzeihe diese banausische Parallele, aber sie ist hier aussagekräftig) zur natürlichsten Sache der Welt wird. Weil er sich selbst zustimmt, sich in einem Seinszustand (und das ist Identität) sieht, einem Seinszustand ganz (per rituellem Entschluß) beitreten will.**

Deutlich gestiegen ist der Anteil derjenigen ohne Religionszugehörigkeit - während nur 9,2 % so aufwuchsen, sehen sich 22,5 % der Amerikaner heute in dieser Gruppe. Dieser Anteil wächst also rasend schnell. Wieweit es sich in den Glaubensbekenntnissen um graduelles Absteigen handelt - also: vom Katholik zum Protestanten, von dort zum Evangelkalen, und von dort zum Konfessionslosen - geht aus der Studie nicht hervor. Aus persönlicher Einschätzung meint der VdZ, daß es sich die Waage halten wird: Katholiken tendieren nämlich zwar eher dazu, sich völlig zu verabschieden. Denn wer einmal die Vernunft gekostet hat, sie aber nicht mehr findet, gibt sich auch mit der fideistischen Simplifizierung, wie sie der Protestantismus et. al. vornimmt, nicht zufrieden.

Aber ein großer Teil wird seit langem innerkirchlich protestantisiert, vor allem in den charismatischen Gruppierungen, sodaß der Übertritt in eine evangelikale Gruppe kaum noch als Schritt erscheint. Das hat der VdZ oft und oft erlebt. Längst ist - gegen die dogmatischen und philosophischen Tatsachen - die herrschende Lesart auch in weiten Teilen der Kirche, daß der Protestantismus nur ein anderer Grad von Katholizismus bzw. Christentum sei.*** Vor allem in Südamerika ist dies zu beobachten, wo manche davon sprechen, daß er dort bereits zur Massenbewegung wurde. Der Schritt von Freikirchen, Evangelikalen zu heidnischen oder überhaupt atheistischen Strömungen ist freilich tatsächlich nur noch graduell, und passiert schneller, als viele meinen. Denn der Fideismus IST eine Art des Atheismus.

Insgesamt fiel der Anteil derjenigen in den USA, die sich überhaupt noch Christen nennen, zumindest aber als solche aufgewachsen sind, um satte 15 Prozentpunkte auf heute 70,6 % Bevölkerungsanteil. Alles das wie gesagt nur in den letzten sieben Jahren.







*Aktuelle Bevölkerungshochrechnungen gehen davon aus, daß in 2-3 Jahrzehnten die Latinos erstmals die größte Gruppe in den USA stellen weil die Weißen zahlenmäßig überholen werden. Während die der Schwarzen weiter sinkt, und zwar auf etwa 10 %. Das ist etwa die Größe der Gruppe, die aus Asien abstammt.

**Die bekannt hohe Bereitschaft der Amerikaner, zu "switchen", also Zubehörigkeitsgruppen zu wechseln, liegt in der geringen Rolle der Gestalt in dieser Zivilisation begründet. Das zeigt aber lediglich "Konfession" an, voluntaristische Zustimmung - keinen Identitätsübergang. Salopp formuliert: Der Amerikaner lebt mehrheitlich "im Kopf", der seinem Leib aber davonschwebt. Weil aber Erkennen sehr wesentlich eine Frage der - leiblichten - sittlichen Haltung ist, kommt es gar nicht (oder nur sehr schwer) zu diesem eigentlichen Erkenntnisprozessen, denn auch das sind Identitätsvorgänge: Man hat nur das als Erkenntnis, wonach man sich formen hat lassen. Man glaubt also primär, wie man lebt. Denn so ist das Rhythmengefüge des Leibes, und so ist damit die Vernunftstruktur des Menschen. Die Liturgie der Kirche, ihre Riten sind deshalb Formungen in der Vernunftfähigkeit der Gläubigen, die sie dann sakramentenfähig macht. Heute hat man leider den Eindruck, daß die Kirche das regelrecht vergessen hat, und selber den Glauben als das sieht, was wie ein Luftballon über den losgelassenen Leibern schwebt. Opfer der Lebensumstände? Nein, im Gegenteil: Denn alle Lebensweisen beginnen im Kult, nicht in Moralquatschereien oder Twitterbotschaften. Das ist tiefste katholische Sichtweise.

***Was man bestenfalls von manchen Einzelpersonen sagen kann, nicht aber von der prinzipiellen Richtung, die der Protestantismus in allen Schattierungen ist.




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