Dieses Blog durchsuchen

Donnerstag, 25. Juni 2015

Nachhaltigkeit ist gar nicht möglich

In jeder Phase hörenswert ist dieses Gespräch des deutschen Philosophen Norbert Bolz in "Philosophie heute" des Schweizer Fernsehen (55 min.). Es sei dem Leser anempfohlen. Es berührt in großer Ruhe weil Besinnung ein großes Spektrum an aktuellen Themen. Manchmal könnte man den Eindruck gewinnen, daß der Besonnene, der Vernunftbereite, einer riesigen, ja gigantischen offenen Wunde gegenübersteht, in der sich unsere Gesellschaft in Schmerzen windet, der sämtliche Lösungsansätze zwischen den Fingern zerrinnen, an denen die sie aber umso verzweifelter und wütender, aggressiver festhalten. Nur in der Vernunft aber, die etwas völlig anderes als bloß intellektueller Diskurs oder gar Meinungsbildung sind, und auch nicht in Moralismen und auch nicht in religiösen ideologisierten Systemen, läßt sich in einer immer relativen, gefährdeten Welt Halt und Ruhe - auch zum (wissenschaftlichen) Diskurs - finden. Diese Ruhe bleibt selbst dann, wenn man nicht oder nicht in allem die Auffassungen des Gegenüber teilt.

Das tut der VdZ auch nicht bei Bolz, der einfach sehr deutlich Liberaler ist und dadurch viele Kernprobleme doch nicht bei der Wurzel zu erfassen vermag. Denn die Welt bezieht sich auf eine ontologische Struktur und Ordnung, die in gewisser Weise "statisch" zu sehen ist (in aller Gefahr, die menschliches Verstehen mit sich bringt, weil sie immer in Bildern arbeitet.) Diese ontische Fundierung liefert erst die Kategorien, in denen sich auch die Welt formiert. Sonst zerrinnt sie letztlich immer. Im Bereich der Phänomene liefert deshalb Bolz sehr gute Analysen und sogar Synthesen, aber es bleibt gefährdet, weil es die Welt nicht ins Absolute einzuankern vermag: das Absolute (Gott, das Sein) bleibt deshalb (beim Liberalen) der Welt außen, es fehlt ihm das Tor in die Welt. Daß Bolz evangelisch ist (übrigens: mit einer katholischen Frau, wie er erzählt) müßte er gar nicht mehr erwähnen. Das Fehlen dieser Verankerung IST der Grunddefekt der Protestanten. Die ihnen fehlende Ernsthaftigkeit den Weltphänomenen gegenüber, die ihnen ja keinerlei absolute Aussage in der Welt möglich macht, macht sie dann, wenn sie sich gegen die (dieses Absolute ersetzen sollende) Ideologisierung in Fideismen und Moralismen wehren, zum Liberalismus geneigt. Damit fehlt dem Liberalen die Legitimation für "absolut wahre Sätze".

Und das erhellt sich noch weiter, wenn Bolz erzählt, daß er bei T. W. Adorno promoviert hat. Dessen "Es gibt kein richtiges Leben im Falschen" genau diese Ausgangslage reflektiert. Aber aus diesem Vernebelungszusammenhang, in dem die Gesellschaften stehen, läßt sich ohne Absolutes nie ein Ausweg finden. Denn auch die Logik der Ursachen (die ja nur aus der Begrifflichkeit stammen kann, nur die läßt ja sehen, womit sie aber immer zeitbedingt ist) ist dann nur noch faktisch-zeitrelativ, und kann in ihrem existentiellen Bezug auf diese Zeitvernebelung gar nie ausbrechen, bleibt notwendig innerhalb dieser Verhängungen, auch wenn sie kritisiert.

Der Mensch bleibt damit immer Gefangener, seine Freiheit ist eine relative, trotzige Freiheit der letzthinnigen Verzweiflung. Die Lösung des Liberalismus, daß deshalb jeder so leben solle, wie er es eben für richtig finde, hat aber ihre Grenzen, die nicht mehr als Ethik zu definieren sind, sondern in ihrem Regulierungsbedarf - solche Systeme steigern sich zu hochkomplexen Systemen, das heißt, daß ihre Zusammenbrüche unausweichlich sind, und dann MUSZ reguliert werden - zufällig "irgendwie pragmatisch" werden. Von einer schöpferischen Gestaltung des Lebens kann deshalb im Liberalismus gar nicht mehr gesprochen werden. Das reduziert sich auf ein in seinen Grenzen aber nicht mehr faßbares "Individuelles", das zum relativ-Autonomen wird.

Alles gründet also in der Anthropologie. Letztlich sänke die Philosophie damit auf die Ebene eines Meinungsaustausches herab. Denn es gibt dann keine Wahrheit mehr, nur noch rationale bzw. pragmatische Übereinkunft. Weil es keine Rationalität, keine "Logik" gibt, die sich aus sich heraus zu wahren (absoluten) Sätzen aufschwingen könnte. Das ist rational (Gödel; Wittgenstein) beweisbar. Deshalb konnte sich der Protestantismus nur noch in der Hl. Schrift (sola scriptura) verankern, und sich darin durch den Glauben auch wider alle Vernunft (sola fidei) absichern. Aber es fehlt dem solcherart auf den Einzelnen zurückgeworfenen Glauben als a priori die Verbindungsbrücke (wie sich in Kant dann explizit zeigt) zum Absoluten, zu Gott.

Bolz bleiben deshalb als Publikum nur noch jene Clacque, die in ihm ihre ohnehin bereits bestehenden Ansichten bestätigt, vielleicht argumentativ aber etwas mehr (in diesem relativen Geflecht der Zeitsprache als Zeitdenken) verankert sieht. Und Bolz sagt es sogar selber: er wolle mit seinen Büchern Argumente für jene liefern, die so leben wollten, wie er es da herausgreift. Er wird zum bloßen sophistischen Stichwortgeber, seine Bücher werden Heuristik (Werkzeuge, im Absicherungsdisput zu bestehen).*

Dennoch, in dieser Vernunftbereitschaft erst, die man Bolz auch weitgehend abnimmt, beginnt Freiheit und Geist, dort liegt der nun erst mögliche Ausstieg aus den Getriebenheiten. Dem Mainstream beizutreten - und gerade die Medienanbindung heute ist ein riesiger Versuch, immer Anbindung zu finden und zu wahren - vermag diese Unruhe nicht zu beseitigen, sie verlagert nur die Grenzen, macht das Individuum aber noch empfindlicher. Wo das nicht gelingt, wird alles als Angriff empfunden, weil gerade die Vernunft die eigene existentielle Angst vor Augen führt.

Aber Vernunft erschließt sich nicht "rational", auch wenn sie auf Rationalität nicht verzichten kann, sondern als menschlich grundlegendste Gesamtausrichtung. Wo immer jemand zu Menschengruppen "dazugehören" möchte, und sei die Gruppe noch so klein, wird dem Geist bereits ein Riegel vorgeschoben. Persönlichkeitsgestalt und Vernunftstruktur, ja sogar und gerade die Logik, sind nur zwei Seiten derselben Medaille.

Das aber unterscheidet sich völlig von dem, was ein Lehrer sein kann. Und Lehrer braucht jeder Mensch! Und seien es die Eltern. Ein gerüttelt Maß der Unruhe der Gegenwart liegt am Fehlen, aber auch am - wenn es prinzipiell ist, ist es noch dazu töricht - Ablehnen von Lehrern.

Ein Gedanke des Gesprächs sei zum Schluß noch hervorgehoben, denn er ist sehr wichtig: Bolz sagt, daß es ein wissenschaftliches Faktum ist, aus der Kybernetik nachweisbar, daß hochkomplexe Systeme (wie unsere Gesellschaften zweifellos sind; nicht, weil sie kompliziert sind, sondern weil sie in ihren Wirkfaktoren die Grenze von einfachen Systemen in JEDER Gesellschaft, jedem Staat überschreiten) NACHHALTIGKEIT (nach gängiger Definition) GAR NICHT MÖGLICH machen. Das, so Bolz, sollte die Wissenschaft der Politik einmal erklären!

Das Warum liefert der VdZ an dieser Stelle ein wenig nach, mit Verlaub: Weil die Aktions- und Reaktionsketten jeweiliger Teilsysteme (die ja aus ihrem Eigenwesen heraus gleichfalls tätig werden) ein theoretisches, linear nur plan- und erfaßbares Ergebnis eines einzelnen Prozessauslösers, der sich aufs Teil- oder/und Ganz-Ganze auswirken soll,  mit mathematischer Notwendigkeit ausgelichen, ja mit hoher Wahrscheinlichkeit sogar weit übertreffen. Also kontraproduktive Prozesse zurückliefern, die zu einem neuen Gesamt-Rückschlageffekt werden. Hochkomplexe Systeme sind prinzipiell nicht steuerbar.** Diese (mathematisch-wissenschaftliche) Erkenntnis alleine macht jeden "Kampf gegen das Weltklima" (so wie jeden Kampf für oder gegen ein Abstraktum) zum puren Narrentum.









*Weil aber alles im letzten in der absoluten Wahrheit gründet, sind seine Bücher natürlich nicht NUR das.

**Deshalb ist der Instinkt der Nachhaltigkeitsfasler gar nicht falsch, wenn auch abzulehnen: Die über Totalitarismus, über Zentrallenkung von allem und jedem, das komplexe System zu einem einfachen linearen flachschlagen wollen. Simplifizieren also, wie es eben jede Utopie macht. Schudl am Scheitern sind aber dann natürlich Einzelne, die gegen die Idee "verstoßen". Also muß man die noch totaler beherrschen - die Logik jedes Totalitarismus. Der Mensch kann die Welt aber prinzipiell nicht beherrschen, und nicht retten! Er kann nur (mehr oder weniger kleine) Teilbereiche steuern. Dort, im nächsten Unmittelbaren, ist auch der Ort der Verantwortung, und jeder Ethik. An der je individuellen Bekehrung, die ein humanes Gesamtgeschehen ist, an der entscheidenden Wichtigkeit je individuellen (aber nie im Ganzen steuerbaren) Handelns, führt also nie ein Weg vorbei. Die Welt "als Ganzes" läßt sich niemals "verbessern" oder "gerechter machen". Jedes Abstraktum ist posthoc (bzw. im Ontischen a priori) feststellbare Kriterienfeststellung, aber niemals dinglich-konkretes Sachziel. Auch dann nicht, wenn es ein Papst fordert. Dann irrt auch der.





***