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Sonntag, 21. Juni 2015

Wahrheit geht jeder Mystik voraus

Wenn man die Mystik als (gnadenhaftes) Erleben der Göttlichen Wirklichkeit bezeichnen kann, so ist die heute vielleicht größte Gefahr, sie dem Irrationalen zuzuschieben. Denn sie ist von der Wahrheit nicht zu trennen - will sie denn christliche Mystik sein, und will sie wirklich Gott zum Erlebensquell haben, oder ... eine beliebige geistige Entität.

Deshalb ist es ein Fehler zu meinen, Visionen, Ekstasen, alle möglichen Erlebnisse und Zustände würden christliche Mystik anzeigen oder notwendig begleiten. Im Gegenteil - sind sie Erscheinungen, die Beiläufigkeitscharakter haben, und die zu suchen praktisch immer gefährliche Charakterprobleme, ja Krankheit anzeigt. Entsprechend sind sie nicht "an sich2 qualifizierbar, was sich daran zeigt, daß solche "mystischen Zustände" von pathologischen Zustandsbeschreibungen nicht nur nicht unterschieden sind, sondern daß sich eben geistige Gesundheit nicht ohne Wahrheit denken läßt. 

Der Mystik zugeschriebene Zustände sind noch dazu so gut wie immer psychologisch seht gut erfaßbar, einordenbar, beschreibbar. Weshalb alle wirklichen Mystiker solche Ekstasen stets mit größter Vorsicht betrachtet, wenn nicht sogar abgelehnt und bei sich bekämpft haben, soweit es ging. (Man beachte im übrigen die großartig umfassende und dabei hellsichtig analytische Sammlung von Joseph Goerres "Die christliche Mystik".) Im übrigen wird gerne vergessen, daß die höchsten Stufen der christlichen Mystik keine Ekstasen mehr kennen.

Dieses entscheidende Kriterium außer acht zu lassen ist kennzeichnend vor allem für jene, die ihren eigenen problematischen sittlichen oder psychologischen Zustand verbergen, verschleiern, "taufen" wollen, Gott im Subjektivismus ertränken.* Und häufig sich methodisch einfach aus der Welt erheben, um den mühsamen sittlichen Weg - Voraussetzung zur Erkenntnis der Wahrheit, weil diese eine personale Begegenung und Beziehung ist - zu umgehen.

Mystik geht niemals "Gott" oder gar "der Wahrheit" bevor, sondern sie braucht ZUVOR die Auseinandersetzung mit der Wahrheit, will sie mehr sein als Verstiegenheit, Curiositas oder Weltflucht. Dann hätten sogar jene Recht (wie etwa Alcous Huxley), die Mystik mit psychedelischen Drogenerfahrungen oder schlicht parapsychologischen Phänomenen (die alles andere als selten, sondern alltäglich sind, dazu ein andermal noch mehr) zumindest in den Phänomenen gleichsetzen. Das ist auch das Kriterium für Einzelerlebnisse (wie der Bekehrung des Apostels Paulus), die entweder zur Wahrheit bewegen, oder aber ins Gegenteil führen - weil durch den Eindruck VERführen, sich ans "Wohlgefühl des Erlebten" zu halten, und nicht an die Wahrheit.

Weshalb christliche Mystik nie etwas anderes ist als eine Weiterführung, Vertiefung der Wahrheit, die ihren personalen Charakter mehr und mehr erfahren läßt.

Denn es gibt nicht nur eine außerchristliche Mystik, aus genannten Gründen, sondern diese außerchristliche Mystik, die nicht von der (personalen) Wahrheit also ausgeht, bezieht sich in den allermeisten Fällen auf eine personsähnliche geistige Entität. Und damit sind wir sehr wohl im Reich der Dämonen.** Nur das Leermachen, nur das Freiwerden VON menschlichen Getriebenheiten und damit Unfreiheiten, genügt ja nicht, es ist nur die eine Seite - die andere ist, WER (oder: was) dann die Seele füllen (und in der Existenz halten) soll. Also sind wir auch hier beim Adressaten, an den sich wahre Mystik immer richtet, will sie nicht überhaupt nur weltimmanente Selbsttäuschung sein (auch ein "irgendwie" ist ja bereits eine metaphysisch urteilende Vorentscheidung) - bei der Frage nach der Wahrheit. Denn in jedem Fall geht Mystik von der Erkenntnis aus, daß die Welt selbst nicht in der Lage ist, einem im Eigentlichsten, im eigenen Herstammen, in der eigentlichen Wirklichkeit das Sein zu geben.***




*Denn man kann sich im Erfahren, Erleben nicht "aus sich selbst" beurteilen - das Urteil muß an der Wahrheit, die von außen kommt, geformt sein; das eigene Urteilen kommt immer von einer zuvor ergriffenen Wahrheit, nie "aus sich", nie aus "qualitativen Erfahrungen" - das Urteil über die Qualität einer empirischen Erfahrung ist immer ein Vernunftpostulat.

**Meistens sind diese aber lediglich einen selbst überspannende, geistig-dynamische Gebilde, die eine gewisse Autonomie gewonnen haben - dem Wahn direkt vergleichbar; denn der Unterschied zwischen Wahn und Wahrheit liegt im Wesen der Formung der Phantasie, also in Verantwortung der sittlichen Persönlichkeit. Sie ist es ja auch, woran der "Wahnsinnige" (als zur Vernunft pathologisch unfähig) erkrankt ist, nicht der Detailinhalt der Wahnbilder.

***Insofern finden sich in mystischen Strömungen anderer Religionen natürlich schätzenswerte Entsprechungen, auch in der Erfahrung eines personalen Gottes. In gewissen Stufen decken sich die  mystischen Erfahrungen und Erkenntnisse christicher Mystiker mit denen, wie sie Sufis beschreiben, oder in der Bhagavad-Gita vorkommen. Die im übrigen allesamt NICHT pantheistisch sind. Sie kommen aber allesamt nur bis zu einem gewissen Punkt - den nur ein lebendiger Gott, der wahre Gott, weiterführen und in eine noch einmal neue Qualität überführen könnte. Selbst, wer diese Frage von der Kirche löst, trifft also bereits eine Vorentscheidung, ein Urteil - das eine Haltung ist - über die Natur Gottes bzw. des Seins. Davon unterscheidet sich eine "Naturmystik" (die nur noch Kräfte oder "Energien" zum Gegenüber hat) noch einmal grundsätzlich. Unabhängig von den zahllosen Scheinformen von Mystik, die gar keine Mystik sind, und sich deshalb "Methoden", Techniken bedient, oder gar und zumalen heute mit schlichten parapsychologischen Erlebnissen in einen Topf geschmisssen werden. Wie beim Yoga, das Hermann von Keyserling lesenswert analysiert. Indem er zeigt, daß es lediglich eine physizistische Technik ist, die den wahren Boden der Mystik - Sittlichkeit - zu umgehen sucht und ganz anders motiviert ist als jede theistische Mystik. 

Ivo Höllhuber bringt ein illustrierendes Beispiel: In dem einen Fall kehrt ein Lichtstrahl zu seinem Ursprung zurück oder löst sich ein Tropfen Wasser in Wein auf; in dem anderen bildet sich der Wasssertropfen ein, selbst der Ozean zu sein, weil er keine Erfahrung vom Ozean hat und nicht einmal begreifen kann, was der Begriff "Ozean" bedeutet.




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