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Freitag, 25. September 2015

Nachgedanken zur Selbstwerdung

Nun haben wir es ontologisch - also in dein eigentlichsten Seinsprozessen - bei der Selbstwerdung des Menschen mit einem Vorgang der Beschenktheit zu tun. Im ersten wird das Ich (das Seelenfünklein, so könnte man es bezeichnen) bereits im Schöpfungsprozeß vom Sein her, von Gott in die Welt gerufen. Ex Nihilo, wenn man die Welt betrachtet, Ex Dei, wenn man es von Gott her sieht. Berufen zum Mit-Sein in der Selbstergreifung, im Selbstbesitz - der Freiheit.

Dem steht aber der Schenkungsprozeß durch die Mitwelt als eigentlich genetischer Prozeß gegenüber. Denn was der Mensch konkret ist, stammt aus der Welt, stammt aus ihrem Material. Und das ist zuerst die Mutter, die Familie, die nächste Umgebung. Daß dieses erste Ich sich allmählich zu einem weltlichen, persönlichen Ich begreift, ist ein allmähliches Identifizieren mit sich selbst: denn das, was einem von der Umgebung zugewiesen wird, die einen als Objekt in der Welt begreifen läßt, indem sie auf einen reagiert - man übernimmt deren Urteile in jedem Fall als ersten Vorgang -  und Anforderungen stellt, wird vom tiefsten innersten Ich allmählich in Übereinstimmung gebracht: Identität ist also ein allmähliches Mit-sich-selbst-übereinstimmen von (in der Allgemeinheit definiertem, eigenschaftlich belegtem) "Weltding Ich" (in der Gestalt des Leibes) und Ich. 

Insofern kann natürlich ein bösartiges Umfeld, ein Umfeld der Nicht-Liebe, einen Menschen verderben. Zwar nicht endgültig schicksalshaft, aber ALS Schicksal, als gestellte Aufgabe allemal, und bis zu einem gewissen Grad tut es das auch bei jedem, weil jeder Mensch zu Fehlern, zur Sünde (der Verfehlung der Liebe durch Verweigerung der Selbstüberschreitung, durch Zurückfallen in sich, und damit zum Nicht-Mit-Sein) neigt. 

Denn nur, wenn dieses Objekt-Ich sich als geliebt, bejaht, angenommen erfährt, und zwar in seinem So-Sein (und in der Reaktion also wahrhaftig definiert), gibt sich ihm die Fähigkeit zu lieben einerseits, sich zu behaupten anderseits. Erfährt der Mensch (als Kind) das nicht, fehlt ihm diese Fähigkeit. Denn dieser Mensch findet in der Welt keinen Halt, weil die Wahrheit der Welt mit der erfahrenen Wahrheit über sich als Weltobjekt nicht zur Übereinstimmugn kommen kann. Wahrheit (ein Element der alles umfassenden Allgemeinheit, gewissermaßen) wird als Gegenstand der Allgemeinheit von Personen abhängig, sie wird willkürlich, nicht zum selbst zu übernehmenden, selbst zu verwaltenden Moment.

Darin gründet die seltsam erscheinen mögende Tatsache, daß gerade Menschen, die besonders lieblos (ungeliebt, also auch unerkannt) aufgewachsen sind, dieser lieblosen, ja bösartigen Umgebung anhängt. Zumindest über lange Strecken seines Lebens. Es ist geradezu Merkmal einer Umgebung der Lüge und Lieblosigkeit, von dieser umso schwerer los- und zu sich selbst zu kommen, weil die zu übersteigende Hürde - in ein Nichts, im Prozeß der Selbstwerdung, der ein solcher Schritt in die Insecuritas der Selbstbehauptung ist - enorm hoch ist.*

Zumalen hier ein umgekehrter Prozeß zu beobachten ist: In dem der Betroffene durch besonderten, aber nur vorgetäuschten "Gehorsam" versucht, Macht über das Übermächtige (des Allgemeinen, in diesem Fall: der konkreten Menschen) zu bekommen, indem er nur so Selbstmächtigkeit erfährt, also so eine scheinbare Macht erlebt - in der sogenannten Hörigkeit, in der ein "Sich-Verlassen" des anderen auf einen, dieser also darauf trainiert wird, existentiell von eines Dienst abhängig zu sein. Nicht selten durch besonders "tollkühne", "mutige" Dienste, die der Auftraggeber selbst nicht vollziehen möchte oder kann. Und sich dabei natürlich systematisch täuscht, und das auch fühlt. Weshalb Systemdiener oft von so besonderem und buchstäblichem Korpsgeist - Gehorsam gegenüber dem Auftraggeber wie -nehmer umfassenden Ganzen - getragen sind.




*Wir berühren hier, in der Aussage der Identifikation von Objekt-Ich und Ich, unmittelbar das Geheimnis der Erlösung, die (wie u. a. H. U. v. Balthasar recht nachvollziehbar schreibt) das Ende der Entfremdung des einzelnen Ich zu sich selbst ist. Hier bzw. im Umfange des Gesagten wird die Rolle der Wahrheit (und Liebe, in der Zusammenhangsfolge "liebe Deinen Nächsten wie Dich selbst") besonders plastisch. Erst so kann sich das Ich zu sich FREI verhalten, und zwar in Wahrheit und Liebe, und hier beginnt das Mysterium der Kirche - das das Mysterium der Stellvertretung ist: Des Eintretens "an der Stelle des anderen", ihn stellvertretend, ihm seinen Platz freihaltend, dabei aber nicht ersetzend. Im Ausleiden der Folgen seines Fehlverhaltens (etc.) ... "ohne ein anderes Gesicht zu zeigen" als das der Liebe zum Peiniger. (Martyrium) Hier zeigt sich auch die Notwendigkeit der Realitätsnähe, die Verfehltheit von verfrömmelndem Tun, die genau diese Realität abweist. Nichts verlangt mehr Nüchternheit. 

Das Ineinsstehen mit Christus (der wiederum für mich stellvertretend litt) ist eine Frucht des Dramas (beachte der Leser das hier über Dramaturgie und Theater bereits Ausgeführte) der Eucharistie, in seiner Rolle der Darstellung hier, der Identifikation dort. Er ist es damit, der erlöst, nicht aber in simplem, äffischen "Nachmachen", sondern in der Identifikation (imitatio), in der er stellvertretend für mich übernimmt. Wie im Theater, im Grunde: Wo die Figur, an der sich das Drama vollzieht, leidet, ich aber im Betrachten mit ihr leide. Wirklich die Tat vollziehen tut aber die Figur dort vorne. (Etwas, das es natürlich auch im Alltag als Phänomen gibt. Man beachte den Begriff "Mitleid", dessentwegen man für den andren eintritt, an seine Stelle tritt - worüber das Erfahrene ans Erlösungsgeschehen angeschlossen wird. Das ist im übrigen der missionarische Charakter der Kirche in seiner Essenz.)




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