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Samstag, 31. Oktober 2015

Originell heißt nicht immer originär

Es ist die Grechenfrage jedes, der in seiner Berufung zu einer Position des Außenstehenden verdammt (wollte der VdZ schon gleich schreiben ..) ist - als Philosoph, Künstler, Priester (!), auch mancher Journalismus fällt darunter - sich in seiner nur ihm möglichen und von ihm geforderten originären Position zu finden und zu behaupten. 

Originär heißt aber nicht zwangsläufig: originell. Und Originalität ist noch lange nicht originär. In beiden Fällen besteht für diese jene eine große Versuchung, sich selbst untreu zu werden, und sich stattdessen mit Kleingeld zufrieden zu geben.

Aber die Menschen einer sozialen Größe (egal, wie groß diese Große dann auch ist) und Gestalt, denen diese Gruppen gegenüberstehen, aus denen sie aber doch auch stammen, haben ein Recht darauf, daß die, die nicht in ihre produktiven, alltäglichen Zweckzwänge eingespannt sind, die sich davon freimachen - und denen dieses Freimachen sogar eine Aufgabe, eine Pflicht sein muß - ihnen diese originäre Sichtweise im Abtausch gegen das Brot, das sie dafür erhalten, liefern.

Aber nur in diesem Originär-sein können die Genannten Meldung über die Position und wirkliche Wirklichkeit des Faktischen der in den Alltag eingebundenen (und diesem verpflichteten) Menschen geben. Und nur so an der Sprache aller mitwirken, in der ein Volk, eine Sozietät, eine soziale Gestalt zu sich kommt.

Was immer sonst auch wichtig sein mag - im Leben des Künstlers geht es nur darum. So schwer das auch fallen mag: Zu begreifen, daß es genau um ihn geht. Denn er ist die Facette, der Glasbaustein, durch den das Licht des Ewigen in die Welt einfallen möchte. Es gienge nicht ohne ihn und seine Freiheit von der Welt - als Durchlässigkeit für das ewig Wahre, das nur und erst durch ihn in die Zeit geboren wird.

Daß sich dieses Ringen um Wahrheit, um Übereinstimmung von form und Inhalt, natürlich immer innerhalb der bestehenden Formensprache abspielen muß, insofern auch diese Sprache überwinden muß, um sich davon zu lösen, ist selbstverständlich. Denn das Wesen des Künstlertums ist - und hierin unterscheidet es sich in nichts von jedem anderen Beruf, von jedem andern Menschsein - daß es AM MATERIAL, am Werk reift. In der Hingabe darein.

Das begründet eine gewisse Natürlichkeit und Folgerichtigkeit von "Neuheit" im Werk jedes Künstlers, denn es ist dieses Material (in Musik oder Sprache oder Malerei oder egal worin) IN DEM und AN DEM er zu sich selbst wird. Das macht seine "Monomanie" aus, die ihn schmerzhaft begreifen läßt, daß er "zu nichts sonst gut ist" als zu ... seinem Werk, dessen Maßstäben er doch nie gerecht werden wird, weil das Unendliche das er fühlt und ahnt und um das er weiß immer größer ist als das Erreichbare, weil das Erreichbare immer historisch-relativ ist.

Aber die Neuheit um der Neuheit willen ist nur eine andere Form der Konvention. Udn nicht selten ein Täuschungsversuch, weil die Fülle der Entwicklung eines Materials (Kompositionstechnik, schriftstellerische Formen, etc. etc.) nie im Besitz war sondern eigentlich unbekannt geblieben ist. Da feilen also Menschen an "Dramaturgie", die das Wesen der bestehenden (vergangenen) Dramaturgie gar nicht begriffen haben, nicht einmal oberflächlich oft kennen. Solche Kunst wird kontraproduktiv gegen jede Kultur, deren Wesen - Tradition ist.

Technik, technische Beherrschung, vulgo "Können", DIENT nur diesem Sinn, dieser Orientierung. Deshalb ist der Künstler vom Virtuosen um eine ganze Dimension getrennt. Niemals schafft der Virtuose Inhalt. Er vermag nur das Spiel der Konvention auszureizen, ohen sie je zu verlassen. Außer in die Sinnlosigkeit der Willkür. An einem Kunstwerk aber ist nichts willkürlich, wenn auch nicht immer vorhersagbar. Ein Unterschied der Dimension, nicht graduell. Künstlertum ohne Virtuosität ist sehr wohl möglich. Aber auch Virtuosität ohne Künstlertum.

Nicht, wie es vom verachtenswerten Kleinbürgertum (einer Lebensverfehlung an sich) gesehen wird, das aus der Konvention nicht auszubrechen vermag, das Virtuosentum mit Künstlertum verwechselt. Den Künstler aber, der genau das nicht erträgt - sich von vorhandenen Formen knechten zu lassen, der immer mit allem spielen, es gestalten, es besitzen muß - nie erkennt, ja geringachtet. Weil der Künstler die Sicherheit, die den Virtuosen - den Kleinbürger - in eine Scheinsicherheit des Lebens drückt, eine Illusion also, deren Infragestellung ihm lebensgefährlich wird, weil also der Künstler diesen Schein nie erträgt. Weil er originär sein muß. Weil er selbst eine Bach-Melodie "neu erfinden", das heißt: selbst hervorbringen muß. Oh, auch der VdZ hat hier Schlimmstes erlebt. Und erlebt es im Schauspiel vor allem nach wie vor, ja hier steuert es einem Höhepunkt zu. Gerade von jenen, die meinen, "innovativ" zu sein, und dabei, ohne es zu wissen und wissen zu wollen (wie wären sie böse, würde man es ihnen sagen), Sklaven der Ideologien und Moralzwänge - und vor allem ... leider ... der längst notorischen Unwissenheiten - sind.

Um zu beurteilen, was originär ist, muß man sich inhaltlich bewegen und die Freiheit entwickelt haben. Um aber zu erkennen, was originell ist, genügt ein Festhalten am bereits Vorhandenen - und vor allem: an der Vorstellung davon. Sonst könnte man das "neue" ja gar nicht erkennen. Ein Urteilskriterium, das also aus dem Vorhandenen erwachsen ist, und sich daran orientiert, und deshalb die schlimmste Form der Konventionalität ist: Die der Borniertheit. Und das ist heute wie eine Seuche festzustellen, die wirklicher Kunst sogar jeden Atem nimmt. Auf Konsumentenseite nicht weniger, als auf Produzenten- oder Mäzenatenseite. Das ist das sicherste Zeichen für den Todeskampf, in dem sich Europa als Kultureinheit befindet.

Eine Kunst, die in ihrem Formenspiel an eine gewisse Entwicklungsstufe gekommen ist, wendet sich wieder an ihre Anfänge zurück. Und sie hebt sie durch die geistige Entwicklung der Kultur (bzw. der Künstler) auf eine neue Ebene. Wenn sie das nicht vermag, wird sie sinnlos "neu", ein Zeichen der Verzweiflung. Während man die inhaltliche Ebene durch zwanghafte Ideologisierung, durch political correctness (die größte, schlimmste Form der Feigheit) und "Moralisierung" simuliert. 'Denn "Moral" ist eine dem Guten, Wahren, Schönen - also der Originarität, die nur dem Reinen möglich ist - immanente Größe.



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Arvo Pärt - Symphonie Nr. 4 "Los Angeles"





Interessant ist, was dazu ein Poster auf Youtube schreibt:

Music effect, nothing innovative. Simple and accessible to the general public. It would work in any movie. I recommend Ligeti, this is innovation and change

In keinem Fall darf der Künstler in Konventionalität verfallen. Aber was der Künstler wissen muß, unbedingt wissen muß (sonst ist er überhaupt schon des Defraudantismus verdächtig) ist, wie Konvention aussieht. Denn er muß unbedingt damit umgehen und umgehen können. Sein Selbstwerden ist geradezu ein Umgang mit Konventionalität - als Freimachungsprozeß, um damit spielen zu können, den Zweckverflechtungen (und das ist Konvention) nicht verfallen zu sein. 

Der VdZ kennt so gut wie niemanden unter allen jenen - und das sind viele, ja fast alle - die von sich behaupten, "neues" zu tun oder zu suchen, die diese Konventionen wirklich kennten oder überwunden hätten. Stattdessen verfallen sich dem Rausch des Konventionellen, indem sie "neues" zu erfinden trachten - und dabei nicht einmal sehen, daß sie sich in Konvention gefangen haben. 

Es geht um das dem Auszusagenden Entsprechende. Das ist das Originäre. Im Empfinden, im Wahrnehmen der Welt, ihrer Urgründe, inmitten aller Oberflächenschäume und faktischen Zeitverflechtungen - das ist die Aufgabe des Künstlers. Ob er sich dazu Mittel bedient, die "bereits da waren", ist eigentlich völlig belanglos.

Umgekehrt darf er sich auch nicht davon bedrängen lassen, darf er sich auch nicht darein ergeben. Das ist die Wurzel seiner Berufung - die Originarität.

Es kann deshalb sehr wohl sein - und in den Augen des VdZ ist es das auch, dem in seinen Stücken und Schriften, in seinen Kabaretttragödien, ja selbst in seinem Schauspiel, derselbe Vorwurf gleichfalls immer wieder begegnet ist - daß eine Zeit gerade diese Konventionen braucht, weil sich Katharsis erst nur über eine Rückbesinnung auf das bereits Bekannte erzielen läßt. Gerade gilt das in einer zeit, die ihre eigenen Wurzeln nicht mehr kennt, und somit dem Epigonentum fluchartig verfallen ist. Und zwanghaft "Neues" sucht, um sich selbst zu entfliehen, und um zu verbergen, daß sie das Wahre, das Originäre, das Ursprüngliche, das die Welt wirklich Tragende, gar nicht mehr findet, weil sie sich aus der Zeit nicht mehr befreien kann. Neues ist kein Selbstzweck! Sondern es offenbart sich im Inhaltlichen, in einer Form, die den Inhalt trägt. Wie immer die aussehen mag.

Arvo Pärt, der früher als "Avantgarde" galt, hat in einer Schaffenskrise diesen Mut gehabt. Und acht Jahre Pause gemacht. Um sich von dieser Konventionalität zu befreien. Seine Frau meinte bereits, er hätte den Beruf aufgegeben. Es war aber eine Befreiung ... vom bloßen Formenvariieren "des Neuen willen" zum Inhalt. Seither wirft man ihm vielfach vor, "konventionell" (und "zu religiös") zu komponieren.




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