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Montag, 2. November 2015

Es langte folgender Brief ein (2)

 Teil 2) Die Antwort des Verfassers dieser Zeilen (hier: dieses Blog) -
Was gilt es zu fordern, was zu verteidigen?
Lieber C!

Das war gewiß mutig. Es müssen natürlich die Jungen sein, die aufbegehren, sie sind die immer notwendige dialektische Reaktion im Zuge ihrer Weltaneignung. Und zudem befinden wir uns auf den ersten Blick in einer scheinbar bedrohlichen Situation. Nach wie vor, und seit nun schon zwei Monaten, überrennen täglich fünf bis zehntausend Menschen und mehr aus anderen Kulturräumen unsere Grenzen, und niemand kann oder will es ihnen verwehren.

Ich habe lange nur zu beobachten (und im Blog zu sammeln) versucht, nur ab und zu etwas gesagt. Aber so wirklich schlüssig wurde ich nicht. Einiges an dem allen - dem, was die Politik tut (oder nicht tut) und dem, was die heftig aufbrandende, fast revolutionäre Ausmaße annehmende Kritik ihr vorwirft - hat mich immer stutzig werden lassen. In dieser Antwort, zu der Du mir mit Deinem Brief (und dem angeschlossenen Bericht) Anlaß gegeben hast, werde ich einmal versuchen, die Dinge auch für mich ein Stück weit mehr zu ordnen. Um so ihre wahre Natur zu sehen. In gewisser Weise weiß ich also selbst noch nicht, wo ich am Ende dieser Überlegungsprozesse landen werde. 

Eines kann ich in jedem Fall jetzt schon sagen: Die Dinge sind nicht einfach und sie sind nicht so, wie sie vielfach dargestellt werden. Auf keiner Seite. Also auch nicht auf der Seite derjenigen, die Kritik üben. In gewisser Weise hat das alles sogar mit der Natur des Internet (bzw. der neuen, der social media etc.) zu tun, die ich vor Jahren bereits zu analysieren versucht habe. Und nicht so verkehrt. Vieles traf ich auf den Punkt, was daran zu erkennen ist, daß es jetzt eingetroffen ist.

Was wir in diesen Wochen und Monaten erfahren ist nämlich nur auf diesen ersten Blick ein Versagen der Politik. Wobei: Ein Versagen wird es auch auf den zweiten bleiben. Aber es ist nicht NUR ihr Versagen. Dazu später mehr. Auf den zweiten Blick ist es aber die Frucht jahrhundertelanger Zersetzung, ist es lediglich eine weitere Stufe (in einer gewissen Sichtbarkeit läßt sich das so sagen) auf einem Weg, den wir alle gegangen sind. Die recht final wirkt, gewiß, und was wir da erleben ist als Phänomen irreversibel und wird sich in eigener Gesetzlichkeit weiterentwickeln. Aber es wird nur etwas vollziehen.

Die Zersetzung, von der Du schreibst, daß sie bis in den letzten Winkel gekrochen sei, hat das getan, weil sie so prinzipiell ist, aber nun einfach deutlicher sichtbar wird. Der politische Sozialismus der letzten Jahrzehnte (selber nur eine Frucht an einem bestimmten Baum) ist zwar richtig eine alles und jeden zutiefst zersetzende Kraft, aber selbst er ist eben nur Teil. 




Es gibt zeitlich gesehen lange und es gibt kurze Zeitbögen, in denen sich Fehler offenbaren. Was wir heute immer mehr erleben ist das Offenbarwerden eines Geburtsschadens der Moderne, also eines der längsten der Bögen, die sich da spannen. Die gar nicht anders ausgehen konnte als sie es jetzt tut. 

Selbst die geforderten Maßnahmen, die die Wiederherstellung der staatlichen Souveränität betreffen, sind in sich bereits der Versuch, etwas, das nicht zu halten ist, zu halten. Es hat etwas davon, vom Kapitän der Titanic zu verlangen, er solle endlich das Steuer in die Hand nehmen anstatt zuzugucken, wie das Schiff untergeht. Seit Jahrzehnten und Jahrhunderten wurde eine solche Quadratur des Kreises versucht. Nun meinen wir zu sehen, daß es nicht mehr geht. Nur: Es ging nie so. So mancher hat es vor hundert oder zweihundert oder gar fünfhundert Jahren gesehen. Gehört wurde er aber nie. Nicht wirklich.

Das möchte ich Dir so gut ich in dieser Form vermag - in gewisser Verdichtung - auseinandersetzen. Denn was wir heute erleben ist das Sichtbare einer langen Seinsbewegung. Und ich bin mir nicht sicher, ob Du nicht am Ende selbst unter jenen sein wirst, die das gar nicht hören wollen. Keineswegs wird es aber ein Lamento des Fatalismus. Es ist etwas machbar. Aber das schaut möglicherweise anders aus, als Du - und so viele - sehen wollen werdet. Ich rechne deshalb nicht mit Gehör. Aber wir müssen uns bei dem, was wir tun, nicht fragen, was es erreicht, sondern ob es das ist, was wir zu tun hatten. Und damit sind wir bei einem Kern der Antwort. Denn auch dieses "was wir zu tun haben" könnte anders aussehen, als Du meinst. Mehr dazu später.

Wenn der Staat sich unter dem Druck gewisser "moralischer Motive" auflöst, so tut er das als Teil einer Kultur, und ist somit Teil von ihr, die sich bereits aufgelöst hat, und nur durch gewisse Banderolen, Etiketten scheinbar zusammenhält. Wenn wir uns dagegen auflehnen und in gewisser Hinsicht sogar mit Recht, ist es aber damit vergleichbar, daß wir dort sehen, was wir selbst längst und unausgesetzt weiter vollziehen. Du nicht weniger als ich oder jeder, der dort am Heldenplatz stand und nichts sagte. Wir wehren uns nur dagegen zu sehen, was wir selber sind. Wir wehren uns gegen die Schatten, die wir selbst auf die Mauer vor uns werfen.

Diese großen "Seinsbewegungen", auf denen wir somit stehen, sind freilich immer und immer nur in konkreten Dingen, Vorgängen und Taten erkennbar (und daraus ja erst durch Ableitung erkennbar.) Das wirkt zwar dann wie eine für sich stehende Tat. Sagen wir: die Invasion durch hunderttausende, ja Millionen Migranten. 

Selbst, wenn darüber das Mäntelchen der "Kriegsnot in Syrien" gehängt wird, ist dies nur eine Scheinetikettierung. Das sieht man schon daran, daß sich kaum jemand dafür zu interessieren scheint. Denn diese Aussage stimmt - worauf ja das Bruchstückhafte hindeutet, das bekannt wird - mit den faktischen Realitäten nicht einmal annähernd überein. Die Zahl der wirklichen Flüchtlinge vor Verfolgung und Not ist ja nur ein kleiner Teil dieser Menschenmassen, die sich auf Europa zubewegen, manche sprechen von zehn Prozent, manche von zwanzig Prozent davon, manche von viel weniger, manche von etwas mehr - wir wissen es ja nicht einmal. Aber sie sind eine willkommene "Ausrede".

Was in Wirklichkeit hier passiert, und seit vielen Jahren aufbauend passiert, und wie es aussieht sich in nächster Zukunft zu einer richtigen Völkerwanderung auswächst, ist das Füllen eines Raumes, der ... bereits leer ist. Der nicht mehr Raum ist, weil er entstaltet wurde. 

Manche mögen sich über den Artikel von Botho Strauß im Spiegel vor ein paar Wochen gewundert haben. Martin Mosebach meinte gar, daß ihn kaum jemand noch verstehen könne, sodaß er sich frage, warum Strauß ihn überhaupt abgesetzt hätte. Sie mögen sich deshalb gewundert haben, weil Strauß irgendwie so gar nicht in die öffentlich so heftige, ja panikartige Diskussion eingriff. Sondern vielmehr beklagte, daß er eine deutsche Kultur, daß er "das Deutsche", so überhaupt nicht mehr antreffe, daß es Deutsche vielleicht gar nicht mehr gebe, außer in oft jahrhundertealten Büchern und Autoren.

Was also wollen wir noch bewahren? Diese Frage scheint mir - in Anknüpfung an Strauß - viel aktueller. Wir haben eine Kultur verspielt, auch Du und ich übrigens waren und sind Mittäter, die ein Vakuum hinterließ. In dieses Vakuum stoßen nun andere Menschen und Kulturgruppen nach. Das kann gar nicht anders sein.

Wenn das also stimmt, was ich hier als Antwort versuche und zu begründen versuchen werde, dann war möglicherweise auch Dein Protest sogar Teil und Fortführung des Zerfalls. Der Fortlauf der Antwort könnte Dich also schockieren, sei gewarnt.




In den nächsten Tagen Teil 3) Man kann das Recht auf ein Land auch verspielen.




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