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Mittwoch, 16. Dezember 2015

Immer eine Relgiionsbewegung geblieben

Eine weiter erhellende Sichtweise offiert Otto Bruner in seinem Klassiker "Adeliges Landleben und Europäischer Geist". Brunner sieht nämlich nicht die Entwicklung Europas primär als Zweiteilung in eine säkulare und eine religiöse Welt. Ausgehend von den Konflikten im 11. Jhd., die im Investiturstreit (und dem berühmten Kniefall Kaiser Heinrichs IV. vor dem Papst in Canossa) ihren Höhepunkt fanden, kam es vielmehr zu einer Zweiteilung eine Kultur, die aus Antike und Mittelalter heraus Religion und Leben, Spiritualität und Politik, nie trennte. Erstmals kam es im späten Mittelalter aber zu einer Zweiteilugn in eine Laienkirche sowie eine Kirche des Klerus. Diese Kluft wurde mit der Zeit immer größer, und nahm vor allem politischen Charakter an. 

Aber die ursprüngliche Motivation der Laienwelt war nicht das Abstreifen der Religion, sondern sehr wohl die Durchdringung der gesamten Lebenswelt mit religiösen Motiven. Allmählich hat sich daraus - im Nominalismus - eine Entleerung der Laienwelt von offizieller Religion herausgebildet, über den Rationalismus bis hin zum klaren Atheismus. Aber die religiöse Grundmotivik hat auch die Laienwelt nie verloren. Sämtliche philosophische Entwicklungen der Neuzeit sind deshalb auf eine Art religiöse Bewegungen, und sie sind es bis heute.

Übrigens korrigiert Brunner auch eine verkürzte historische Betrachtungsweise den Adel betreffend. Denn keineswegs ist es gewissermaßen schlagartig zu einem Zurückdrängen des (alten) Adels gekommen, sondern diese Umwandlung vollzog sich über Jahrhunderte und unter verschiedensten politischen Einflüssen und historischen Entwicklungen. Speziell in der Auseinandersetzung zwischen Katholizismus und Protestantismus, die vor allem von der Politik (und keineswegs von der Kirche, zumidnest bei weitem nicht im selben Ausmaß) betrieben wurde. Und sie war es auch, die dieses Zurückdrängen des alten Landadeligen bewirkte. Jene waren auch die Anker eines lebensgefühls, das noch kaum von einem Staatsbewußtsein, sondern von der lokalen Einwurzelung der Menschen geprägt war. Ihre Lebensweise unterschied sich oft kaum von der ihrer Untertanen.

Ihr Ethos war aber immer auf dem uralten Motiv des tugendhaften, gebildeten Ritters aufgebaut: Adel war in dieser Sicht immer mit Tugend, tugend wiederum mit Bildung verbunden. Sein Ersatz durch neuen Adel war vor allem auch durch die Konzentration von Großbesitztümern und Groß-Herrengütern begleitet. Eine Herrschaft auf puren Gewaltverhältnissen gab es zwar, aber sie war nicht das Ideal, und solche eine Herrschaft konnte sich auch nie halten. Gerade nicht beim Landadel, der in großer Nähe zu seinen Untertanen lebte, sodaß das Geschick dieser eher als väterliches Verhältnis zu sehenden Herrschaften von der Persönlichkeit des Herren abhing. Sie prägten deshalb auch das religiöse Leben der ihnen untertanen Menschen.

Aber es war diese Laienreligiosität, in der Leben, Politik und Religion nicht getrennt war, die schließlich zur treibenden Kraft der Abspaltung von der Kirche wurde.


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Übrigens sieht Brunner auch die Hexenverfolgung zwiespältig. Denn aus dieser Laienrelisiosität kam es zu einer recht breiten Renaissance (die sich oft aus der Antike nährte) von Irrationalität, Okkultismus, Magie und sektiererischen, lebensbedrohlichen Erscheinungen. Dies wurde durch das Symbol der "verbrannten Hexen" durchaus in Schranken gehalten. Sonst würde Europa heute wohl ziemlich anders aussehen, denn Freiheit hängt direkt mit Vernunft zusammen. Einfach nur hinnehmen konnte das eine Zentralmacht jedenfalls nicht.


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Trotz Gegenreformation, schreibt Brunner und belegt es, hielt sich dabei der Protestantismus auch in den an sich katholischen Ländern sehr lange, und wenn auch die offizielle Vorgangsweise Striktheit verhieß, wurde die Suppe selten so heiß gegessen wie gekocht. Viele Landadelige und viele Bauern blieben "geheime" Protestanten. Was man wußte, aber stillschweigend tolerierte. Erst der Absolutismus des 18. Jhds., und vor allem Josef II., wurde hier umfassend und restriktiv. Erst jetzt verließen viele Adelige ihre Herrschaftssitze, und verkauften sie an Herren, die genug Geld und Einfluß hatten. Und an ... Klöster. So bildeten sich die meisten großen Landbesitze aus. Aber auch unter diesen Großherren und Hochadeligen gab es nach wie vor Protestanten. Der Aufbau von Vermögen war wesentlich abhängig von der Nähe zur Zentralmacht und der Nützlichkeit für sie.

Eine Besitz- und Machtkonzentration, die sich aber über Jahrhunderte allmählich, nicht abrupt herausbildete, und vor allem von der Wirtschaftsentwicklung getrieben war. Denn die Herausbildung von Industrie und Geldwirtschaft machte es den vielen kleinen Landherren immer schwerer möglich, auf ihren Gütern zu überleben. Sie mußten ihre Güter verkaufen, waren oft hoch verschuldet. (Der Protestantismus ist ja auch ein soziales Phänomen gewesen: Die Adeligen, die dem Kaiser in Wien die Gefolgschaft verweigerten, und damit den 30jährigern Krieg "auslösten", waren meist hoch verschuldet.) Aber diese Entwicklung verlief viel "normaler", fast immer getragen von den individuellen Wechselfällen des Lebens und der Geschichte, und weniger "geplant", als heute meist angenommen wird.




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