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Sonntag, 17. Januar 2016

Unbemerkte Auflösung von Gemeinschaft

Es war vorhergesagt, es ist so gekommen, und wird sich noch viel stärker zuspitzen: Eine Untersuchung der Indiana University (IU) ergab nun, daß Nutzer von social media einen zunehmend eingeschränkteren Zugang zu Informationen an den Tag legen. Die soziale "Vernetzung" bewirkt sogar das Entstehen von "sozialen Blasen", in denen die Informationsweitergabe "freiwillig" gefiltert wird. Diese Entwicklung zeigt sich besonders stark bei Nützern von  Facebook und Twitter. 

Nun ist das alleine, so der VdZ, gar kein Beinbruch. Im gegenteil. Denn das war und ist das Wesen sozialer Gemeinschaft (die es nur in GemeinschaftEN gibt). Hier eine Sensation daraus zu machen wäre also verkehrt. Es ist lediglich eine Absage an die ohnehin realitätsferne Vorstellung vom Internet als solches, daß damit auch die Informationsbreite bei den Menschen "univeral" würde. Information ohne Interpretation gibt es nicht, und damit nicht ohne persönliche Haltung. Die Persönlichkeitsstruktur selbst ist der "Filter", der überhaupt erst wahrnehmen läßt. Und weil es keine Persönlichkeit ohne soziales Umfeld und seine Bestimmtheiten gibt, ist auch bei den Internetmedien keine andere Entwicklung zu erwarten gewesen. Viel fragwürdiger nämlich müßte man das sehen, was von den Studienautoren offenbar als positiv bewertet wird: die ständig neue Suche über "google". Welche Aussage nächste Realtitätsfernen und Verkennungen des Internet erkennen läßt.

Der eigentlich bedenkliche Prozeß liegt auf einer anderen Ebene. Er liegt auf der Überbewertung der "Meinungsebene", in der sich die Menschen in "Meinungs-Pseudo-Persönlichkeitsstrukturen" festigen. Und sich in diesen bewußten (und sehr, ja äußerst eingeschränkten Rezeptionsinstrumenten) einschließen und damit überwiegen oder gar ausschließlich identifizieren. Sodaß sie sogar meinen, persönliche Gemeinschaft wäre eine Angelegenheit "derselben Meinung zu bestimmten Themen".

Der eigentliche Denkprozeß liegt aber viel tiefer. Er liebt auf einer Ebene einer gar nicht zu überblickenden Sinnesnähe der begegnenden Wirklichkeit. Damit besteht die dringende, ja gar nicht auszuschließende Gefahr, daß die wesentliche persönliche Gemeinschaft unter Menschen regelrecht ins Dunkel absinkt, gar nicht meht aktualisiert wird. Erkenntnis ist aber zutiefst ein personaler Vorgang, und er ist ein autoritativer Vorgang der Gestaltbegegnung, weil Denken, Selbstsein eine Frage der "Formdynamik" ist. Formen, die über die Sinne aufgenommen werden, und mit speziell geschriebenem Wort (das ja nur Zeichen, Symbol, Hinweis auf ein Dahinter ist) überhaupt nicht beschreibbar wird. 

Wer also meint, er könnte personale Einheit (und das ist das Wesen des Erkennens, zugleich damit das Wesen des Menschseins: Einheit in der Wahrheit, ja ein Hineinführen des Vereinzelten ins Allgemeine, einerseits, ein Individualisieren weil Besitzen, also als Form Tragen dieses Allgemeinen, anderseits; und das geht nur über Begegnung von Personen) über social media aufbauen begeht einen fatalen Fehler. Seine Erwartungen und Hoffnung werden nie (fast könnte man sagen: nicht einmal zufällig, würde man nicht immer mit dem Einbruch der Realität zu rechnen haben) erfüllt.

Simpel formuliert, um das Mitgeteilte im Beispiel greifbar zu machen: Wer Menschen begegnet wird immer feststellen (können; so er dafür überhaupt noch bereit und fähig ist),  daß die reale Begegnung völlig anderer Qualität ist als die der bloßen "Meinungsebene". Daß er auch mit Menschen unterschiedlichster Meinungen "gut kann", also Einheit da ist, und umgekehrt Menschen mit "gleicher Meinung" nicht erträgt, also Einheit fehlt.  

Ex factis, non ex dictis amici pensandi - Wähle die Taten, nicht die Worte, um deine Freunde zu wählen. 

Speziell die social media haben in rapide fortschreitendem Maß das Vermögen, die Worte eines Menschen realitätsgemäß zu gewichten, ja überhaupt Realität zu gewichten, regelrecht vernichtet. Weil die Menschen sich in diese Wortwelten der Meinungen gewissemaßen auslagern und nicht bemerken, daß sie damit jedes Gefühl für Wirklichkeitsrelevanz verlieren. Noch nie war es deshalb so leicht, zu lügen "durch Verwendung richtiger Worte", noch nie war schizoides Verhalten dermaßen verbreitet.

Das bewußte Denken als Urteilen - also das "Meinen" - ist aber nur eine Lenkfunktio des Geistigen. Gewiß von größter Bedeutung und unverzichtbar, speziell im Raum menschlicher Weltwerdung, also der Kultur, aber es IST nicht aus sich heraus "der Mensch". Wahrheit ist nicht die Frage "richtiger Meinung" (richtig - wonach?), sondern das Wesen menschlicher Ganzbegegnung. Wer den Menschen nicht besser, aus der jedem Denkprozeß um Dimensionen überlegenen, zu größten Teilen unbewußten Wirklichkeitsrezeption der Gestaltbegegnung heraus geschöpft kennt, vermag nicht einmal über bloßen Text zu kommunizieren. Und bleibt Schläger von Luftschäumen. Es gibt heute ganze Gebirge "richtiger Meinungen", an denen aber die Menschen wie wesenlose Schläuche hängen, denen also jede Wahrheit fehlt.

Social media sind also aus einem anderen Grund ein Problem als aus dem, was die erwähnte Studie als "Einengung" bezeichnet, und damit sogar suggeriert, als wäre jede Haltung schlecht, weil jede Festlegung "Einengung" bedeutet: Ohne Festlegung ist Menschsein gar nicht möglich. Wer nicht vermag, sich festzulegen und sogar daran festzuhalten, durch alle Vielfalt hindurch, wird nie etwas errichten können. (An Leser S gerichtet:) So war das hier bereits Thematisierte '"Besser sich im Falschen festzulegen, als gar nicht" gemeint. Anders kann man nicht einmal aus Fehlern lernen. Auch das übrigens eine heute weit verbreitete Fehlhaltung, die aber mit allem hier Gesagten unmittelbar zusammenhängt und für die die "Meinungseinengung" s. o. sogar Symptom ist. Denn Festlegen ist das Anheiraten an ein Sein, und das ist immer eine Zugehörigkeit weil Teilhabe im Mitsein, und nicht das Festlegen "auf eine Meinung" (sosehr das auch Teil des Festseins sein kann).

Wer sich aber selbst bereits zum Meinungs-Zombie" entwickelt hat dem kann das, was der andere repräsentiert, wofür er stellvertretend steht (denn das heißt eben Sein), von "Meinung" gar nicht mehr unterscheiden. Ihm wird - ihm gemäß! - alles zur "Meinung". Weil er selbst so strukturiert ist.

Das ist alles nicht neu, und es hat mit der Entwicklung der Medien in unserer Kultur zu tun. Aber die social media haben diese Entwicklung extrem dynamisiert und auf die Spitze getrieben. Denn sie bilden einen fast lückenlosen Vorhang, und täuschen ontische, real personale Gemeinschaft in nie gekannter Umfassendheit vor, wo es gar keine gibt. Sie sind - man könnte es eigentlich so ausdrücken - lediglich Auseinandersetzungen über das, was man in der Form von Twitter oder Facebook schreiben oder ausdrücken kann. Aber sie haben so gut wie keine substantielle inhaltliche Relevanz der Interpersonalität und damit Gemeinschaftsbildung. Und DARÜBER täuschen sich so viele. Wenn also eine Kultur, eine Gesellschaft sich so weit wie es derzeit bereits geschieht (und sogar noch weiter zu intensivieren unternommen wird) auf diese Medien auslagert, schlittert sie unausweichlich in den Zustand einer kaum noch ordenbaren Auflösung - ohne es (lange Zeit) zu merken. Umgekehrt, bilden sich so alle möglichen Ersatzformen von "Einheit" heraus - wie Kollektivierung, Vermassung, Auflösung der Person in eine andere hinein (samt der Überfrachtung der Erwartungen in direkter Liebe oder gar Ehe.)

Damit wird das Wesentliche des menschlichen Selbstseins - Vertrauen in Person(en) - ausgehöhlt und unterbunden. Die Folgen werden vor allem bei jenen Generationen dramatisch sein, die mit diesen Medien bereits aufgewachsen sind. Denn die Prägung in jungen Jahren ist vorentscheidend. Dort werden die Strukturen angelegt, unter denen dann alles Spätere eingeordnet wird. Dort werden die Grundkonstellationen erlernt, unter denen alles Spätere, alles Speziell also, als das das Leben herankommt, bewältigt werden. Der unter jungen Menschen heute seuchenartig verbreitete Irrglaube, man verdanke sich nur sich selbst (und bestenfalls noch dem "selbst Gewählten"), ist bereits eine der Auswirkungen nicht mehr ausgebildeter Begegnungs- und damit Einheitsfähigkeit. Damit aber wird die Bildung einer Gesellschaft - und wie erst ihre Kulturformen wie Staat, Volk etc. - unmöglich.




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