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Montag, 29. Februar 2016

Der Einzelne ist ... gleichgültig (1)

Es hat etwas Schwieriges im Umgang mit dem Begriff "Vermassung". Und das liegt darin, daß jeder Mensch einer gar nicht eingrenzbaren Menge von Kollektiven, von Universalien zugehört. Nahezu alles, worin sich ein Mensch bestimmen läßt, ist nämlich die Teilhabe an einem für sich stehenden, ein eigenes Sein und vor allem Realität (in ihm nämlich!) habendes Allgemeines. Der Blonde gehört zur Allgemeinheit der Blonden, nicht weniger als der 2-Meter-Riese der der Großwüchsigen, der Wiener zur Österreicher-heit, der Bremer zur Sachsenheit. Die Zubehörigkeiten sind nicht in ihrer Zahl eingrenzbar, und enden in der Bestimmung als Mensch überhaupt.

Der Wille, diese Zugehörigkeit zum Ausdruck zu bringen, ist deshalb jedem Menschen gleich, und er ist elementar und er ist Teil seines Menschseins überhaupt. Es sind nämlich dieses Universalien die Bezugspunkte, die ideae, auf die hin sich ein Mensch transzendieren muß, will er überhaupt Mensch sein. In diesem Akt der Selbstüberschreitung, des Sterbens (wo hinein?) also, liegt sogar das eigentliche Geburtsmoment seines Selbst als Gestalt des unbestimmbaren Ich, das jedem Mensch als Person bzw. in seinem Personsein zugrundeliegt. Es ist der eigentliche Gründungspunkt, als Dynamik eines "zur Welt kommens" - das in der Selbsthingabe (als Paradox also) passiert.

Die Vermassung steht hiemit auch unter einem Paradox. Weil sie in dem Moment passiert, in dem genau diese Zubehörigkeit zu einem Allgemeinen, zu einer Gemeinschaft also, NICHT in der Selbstüberschreitung "einfach ist", "sich" wirklicht, sondern wo sich die Selbstüberschreitung ausspart bzw. auf einen bestimmten Aspekt reduziert, der die Gesamthaltung der Überschreitung (die ein offen-sein-für ist) beschränkt. Hier liegt auch der Geburtspunkt der Ideologien, die immer Einschränkungen sind.

Was noch nicht einmal etwas darüber sagt, ob sie nicht temporär, in Momenten der Verwundung eines Allgemeinen, der verletzten oder gefährdeten Zubehörigkeit zu einem Allgemeinen, ihre Berechtigung hat. Die hat sie nämlich tatsächlich. Temporär, wie gesagt, nicht als letzthinniges humanes Konzept. 

Denn diese Zugehörigkeiten in all ihren unfaßbar vielen Ebenen und Ausprägungen und Ideenbezügen, ohne die es gar kein Individualsein gäbe (!), die es rundum bestimmen, die den Einzelnen vorwerfen, noch ehe er sich dem Mutterleib entwunden hat,  haben eine seltsame Eigenschaft: Sie sind, wenn sie gesund sind, wenn sie bestehen, wenn also der Einzelne sich in der Selbsthingabe am vollkommensten selbst wirklicht, gar nicht ... bewußt. Und sie können auch gar nicht in allen ihren Präluminarien bewußt werden. Sie werden erst dort bewußt, wo sie gefährdet sind. Und das sind sie immer - konkret. Konkret in einem bestimmten Punkt. Dann tritt dieser Punkt als etwas Bestimmtes auf, gegen das sich der Einzelne auch bewußt wernden kann, das ihm also (auch am Eigensein, an den Bestimmtheiten seines So- und Selbstseins) bewußt wird.

Das heißt aber auch, daß der Einzelne eine Bedrohtheit seiner Identität sehr wohl ZUERST fühlt, zuerst spürt, ohne sie noch konkretisieren zu können - und erst allmählich, im Diskurs, im Streit, ja im Kampf gar, zu einem bestimmten Aspekt formt. Das Vereinzelte (und damit immer Konkretere, also eigentlich sogar: die Welt) kommt aus einem Allgemeinen. Immer.

Deshalb muß gesagt werden, daß man vielen Ängsten "in der Bevölkerung" zutiefst Unrecht tut, indem man sie marginalisiert oder zu bloßen ontisch nicht verankerten Psychoiden erklärt. Denn selbstverständlich äußert sich eine durch die Sinne, durch die Teilhabe an den Gestalten der Welt über die Sinne, zuallererst über ... ein Gefühl. Und dieses Gefühl wird durch "Bewußtwerdung" keineswegs eliminiert, und sollte es auch gar nicht. Es ist existentieller als fast jede Rationalisierung zu erfassen vermag, es ist elementar, es ist von größter Bedeutung für die Gesundheit des Einzelnen. Denn das Ontische ist, wenn es real sein soll, wenn es also real IST, sehr wohl Gegenstand der Wahrnehmung, wenn auch nicht direkt, wenn auch nur über die Auswirkungen dieser Entitäten, dieser Seinsheiten, dieses Seienden als Gestalt.

Wenn man also nun behauptet, daß das Gefühl der Bedrohung, das heute so viele Menschen (und an bestimmten Seinsheiten Teilhabende im Besonderen, na etwa so wie Frauen in ihrem Alltagsbewegen bei Dämmerung in dunkelen Gässlein) haben, keine Berechtigung weil Realität hätte, der irrt, im günstigsten Fall, der will aber vor allem lügen, im häufigsten Fall. (Denn es wird heute allgemein derartig viel und allgemein gelogen, daß es einen regelrecht umhaut, wenn man davon erst einmal eine Ahnung bekommt.) Vielmehr sind solche Gefühle gerade dort sogar am berechtigtesten, wo Gemeinschaften (wie gesagt: auf allen Ebenen und in allen Separiertheiten und Aufteilungen) noch intakt sind, aber aus dieser Zugehörigkeit auch teilhaben an ontologischen Gefärdetheiten - das heißt: Etwa an politischen, gesellschaftlichen Veränderungen, die die Beziehung von solchen Seinseinheiten zueinander verschiebt, verändert, oder gar ganz reale Bedrohungen abzeichnen, die noch lange Wege zurückzulegen haben, um eines Tages vielleicht (und dann immer nur in Teilen) "bewußt" und Gegenstand der Debatte zu werden.


Morgen Teil 2) Hände die streicheln sind nicht immer nett




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