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Donnerstag, 11. Februar 2016

Merkmal der Qualität ist der Müll

An gotischen Kirchen ist auffällig, daß sie selbst an Stellen, die man kaum oder gar nicht zu Gesicht bekommt, von derselben Genauigkeit und Ausstattungsfülle sind wie an Stellen, die jeder sehen kann. Das berührt, weil es an die Natur erinnert. Auch der kleinste, winzigste Käfer, die kleinste Pflanze ist von einer fragilen Zartheit und beeindruckenden Durchgestaltetheit und Konstruktion. 

Das Ende des Mittelalters war gekennzeichnet von einem Übergang auf den Eindruck beim Betrachter. Bis zum Barock hin hat sich eine reiche Technik des Vorschützens entwickelt.

Alles steht vor dem Sein selbst, das ist der erste Wesenszug der Schöpfung.

Guten Charakter erkennt man fast am stärksten daran, ob der Mensch auch im Kleinsten einer Aufgabe treu bleibt. Hier zählt nur die Liebe, die Hingabe, der Blick ist nicht abgelenkt. Es war schön immer wieder zu sehen, wie X den Hasenstall bis in den letzten Winkel hinein mit der gleichen Sorgfalt säuberte, wie den vorderen Teil, obwohl er sofort wieder unter dem frisch eingelegten Stroh verschwunden ist. Und tatsächlich sind es diese Details, die die Lebensdauer und Gesundheit der Hasen am deutlichsten abkürzen können, etwa durch Parasiten und Schädlinge, die vor allem diese nicht sichtbaren Stellen suchen. Das ist im Charakter einer Menschen nicht anders. Das wird wie durch unsichtbare Kraft auch in den Hasen selbst erkennbar: Sie entwickeln sich strahlender, prächtiger.

Es ist deshalb erstes Kennzeichen guter Mitarbeiter. Und man erkennt daran alleine schon, wie direkt Religiosität und die Art der Religiosität für eine Kultur entscheidend sind. Denn diese Haltung ist das klarste Kennzeichen vom Stand und Wohlergehen eines Kulturraumes. Noch heute ist es Merkmal der Qualität eines Produkts, daß es bis ins Detail durchgestaltet das ist, was es ist. Ein gutes Produkt schützt nicht vor etwas zu bewirken - es bewirkt. So wie Kunst das, was sie darstellt, auch IST, dsie hat es nur von einer geistigen Ebene her geschaffen.

Aber heißt das, daß nur schlichtes Handwerk "gute Produkte" herstellen kann? Nein. Genau das heißt es eben nicht. Es heißt nur, daß Herstellung und Produkt und Ebene in der Schöpfungsordnung unlösbare Bezüge zueinander haben, die graduell ein mehr oder weniger direktes Mitwirken des Menschen erfordern. Rinderzucht wird immer mehr menschliche Kunst erfordern, als Lederverarbeitung, und diese wieder mehr als Plastikguß, beide werden aber nie ohne Menschen auskommen. Je komplexer die verwendete Materie, desto mehr braucht es den Menschen.

Der handgefertigte Schuh ist dabei nicht deshalb hochwertig, weil er ein andere Leder verwendete als der maschinell gefertigte Schuh (denn man tut dem Wort Unrecht, wenn man alles unter "industriell" subsummiert; Industrie gab es immer, sie ist im Wesentlichen Rationalität, Abstraktion und Arbeitsteiligkeit) oder andere Rohstoffe. Der Unterschied ist oft marginal, oder kehrt sich sogar um. Der VdZ hatte zu Zeiten mit außerordentlich hochwertigen Industrieprodukten (Designmöbel von Weltruf) zu tun, und diese waren in ihren Details oft besser gearbeitet, als sie ein Handwerker hätte herstellen können. (Interessanter- und logischerweise waren sie dann auch teurer als Handwerksprodukte, sodaß der VdZ sie auf Kundenwunsch nach Einsparung ab und an sogar nachbauen ließ, was aber nie ganz möglich war. Der hochwertige industrielle Prozeß war technisch-qualitativ überlegen, die Spezialisierung der Hersteller hatte technisch ausgereiftere Lösungen gefunden!) Der VdZ hat Hersteller persönlich kennengelernt, die sich als Handwerker verstanden, die sich nur weiterentwickelt hatten, und heute (z. B.) Massivholzplatten in einer Präzision und Formstabilität herstellen konnten, wie sie keinem einzelnen Handwerker je gelingen würden.

Auch das Verwenden von Maschinen ist also noch nicht der wirkliche Unterschied - gerade die besten Handwerker sind bekanntermaßen immer auch in ihr Werkzeug verliebt, als ihr verlängerter Arm, und oft ganz närrisch nach Maschinen. (Auch daran übrigens erkennt man deshalb gute Mitarbeier: Im Umgang mit ihren Werkzeugen.) Gotische Kathedralen waren nur möglich, weil ein hochentwickelter industriell perfektionierter Herstellungsprozeß möglich war! Und ohne die vorausgehenden (und maßgeblich zugewanderter) Entwicklungsschritte in der Mathematik wären sie gar nicht zu bauen gewesen.

Der wirkliche Unterschied besteht darin, daß jeder Nadelstich, jede Naht, jeder Lederknick nur als Einschau in einen (in der Persönlichkeit verwurzelten) ganzheitlichen Prozeß der Kunstfertigkeit des Herstellers gesetzt wurde. Dieser Prozeß des Werkens vor dem Sein, vor Gott also, ist das Entscheidende. Im letzten also wird jedes Wirken an diesem Punkt eine Kunst, und nur der Mensch kann auch mit komplexen Materialien umgehen. Und darin unterscheiden sich Handwerk und Industrie nicht prinzipiell.

Dabei ist ein gutes Produkt wie jedes Kunstwerk nie abgeschlossen. Es ist nur relativ abgeschlossen, und Ausgangspunkt für ein nächstes, noch besseres.

Diese Ganzheitlichkeit ist auch in einem Industriebetrieb möglich. Dieser ist Werkzeug, nicht mehr, nicht weniger, ausgelagerte, für sich dargestellte menschliche Wirkkraft. Denn sie kann weitere Ebenen erfassen - theoretische Ebenen. Und deshalb ist Industrie kein Einfall der Hölle, sondern tatsächlicher Schritt einer Höherentwicklung menschlicher Kultur weil menschlicher Sittlichkeit.  Zumindest prinzipiell.

Diese Relativität ist Treibsatz für Fortschritt und Wachstum, dem aber zur Lebenskraft noch etwas Entscheidendes fehlt, sowohl im Handwerk wie im Industriebetrieb: Die Ergänzung durch jene Gelassenheit, die aus dem Begreifen erwächst, daß es auf der Welt immer tendentiell fehlerhaft zugeht, daß die menschliche Kraft oszilliert, der Stand der Sittlichkeit nicht immer gleich ist, daß uns Vollkommenheit als Menschen im Werk nie ganz erreichbar ist, obwohl wir sie ohne Unterbrechung anstreben. Und daß auch rein maschinelle Prozesse nur statistisch "perfekt" sind, nicht aber im Einzelfall, also ebenfalls tendentiell zu Fehlern neigen.

Menschliche Arbeit produziert also immer (!) Ausschuß, produziert immer auch Müll. Der "mülllose" Betrieb ist eine reine Fiktion. Es wird ihn nie geben, und man muß sogar warnen vor Betrieben, die das behaupten. Denn dann wissen sie nicht, wo sie Müll produzieren, und sei es daß sie einen Teil ihrer Kraft in die Herstellung dieser Fiktion stecken und damit erst recht verschwenden. Jeder gute Organismus muß deshalb einen Ort des Chaos haben.

Denn dann erst ist ein Werk auch wirklich gut getan. Wenn es diese letzte Großmut und Milde auch noch kennt. Selbst die größten menschlichen Werke haben irgendwo einen Fehler, der nicht zu vermeiden war, irgendein Kalkül, das nicht aufgegangen ist. Und dasselbe gilt für das, was wir gerne als "Natur" bezeichnen. Auch sie ist ein oszillierendes Näherungsgeschehen rund um Ideen im Rahmen eines Ganzen, ein Beziehungsgeschehen, auch sie produziert Ausschuß, auch sie produziert Müll. Das Wunderbare daran aber ist, daß es sogar genau diese Fehler sind, bewußt oder unbewußt, organisch oder nicht organisch, die die übrigen Vollkommenheiten erkennen lassen. Die Erde, ja der Kosmos ist ein Prozeß, seine Endprodukte sind nie fertig, sondern Zwischenstände in der Erreichung einer Idee. Dynamik um einen Gesamtsinn, nicht starre Bildproduktion, mit Fortschritten wie Rückschritten in der Reinheit der Darstellung. So wie Gott ein Geschehen ist, ganz actu ist, ist es auch seine Schöpfung.**

Das Großartige der Schöpfung ist deshalb gar nicht so sehr, daß sie so vollkommen und überschwenglich bis in jedes Detail ausgestaltet ist. Das Großartige an ihr ist, daß auch alle Randprozesse, diese chaotischen Nebenerscheinungen die "Fehler" sind, nie außerhalb ihrer Gesamtordnung bleiben, sondern selbst wiederum ihren Sinn im Ganzen und für das Ganze haben. Jede Kultur hat deshalb notwendig ihren "Graben", ihre Müllkippe. Sie ist der zweite Fuß, der sie immer wieder in die Ordnung zurückstößt, ohne den aber Ordnung gar nicht möglich ist.

Es ist vermutlich überhaupt nur ein Problem der Medien, ein Problem der nicht mehr situationsbezogenen Betrachtung von Dingen und Welt, ein Problem der Ortlosigkeit und der daraus folgenden statistischen, abstrakten Betrachtungsweise, daß wir heute "Müll" in jedem Fall und prinzipiell als zu beseitigende Größe betrachten. Denn Müll steht immer in einem bestimmten und auch mengenmäßigen Verhältnis zum Nicht-Müll, zu Dingen also, die in kulturelle Ordnung eingefügt sind. Er wird den Tiefen von in der Natur liegenden Kräften zurückgegeben. Es gibt keinen Müll, der sich nicht abbaut. Dafür sorgt schon die Entropie: was kein Ding ist und in keiner Ordnung steht und dort im Wechselspiel erhalten wird, zerfällt und wird zersetzt.

Wer von der Welt das fordern möchte, was die totale Ökologie fordert oder auch nur meint fordern (weil erreichen) zu können, ist mental krank. Putzzwang, Zwang zur Sterilität ist pathologisch. Die modernen Umweltbewegungen sind deshalb in vielen Grundmotiven vermessene und absurde Korrekturen des Schöpfers. Auch sie werden Müll produzieren. Ja gerade sie.




*Übrigens täuscht man sich auch in der Perfektion von Maschinen und maschinellen Vorgängen. Denn ihre Perfektion (die auf der scheinbaren Gleichheit ihrer Verrichtungen beruht) ist nur relativ, ist nur statistische Perfektion. Das Faszinierendste an der Sicherung der Qualität industrieller Prozesse mit der sich der VdZ vor zig Jahren zu befassen hatte war, daß es eine Fehlerquote UNTER 1-2 % in industriellen Herstellungsprozessen nicht mehr gibt. Sogar Material, Materie ist nur grosso modo "gleich" und bestimmbar. Kein Molekül gleicht wirklich in allem dem anderen, und in einer bestimmten Restmenge kulminieren diese Abweichungen zum Totalbruch eines Dings. Rührt man im Herstellungsprozeß an dieser Grenze, steigt der Aufwand zur Vermeidung von Fehlern progressiv, auch bei scheinbar bis ins letzte definierten technischen Prozessen, und theoretisch bis ins Unendliche. Nichts ist der Maschine (geistig oder materiell) ganz ausdefinierbar. Ab hier wird der Mensch der Maschine sogar überlegen, weil er Intuition hat und fühlen kann, wie sich Material im Grenzfall verhält. Während ein Industrieunternehmen daran ausbluten kann, auch noch die letzten Fehler durch Maschinisierung und Automatisierung ausmerzen zu wollen. Deshalb sind die Produkte des hochindustriellen Zeitalters von Vorgängen vorheriger Materialdestruktion gekennzeichnet, im Schmelzen und Zerreiben. Je komplexer verwendetes Material in der Gestalt wurde, desto schwieriger ist es von der Maschine zu beherrschen.

**Der Fehler im Denken einer Evolution liegt nicht in diesem Geschehensprozeß, das hat man vor 200 Jahren (aber längst! weit davor im übrigen) schon recht gut erkannt. Der Fehler ist, eine linear historische Entwicklung anzunehmen, die auf einen irgendwo liegenden irdischen Punkt zusteuert. Vereinfacht: Alles bewegt sich und steht in engstem Kontakt mit allem, aber es bewegt sich um eine in sich bewegende und bewegte "Achse" einer Gesamtidee, die sich in den einzelnen Ding-Ideen (Vorsicht vor der Verbildlichung ...) in einer hierarchischen Gliederung ausdifferenziert, und zwar IM Darstellen, in der Gestalt. Beispiel: Grundstreben der Schöpfung ist Selbststand im Selbstsein. Aber dieses wird vom Stein anders angestrebt als vom Baum, von diesem anders als vom Tier, und wie erst anderes - nämlich geistig alles umfassend, Gott analog - dann im Menschen. Deshalb spricht die Schrift von ihm als der Krone der Schöpfung; alles mündet in ihm, alles geht von ihm aus - Analogie zu Gott. Alles was ist ist es selbst nur in dem Maß, als es je neu seine Grundidee (als Dynamik) anstrebt und Gestalt zu sein strebt - als Welt. Nur als Welt kann die Schöpfung an Gott teilhaben. Dieses Streben ist IN diesem Strebennach Gestaltsein Anteil am Leben, oder eine im Anorganischen analoge Tendenz. Was nicht strebt - verfällt.





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