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Mittwoch, 23. März 2016

Was hätte aus den USA werden können

Oh Amerika, USA, was hättest du werden können! Hort der Freiheit, Hort der menschlichen Größe ... vertan, verloren, vergeben.

Karajan, wer sonst, bringt die Schärfe der Kontur durch exstreme Sachlichkeit im Detail, und erst damit den Glanz der ganzen Vision. Denn faktisch vorgefunden haben sie weder Dvorak noch Kafka noch ... alle die, die der Legende glaubten weil sie so gerne gewirklicht gesehen hätten, und sie im 19. Jhd. durch Reisen in die USA suchten und ... nicht fanden, enttäuscht wiederkehrten. Und schließlich malten, wie sie sie erträumt hatten. Die Details, das Vorgefundene, Vielfältige der USA aber natürlich dabei verwendten, aber in neuem Horizont - als Ganzes - neu ordneten.

Der VdZ - der selbst noch nie in den USA war - kennt Auswanderungswillige, die voller Mut und Optimismus und Gestaltungswillen hinfuhren, und gleichfalls (also im 20. Jdh.) tief enttäuscht zurückkehrten. Keinen Traum von Freiheit, sondern eine Müllhalde des Barbarischen hatten sie vorgefunden. Dort wollten sie nicht leben. Da war noch die Bedrückung in Europa erträglicher. Die USA ist nur noch für die Schmeißfliegen Europas anziehend. Der Bruch zum Barbarismus geschah im Sezessionskrieg 1862-65, scheint in den 1920er Jahren seine dämonische Gestalt gefunden zu haben, aus der Schwäche, die sich im 1. Weltkrieg manifestiert hatte, und wurde defintiv mit Roosevelt, versiegelt mit der Beseitung Kennedys, als scheinbar Letztem, der diese Weiche überhaupt noch erkannt hatte. Heute ist die USA nur noch wüste Halde, auf dem Weg zu niedrigster Menschheitsstufe. Entwicklungsland in spe. Wer das beobachten möchte, sollte seine Augen auf die USA richten. Alle suchten und suchen eine "Neue Welt" - und alle finden ... die USA.

Es gibt im Netz noch eine gleichwertige, ja fast noch bessere, hier präzisere und dabei dort emotional bewegendere Version unter Masur, aber sie ist technisch mühsam zusammenzukratzen. Deshalb hier - Karajan mit den Wiener Philharmonikern. Karajan hat halt so viel musikalische Kraft, daß dem geübten Hörer irgendwie bald alles nach "Karajan" zu klingen beginnt. Aber mit seiner fast starrsinnigen Präzision und Abstraktion geht man nie wirklich fehl.

Dennoch, oder natürlich auch mit Karajan: Was für ein zweiter Satz! Wer hier weint, muß sich nicht schämem. Er weint um die Schönheit der Menschheit, den Lobpreis der Schöpfung, weint aus Sehnsucht nach in diesem Leben Unerreichbarem. Weint aus Sehnsucht nach dem Späteren und Verheißenen. Weint nach dem Ursprung in Gott. Und lebt gerade daraus auf zur fast schneidenden Kraft des dritten Satzes, die Karajan hier bis zur Schmerzgrenze vortreibt. Jeder Ton jedes Instruments wird hier zur Bewegung, zum Tanz, nicht eine Sekunde ohne Gestalt, und das heißt: Bewegung. Unfaßbar das Ineinandergreifen oft kleiner Melodielinien, man braucht, um es zu begreifen, das Dworak hier geschaffen hat. Man wird unmerkbar gezogen, eines verwirrt sich, das andere aber ist darin bereits vorbereitet. Welt, Vielfalt der Welt, und doch in eines führend.

Es bricht im vierten Satz zu einem Furioso der Utopie auf, wo der Mensch die andrängende Chthonik zwingt (man sieht förmlich den Mississippi, die Ströme und Wälder und Gebirge und reißenden Flüssse Amerikas, man hört den sonoren Singsang des Negers über den Wassern, der originalsten Kulturwurzel, über die Amerika verfügt hätte), das Alles zur Kultur zwingt.

Dworak hat sich hier völlig ins Unendliche verloren, von allem "realismo" gelöst, und er hat recht getan. Der Hörer lasse sich fortreißen in den Strudel des Wunderbaren der menschlichen Größe - der Kultur, diesem emphatischen Chor vor Gott! Der umso wahrnehmbarer wird, als Karajan alles menschliche Selbstwollen im Hörer immer wieder zurückhält, denn das ist seine "Art", wo er den Hörer diszipliniert, bändigt, und so das Erleben noch größer macht, weil überhöht, indem er das Hörerlebnis ins Ereignishafte des Unerwarteten, Staunenden zwingt. Denn nur mit Staunen kann man noch hören. Das zu können macht Karajan zum Priester und Propheten.

So hätte Amerika sein können. Kein Künstler ohne das Wissen um das Ewige, keiner ohne Wissen um das defintiv Schöne, keiner ohne brüllende Sehnsucht danach, und keiner ohne Verzweiflung, es bestenfalls, bestenfalls streifen zu dürfen. Dworak brüllt zu Gott, um eine "Neue Welt". Dann starb er. Gott möge ihm erfüllt haben dieses Brüllen, in dem Dworak alles hingab, um Neues aus den Himmeln zu schütteln. Das Wesen der Kunst ist nicht "realismo", es ist die Suche nach dem Archetypischen. Denn alles Vereinzelte ist nur die Individuation des Allgemeinen der idea in der Ordnung Gottes, und so ist überhaupt Welt. Nur so.

Die Welt ist aus der Musik. Der erste Mensch sang in Versen, und sein Bewegen war der Tanz. Und wir werden es dereinst wieder tun, in der neuen Schöpfung. Auf sie leben wir hin, vergessen wir das nicht. Wir leben auf den Tanz im Singen hin, wo der ganze Kosmos in unendlichem Jubel aufklingt! Glücklich, wer es ahnen darf. Er weiß. So mögen wir hoffnungsvoll sterben.

Deshalb löst sich auch Dworaks Utopie in wirbelndem Tanz auf. Sie ist Endpunkt aus Lösung irdischer Verstrickung, und wird so zum Anfangspunkt einer Neuen Welt.

Das Paradies auf Erden ist nicht erreichbar. Aber kann man Mensch sein, ohne es zu ersehnen? Kann man Mensch sein, ohne es im Gottesdienst, der Heiligen Liturgie, dem vollendesten Kunstwerk, und ahndungsweise in jedem großen Kunstwerk, zu erfahren? Kann der Mensch Mensch sein ohne Utopie? Man muß zur Schönheit aufstehen, auf daß der Kopf ins Ewige rage! Mit wem ist diese Menschheit vergleichbar? Wir haben gespielt, aber ihr habt nicht getanzt. Und ansonsten schenken wir der Utopie jene Milde, die ihr gebührt, und danach erst jene Schärfe, sie sie braucht.









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