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Samstag, 30. April 2016

Von der unweisen Weisheit

Nun, da er selber an dieser Altersschwelle steht, und seine "altersgemäße" Umgebung sie mit ihm überschreitet oder überschritt, macht der VdZ immer häufiger eine Beobachtung, die sich in "Trennung von Pastoral und Praxis" bezeichnen läßt - im Alltäglichen analog zu großrahmigen Beobachtungen also. Diese Trennung hängt wiederum mit einer zuvor bereits erfolgten, meist habituell gewordenen Ablehnung des logos zusammen - der Selbsttranszendierung auf das Wort hin, die Idee (als Dynamis, als Bild nicht wirklich fixierbar, wenn auch im Bild poetisch enthalten.)

Konkret äußert sich das auf die Weise, daß Menschen eine "zweite Weisheit" zu entwickeln beginnen. Sie beginnen eine Weisheit zu formulieren, die von der Weisheit unterschieden ist, die mit der Logik des Erkennens korrespondiert, wo eines aus dem anderen also hervorgeht, und niemals trennbar ist, also auch Entsprechung haben muß.  Es ist eine Weisheit, die durchaus gar nicht mehr logisch sein muß, ja die sich sogar dadurch auszeichnet, daß sie auf Logik überhaupt verzichtet.

In den Beobachtungen des VdZ hat sie mit einem gewissen Kraftverlust zu tun, der sich im Übergang der 50er auf die 60er Jahre verzeichnen läßt. Was nämlich bis dorthin nicht als Haltung verfleischlicht ist, wird nach und nach verdrängt. Es ist ja eine alte Wahrheit aus der Tugendlehre, daß im Kampf zwischen Anspruch (logos) und Verfleischlichung (also: habituelle Verwirklichung) auf Dauer das Fleisch siegt. Was Tugendlehrer als "Stimme des Gewissens" bezeichnen, weicht nach und nach. Dieses Gewissen kann auch in Form einer Person auftreten, von der man diesen Anspruch verkörpert sieht - und das ist wesengemäß der Vater und alle ihm analogen Figuren.

In gewisser Weise kulminiert also in diesem Alter, dem Übergang vom Menschen in der akmé, also der höchsten, entfaltetsten Lebenskraft, zum Alten, in dem sich der Vorausblick endgültig in einen Rückblick wandelt, und die Gegenwart an Bedeutung verliert, auch der Kampf gegen den Vater. Er findet dort seine endgültige, resultative Ausformung.

Und er tut es gewissermaßen als "Weisheit des faktischen modus vivendi", der Lebensart, die man bislang gepflegt hat. Wenn dies ein Kampf gegen den logos war, so wendet sich der ungesättigte Teil dieses Kampfes, der nie erfüllte, verfleischlichte Anspruch in einen Haltung gegen den logos. Diese gewissermaßen zweite Weisheit ist damit die weltimmanente Weisheit eines Abfindens mit der Unerfülltheit des logos in seinem Drängen nach Verfleischlichung.

Es ist eine Weisheit, die eine Welt annimmt, die auch durchaus ohne Wahrheit erkennbar und bildbar ist. Es ist eine Weisheit, die der Wahrheit Irrelevanz, bestenfalls Zusatznutzen für die Welt zuweist. Es ist eine Weisheit der Seinsflucht, die das Sein genetisch dem faktisch Seienden zuschreibt.

Konkret ist sie als gewisse Stufe der Zufriedenheit festzustellen, in der Altersweisheit auch mit einer Form des Lebensgenusses - ja, gewiß, es ist eine vorweggenommene Abrechnung mit der Wahrheit im Tode - verbunden und automatisch dem Alter (freilich: nur dem logos-freien Alter, also ... sich selbst) zugeschrieben wird. Schon gar, wenn im Alter eine gewisse Lebensernte zur Verfügung steht, sei es in Vermögen und Geld - und in unseren Ländern "trifft" sie damit jeden, in Form der aus allen Ursache-Wirkungsverhältnissen herausgerissenen "staatlich garantierten" Rente, die endgültig von der Sorge um die Wirklichkeit (als Existenzsorge) befreit - oder rein faktischen Lebensgestalten der Nachfahren.*

Aus dem Gesagten geht hervor, daß besonders zeitlebens Verbeamtete² dieses Stadium schon lange gelebt haben, ehe sie nominell dieses Alter erreichten. Denn dem stets Abgesicherten, der immer in einer Art Existenz- und Wohlstandswatte Eingehüllten, hat mehr als dem Freien der reale Anreiz gefehlt, sich an der Wirklichkeit und damit an der Wahrheit zu formen. Seinem Streben fehlt so gut wie immer der entscheidende Ernst. Aus dem gleichen Grund sind Frauen für diese schlicht nur der Resignation endgültig gefolgten Ersatz-Weisheit, wie wir sie auch bezeichnen wollen, besonders gefährdet, wenn ihnen Teilhabe an der existentiellen Sorge über den Mann erspart blieb, oder (was häufiger ist, als viele glauben wollen) sie nie an dieser Sorge teilhatte weil sie sich davon nicht angesprochen fühlte. 

Das wird sehr häufig von einer Entwertung, ja gar Verleumdung und Verächtlichmachung der Weisheit des logos, des welttreibenden Geistes begleitet. Ganz so, als sei diese - wie in der Spaltung von Wahrheit und Pastoral - für das Leben unwesentlich, bestenfalls eine schöne, aber doch irrelevante Sonderbegabung. Denn diese zweite Weisheit, von der hier die Rede ist, bezieht ihre Maßstäbe aus dem Irrationalen rein subjektiver Lebenswerte.

Zugleich tritt eine "Schönsprechung" (die Analogie dieses rein psychologischen Vorgangs zum Wort "benedictio" ist nicht zufällig gewählt) der Lebensresultate auf. Selbst die Schulderkenntnis, die Erkenntis des Nicht-Gelungenen erhält ihren Platz nur noch als Dekor eines im Grunde, wie man findet, gelungenen Lebens. Daraus leitet sich eine Schönsprechung der faktischen Lebensweisen der Nachkommen ab, die schon rein durch ihre Präsenz jene harte Aufforderung darstellen würden, die man im Gewissen/Vater (s.o.) endlich zur Seite stellen zu können meint (anstatt dies als letzte Chance zu begreifen - als Hinausverlagerung des inneren Konflikts, den weiterzuführen die Kraft nicht mehr reicht). Etwas, das man fälschlich (und im Hochmut der Selbstbewertung) zu gerne als "Milde", wie sie das Alter brächte, ablegt.

Wer also im Leben den existentiellen Punkt des Todernstes nicht findet, aus welchem Tod (Kreuz) die wirkliche Überlieferung in die Transzendenz und damit in eine schöpferisches Leben folgt, wer also seinem eigentlichen Leben auswich - "weil es auch so geht" - wird ihn im Alter in jedem Fall ernten. Und er wird mit der größte Wahrscheinlichkeit dazu übergehen, dieses pur zufällige Faktische seiner Lebensernte "schönzusprechen". 

Aber er steht in der größten Gefahr, sich damit in eine Weltimmanenz einzuschließen, und sich auf das zu beschränken, was ihn nur lehrte, die Wirklichkeit des Lebens aus dem Geist (die ein Leben der Todesbereitschaft verlangt) vor den Mauern seiner Seelenburg zu halten. Für ihn mag (vielleicht nach dem Motto: naja, der größte Sünder war man ja nicht ...) deshalb das Alter der "Limbus"** (!) werden, der Ort einer gewissen durchaus erreichbaren innerweltlichen Zufriedenheit und Glückseligkeit. 

Aber die wirkliche Freude, die eine völlig andere Dimension enthält, wird ihm vorenthalten bleiben. Er hat sie eingetauscht. Zugunsten einer "Weisheit", die in der Welt bereits vorwegnimmt, was diesem Leben erreichbar war. Man sprach sich selbst das Urteil, und man befand sich "doch so halbwegs in Ordnung", und wo nicht, hat man Rechtfertigungen, Erklärungen und Ausflüchte. Noch dazu wo es jedem, wirklich jedem Menschen (so er die Lebensjahre erreicht) möglich ist, diesen Hafen des "kleinen, irdischen Himmels" zu erreichen.

Über den Rest, über den Übergang in den Tod, schweigen wir lieber.


Nachsatz: Das wohl größte, elementarste Problem des Menschen, und zwar gerade in dieser Zeit, ist die Ablehnung des logos als Ablehnung und Abschüttelung des transzendentalen Anspruchs. Es ist die Ablehnung des utopischen Wesens des Menschen (zur Begriffsverwendung siehe u. a. Y Gasset). Selbst das Genderproblem ist ganz genau dieser Art. Früher nannte man dies sehr präzise "Acedia", Trägheit der Seele, die mit rein äußerlicher Tätigkeitsdichte nichts zu tun hat, ja nachgerade im Gegenteil. Deshalb ist das, was hier als "Problem des Alters" dargestellt wurde, in der Regel heute ein Problem der ganz normalen Lebenswege, zu denen die Menschen der Gegenwart von Kindheit an (!) hinerzogen werden bzw. seit Jahrzehnten wurden. Es hat aber immer mit der Entkräftung des Vaters (bzw. dessen Kraftlosigkeit) zu tun, und hebt deshalb bei der Frau und Mutter an. Denn sie ist der Eros des Mannes, sie ist sein materialer Boden, auf dem er erst zu sich kommen kann - in den Früchten, die er trägt, in seiner Topographie, in der er sich am Rhythmus des logos ergehen könnte, um weiterzuschreiten. 

*Gerade amerikanische "Familienfilme" sind Meister dieser falschen Lebensernte als falschem Familienbegriff einer rein weltimmanenten Nutznießung in Zufriedenheits- und Glücksgefühlen, die eine wie auch immer gestaltete Familie zu bieten hätte. Man sollte sich da nicht täuschen lassen - mit "Familie" im eigentlichen Sinn hat dies so gut wie nie etwas zu tun. Sondern es ist eine Form des Hedonismus und Nihilismus.

²Hier sei auf die umfassendere Deutung des Begriffs "Verbeamtung" verwiesen, wie sie an dieser Stelle schon oft ausgeführt wurde. Es geht um eine Lebensform der Vermeidung existentiell letzter Risken, des Auseinanderreißens von Lebenstat und -folge, wie sie bei Beamten fast programmatisch, aber in diesen Zeiten und diesen Ländern fast allgemeine Erscheinung der Sozialstaatsform ist. Wer aber diese Wirklichkeit scheut oder zu vermeiden vermag, der entfernt sich unweigerlich auch von Gott.

**Die vor Jahren erfolgte "Abschaffung des Limbus" als Begriff der katholischen Theologie ist einfach nur zu bedauern. Denn der Begriff bezeichnete eine sehr reale Lebens- und Sinnwirklichkeit.




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