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Sonntag, 12. Juni 2016

Niedre Zeiten bringen Niedrigkeiten

Wenn man von kulturellen Leistungen spricht, von Kunst und Qualität, so ist das Leiden an der Mittelmäßigkeit, das so vielfach schon beklagt wurde, eine logische Folgeerscheinung einer Auflösung gesellschaftlichter Gefügtheit in gesunden Hierarchien und dem Zueinander von Autoritäten, wie sie jedes menschliche Miteinander sogar konstituieren. Jede Epoche kulturellen Hochstand wird deshalb immer von Kommentatoren eingeleitet, die jenes Licht geben, unter dem erst große Leistung erkennbar wird, zum einen, zum anderen aber - und das wird am allermeisten unterschätzt - unter dem sie erst zu solchen Leistungen werden. Hohe Kultur hat deshalb Menschen in Autoritätspositionen, die Institutionen gleich in der Lage sind, das "Würde", das Mögliche an einem Menschen in Wesensschau zu erfassen und durch Zuerkennung in seinen Rang zu heben. Wer gute, große Kunst sucht, muß deshalb vor allem einmal nach dem Zustand der Kunstkritik Ausschau halten. Denn das Niedere erkennt das Höhere nicht, das Hohe wird nur vom Hohen erkannt.

Es hat deshalb etwas von bitterem Zynismus und mürber Ungerechtigkeit, wenn (wie jüngst einmal geschehen) ein selbst recht mittelmäßiger Kultur- und Kunstkritiker beklagt, daß "mittelmäßig begabte Künstler" sich in eine Reihe mit Kurt Tucholsky stellten, indem sie seine Aussagen auf sich münzen. Mag sein, daß etwas daran stimmt. Aber noch wahrscheinlicher ist, daß diese Mittelmäßigkeit in einer nicht mehr funktionierenden Ranginstallation wurzelt.

Ein Ranginstallation, die in einer Zeit des Autonomismus, des Zerfalls in Individuen mit gar nicht gekannten Autoritätszuordnungen (denn ohne Autorität geht es gerade bei sehr "selbstbestimmt" auftretenden Menschen auch dort nicht), dem Irrglauben, daß sich ein Oben aus einem Unten, alles aus einer "grass roots-"Bewegung ergeben würde, die in solch einer Zeit der Youtube-Clicks und Zuschauerquoten Qualitätsmangel durch Quantität zu ersetzen sucht, weil sie verzweifelt nach Kriterien und Autoritäten giert, eine solche Ranginstalltion funktioniert eben heute nicht mehr. Bestenfalls zufällig. 

Sodaß sich wie ein Credo der Gegenwart jeder bemüßigt fühlt, die fehlende Zuerkennung eines solchen Ranges, den Ort an den er sich befindet, der seine Identität bedeutet, und der zuerkannt werden muß (denn in Wahrheit kann sich Identität niemand selbst geben, sie muß von außen kommen), durch eigenes Zutun herzustellen. Mit der Folge eines Kampfes jedes gegen jeden, die alle eines vereint: Die Angst, in diesem Spiel zu kurz zu kommen, untergerankt zu werden. Damit hat sich aber das Wesen des gesellschaftlichen Ranges - gerade in der Kunst - völlig verändert. Weil sich seine Kriterien verändert haben. Denn es ist das eine, sich "clever" der Mechanismen zu bedienen, sich einen Rang durch Vortäuschung von natürlicher Entsprechung zu beschaffen (ganze Agenturlandschaften sind bereits damit beschäftigt, ihren Klienten vorgespielte natürliche Entsprechung im Publikum zu beschaffen, und sei es nur durch "Friends" auf Facebook, oder Zugriffen auf Youtube-Videos) und damit in jenen Rang zu versetzen, der kulturelle Gefüge eben prägt - Autorität, Qualität, Würde. Ein Spiel das sich Kriteria bedient,  die aber mit wirklich kultureller oder Kunst-Höhe nichts zu tun haben.

Größe und Selbstvermarktung als Rangusurpation schließen sich nämlich schon prinzipiell aus. Im Gegenteil, wächst gute, hohe Kunst erst dort, wo der Schaffende sich eben NICHT als jemand sieht, der mit dem was er tut einen Rang im Publikum anstrebt. Deshalb braucht es ja die Autorisierungsmechanismen, deshalb braucht es ja die Kunstkritik. Die in ihrer besten Form sogar dem Künstler den Weg zu seiner höchsten Leistung weist, indem sie in der Lage ist, alle Verunreinigtheiten seines Schaffens aufzuzeigen. Und das ist praktisch immer das, wo der Künstler sich durch Weltverhangenheiten (und seien es simple Eitelkeiten) selbst im Wege steht. Und sie bestimmen den Rang als jenes Licht, unter dem überhaupt erst ein Werk - und das ist ohne Ausnahme immer so, bei jedem Erkenntnisakt, dem eine Offenbarung vorausgehen muß - wahrnehmbar wird. Und damit als das wahrnehmbar wird, was es im geistigen Profil einer Zeit und einer Kultur zu bedeuten hat, aus dem bloßen dumpfen Fühlen also in Gestalt hebt. Auch beim Künstler, dessen Verantwortung für sein Werk sie schärft und dessen Willen zur Leistung sie anzündet.

Das macht einen Vergleich von Kunstepochen so schwierig, ja unmöglich und unfair. Denn wer weiß, ob nicht diese beklagten mittelmäßigen Künstler, die sich dem im "Rang" weit übergestellten Tucholsky bedienen indem sie ihn zitieren als hätte dieser sie gemeint, wer weiß also, ob diese Mittelmäßigkeit in hohen Zeiten nicht auch zu Größe gekommen wäre. Wir werden es nie erfahren, nicht auf dieser Erde. Denn eines bleibt auch in solchen Zeiten gleich - der künstlerische Grundkonflikt der eigenen - "göttlichen" - Haltung dem Sein gegenüber. Dieser Pegel bleibt sogar über alle Zeiten praktisch gleich. Doch eine Potenz kommt in niedrigen Zeiten, die dann nur noch Niedriges oder sogar noch Niedrigeres wecken, aber nur sehr sehr schwer zu einer Erfüllung. 

Große Gedanken, große Werke entstehen eben nur in großen Ländern. Eine niedrige Umgebung aber macht auch die Hervorbringungen ihres Gegenüber niedrig.





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