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Montag, 8. August 2016

Weder fremd noch gleich

Es gibt zwei Fehler in der Beurteilung fremder und ferner Kulturen und Menschen. Der eine ist, sie als völlig verschieden zu sehen. Und der andere, sie als völlig gleich zu sehen. Tatsache ist vielmehr, daß zwar alle Menschen eine gewisse allgemeine Erfahrungsschichte verbindet, daß das allgemein Menschliche also auch alle Menschen gleichermaßen kennzeichnet, aber dieses ist weitgehend unbewußt und muß es auch sein. Dem steht die syntagmatische Sinngebung durch die spezifische regionale, geographische, topographische, lebenswelt- und sogar rassisch bedingte Ausformung als Haltung gegenüber, in der sich eine gewisse Wertung und Gliederung ausdrückt, wie sie in der Sprache, also dem inneren Denken (als dynamisches Kräftegefüge innerer, seelischer Zuwendungs- und Gantheitsverhältnisse) jedes Volkes, jeder Sprache, jedes Menschen zur Gestalt kommt. Das bedeutet auch, daß je andere Bewußseinsinhalte auftreten, je nach dem, was in einer Kultur eben bewußt werden sollte oder mußte. Und  nur in diesem Bereich kann auch von Veränderlichkeit gesprochen werden, denn der Rest ist immanent. Erst wenn sich Bedeutungsakzente der Lebenswelt verändern, verändert sich allmählich auch das Weltbild, ist aber - etwa bei Zuwanderung, Migration - nie (obestenfalls über sehr sehr lange Fristen) dasselbe (weil sein Ausgangspunkt anders ist), als das der Einheimischen, der Landschaft "eingeborenen".

So bilden sie Kulturen und Stilformen des Lebens aus, die durchaus voneinander verschieden, ja in gewisser Hinsicht inkompatibel sind, weil sie die Welt mit anderen Sinngehalten und -gliederungen gestalten, die immer in einem Ganzen der Welthaltung verankert sind, das immer nach Stabilität sucht. Man kann also auch nicht einfach Kulturelemente herauslösen, neu assemblieren, oder einfach woanders integrieren.* Die Balance der jeweiligen menschlichen Systeme wäre sonst rasch gefährdet, denn in jedem Menschen findet sich diese eine Spitze, ob er darum weiß oder nicht: Die Einheit des Sinns.

Fremde Anschauungen fremder Kulturen relativieren also nicht unsere eigenen, und Kulturen heben sich nicht gegenseitig auf, sodaß sie auf sich selbst verzichten könnten. Sondern sie sind je anders bedingte syntagmatische Formen der Weltbegegnung. Die weder völlig voneinander verschieden - also nicht verstehbar - sind, noch ineinander im Verstehenwollen aufgehen.




*Hannah Arendt hat einmal darauf hingewiesen, daß jeder Mensch nur eine Muttersprache hat, und die ist unersetzbar für sein wirkliches, tiefes Ausdrücken. Jede Fremdsprache, so gut man sie beherrschen mag, bleibt einem nur über Allgemeinplätze und Simplifizierungen zugängig, und insofern verflacht auch die eigene Ausdrucksfähigkeit unausbleiblich, sobald man in einer Fremdsprache spricht oder schreibt. Man soll sich also von "guten Fremdsprachen kenntnissen" nicht täuschen lassen, in einer hohen Geläufigkeit liegt sogar eine Gefahr (des leichteren Plapperns).

So sehr sich Syntagmatik mit der Grammatik einer Sprache deckt, so deckt es sich nie vollständig (dann wäre eine Sprache tot) - das lebendig Auszudrückende ist also dem sprachlich Ausdrückbaren immer überlegen und voraus. Genau das aber ist nicht einfach übernehmbar oder veränderbar, sondern dem eigenen Weltauffassen gewissermaßen fleischlich immanent.  

Das ist umso wichtiger, als die Sprache weit mehr als sie "sagt" - verbirgt! Das Nicht Gesagte, das Zwischen den Zeilen oder Dahinter Stehende ist meist sogar das Ausdrucksstärkste, syntagmatisch stärkste Sinngebende, das wir haben. 

Das, was menschliches Verstehen ausmacht, was damit eine Verstehensgemeinschaft (wie eine Volk, eine Kultur etc.) ausmacht, ist primär ein vor-verbalisiertes "Dahinter", und es ist stets das eigentliche Verbindende unter Menschen.

Das heißt nicht, daß nicht alle Menschen letztlich von derselben Logik verbunden sind. Es heißt aber, daß jeder Mensch nur von einem - SEINEM - Standpunkt aus diese Logik syntagmatisch definieren, differenzieren kann. Und das bringt selbst bei nahen Kulturkreisen und Sprachen Unübersetzbarkeiten mit sich, weil es eine "allgemeine, neutrale, für alle gleichermaßen geltende menschliche Sprache" nicht gibt. Und wie in einem Paradox: NUR ÜBER SEINEN EIGENEN STANDPUNKT (als der je modellierten Individualform des Allgemeinen) kann er das allgemeine, überindividuelle eines Ausdrucks erfassen. 

Denn dieses Allgemeine, dieses Gemeinte, dieses "Ding an sich", auf das sich alle Kulturen etc. gleichermaßen ja beziehen (sagen wir: bei einer gleichzeitigen, am selben Ort stattfindenden Begegnung mit einem bestimmten Ding, das also in einer bestimmten Beziehungsqualität zu seiner Umwelt steht), wird NUR SO zugängig und bestimmbar, und ist über das Individuelle der einem immanenten syntagmatischen Modellierung hier ergreifbar, um dann dort in eine andere Sprache transformiert werden zu können, was aber nie völlig gleich möglich ist.





*220616*