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Sonntag, 16. Oktober 2016

Im Anfang ist das immanent Geglaubte

"Wäre der Mensch gezwungen, sich selbst Beweise für die alltäglich gebrauchten Wahrheiten zu liefern, so würde er nie ein Ende finden. Er würde sich durch elementare Beweisführungen ausgeben, ohne weiterzukommen. Da er wegen seiner kurzen Lebenszeit und der Begrenztheit seines Geistes weder die Zeit noch die Fähigkeit hat es durchzuführen, ist er darauf angewiesen, eine Menge von Tatsachen und Meinungen für begründet zu halten, die selbst zu untersuchen und zu prüfen er weder Muße noch Kraft hatte.
Sie waren entweder von Geschickteren entdeckt oder von der Menge aufgenommen worden. Auf dieser ersten Grundlage errichtet er selbst das Gebäude seiner eigenen Anschauungen. Diese Art des Vorgehens liegt nicht in seinem Willen. Das unbeugsame Gesetz seiner eigenen Daseinsbedingung zwingt ihn dazu.
Es gibt keinen noch so großen Philosophen auf der Welt, der nicht zahllose Anschauungen von anderen übernimmt und der nicht viel mehr Wahrheiten voraussetzt, als er selbst aufstellt."
Alexis de Tocqueville

Wenn also eine Generation der Überzeugung ist, sie wüßte endlich alles besser als ihre Vorfahren, so muß man nicht fragen, ob das denn stimmte, oder was sie denn besser wüßte, sondern WEM sie NUN glaubt, und warum sie ihm glaubt, wenn sie ihren Vorfahren nicht mehr glauben will. Will. Denn ohne jeden Zweifel glaubt sie ihnen unermeßlich viel. Sodaß die Frage auftaucht, warum sie sich davon befreien will, weil sie im Urteil über ihre Väter auch sich selbst verurteilt.

In jedem Fall aber ist es eine unumstößliche Tatsache, daß das Weltgefüge Menschheit ein gewaltiges System von pyramidal geordneten Personen ist, wo jeder Mensch anderen anhängt weil ihnen glaubt. Bis zu dem Punkt, dem letztlich alle nur einem glauben, ohne es meist aber zu wissen und über Inhalte auch gar nicht prüfen zu können, weil sie nur den je nachfolgenden Trägern dieser Inhalte, die wie in einer ununterbrochenen Staffette bis vor jedes einzelnen Türen reichen, glauben können.

In Zeiten der Gleichheit, wie sie die Demokratie bewirkt, schenken die Menschen dem anderen immer weniger Vertrauen. Zugleich aber wächst die Neigung, der Masse zu vertrauen, denn wenn alle gleich aufgeklärt sind, bleibt nur noch das Gesetz der Masse. Denn während er den anderen als "gleich" erkennt, erkennt er sich selbst als klein und unbedeutend im Verhältnis zur Masse. Dieselbe Gleichheit die ihn vom anderen unabhängig macht isoliert ihn, und damit steht er dem Einwirken der großen Zahl wehrlos gegenüber. Sodaß es am Ende die öffentliche Meinung ist, die die Menschen führt. Sie wird bei demokratischen Völkern unendlich groß.

Anders als bei aristokratischen Völkern ist es nun nicht die individuelle Vernunft, die eine Überzeugung bewirkt, sondern die Öffentlichkeit, die sich aufdrängt und ihre Anschauungen mit enormem Druck - dem Druck der Massenseele (im Gewande der Allgemeinheit, und damit der Wahrheit selbst) auf den Einzelgeist - in die Gemüter treibt.

Selbst die Religion herrscht dann nicht als einzeln geglaubte, geoffenbarte Glaubenslehre, sondern als öffentliche Meinung. Denn nichts, schreibt Tocqueville an anderer Stelle, ist dem Menschen so geläufig als dem Vertrauen zu schenken, der die größere Macht über ihn hat, ja der ihn unterdrückt. Denn, fügen wir wieder hinzu, darin ist die Grundtypologie des Menschseins überhaupt abgebildet - die Verankerung in einer göttlichen Person. Und Gott ist nur, was die größte Macht hat.

Deshalb drückt sich in diesem pyramidalen Aufbau, in dem jeder in einem anderen verankert ist, DEM er glaubt, die Grundsituation des Menschen vor Gott aus. Die zugleich ontologisches Gepräge ist, und das Dasein im Einzelnen nicht anders kennzeichnet wie im großen Ganzen, nur auf je anderer Ebene.

Die Frage kann deshalb auch nie sein, OB und WAS wir unseren Eltern und Vorfahren verdanken. Schon so zu fragen, entzweit sich mit sich selbst.

Aber die Ursache liegt auch hier in der falschen Anhänglichkeit an JEMANDEN. Wo die Sicherheit in Gott durch die vermeintliche Sicherheit eines Einfügens in die öffentliche Meinung ersetzt, das Religiöse also zu einem Gott wechselt, dessen Prophet die Mehrheit ist. Und was "alle" für richtig halten, muß doch auch richtig sein. 

Die Tragödie, die das für den Einzelnen darstellt, hat also auch hier mit der Erbsünde zu tun, nicht mit der Verfaßtheit des Menschen. Die ist immer gleich "richtig". Falsch ist nur der aktuelle Kurs. 

Es ist somit leicht als Verteidigungstaktitk zu durchschauen, wenn es dieser selben Mehrheitsmeinung genau darum geht, das Richtige zu verleumden, und das Falsche zu bewahren - der Abfall von Gott ist dann die Grundtatsache, um die es geht, welche Meinungsfarbe das hat ist gleichgültig. Die Eingliederung als Gehörende aber immer dieselbe.

Die Person muß gewählt werden, das erspart auch nicht die ontologische Verfaßtheit in ihrer Richtigkeit weil Wesensgerechtheit. Sie muß als das gewählt werde, bei dem man bleibt, noch ehe das individuelle Urteil ausgebildet werden konnte. Gott, aus dem wir hervorgerufen wurden, und die Zugehörigkeit zu ihm ist nämlich das Natürliche. Alles später ist ein Abkehren von dem, was er uns als unsere innerste Grammatik ins Herz gelegt hat.



*300816*