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Mittwoch, 11. Januar 2017

Ganz andere Erkenntnisse der Kulturmischungs-Soziologie (1)

Einige der zahlreichen überraschenden Erkenntnisse über das Entstehen von rassisch getrennten bzw. homogenen Stadtvierteln, wie sie Yona Ginsberg von der Harvard-Universität ca. 1974 unter Heranziehung zahlreicher weiterer Studien in seiner Untersuchung herausfand war, daß rassisch homogene Viertel nicht von ökonomischen Bedingungen getragen werden, sondern eben von ethnisch-religiösen Komponenten. Ginsberg, die ja eigentlich nur das Bostoner Judenviertel Mastapan untersuchen wollte, wo binnen weniger Jahrzehnte die Zahl der Juden von 10.000 auf ein Viertel gefallen war, stellte dabei einige Automatismen fest, die in ihrer Aktualität für heute wohl kaum weniger gelten. 

Zuerst einmal ist festzustellen, daß sich Zuwanderer in Städten zuerst an einem Punkt - dem "Point of entry", der meist im Zentrum oder zentrumsnah ist, weil dort die Infrastruktur am besten ist, am meisten Arbeitsplätze winken, die Baudichte und Wohnungsverfügbarkeit (dazu unten) hoch ist - festzusetzen versuchen. Damit lösen sie eine Abwanderung der bisherigen, eingesessenen Bewohner in die Peripherie aus. Steigt der Anteil von Schwarzen über 10 %, bekommt der Prozeß eine Eigendynamik. Nunmehr ziehen progressiv vermehrt Schwarze zu, und Weiße wandern progressiv stärker ab. Die Bevölkerung eines Stadtteiles wird damit ausgetauscht.

Ein Prozeß, der aber auch durch interne Vorgänge beschleunigt wird, denn junge Menschen suchen auch aufgrund veränderter Familienstrukturen eher Stadtrandgebiete. Gleichzeitig ist in Vierteln mit hohem Anteil von Schwarzen zu beobachten, daß durch die ständig steigende Wohndichte und die auch durch Zuwanderung steigende Nachfrage die Immobilienpreise deutlich höher liegen als in Weißenvierteln. Werden nun in guten "weißen" Lagen und Vierteln Wohnungen frei, so finden sich in der Regel sofort Schwarze, die zu höheren Mieten als bisher zu erzielen waren diese Wohnungen übernehmen. Es besteht in der Soziologie der Stadtviertel also überall ein direkter Zusammenhang zwischen den Geburtenraten der jeweiligen ethnischen Gruppen. Wo die alteingesessenen Gruppen hohe Geburtenraten haben, bleiben sie ethnisch homogener und zeigen weniger Zuwanderung.

[Einschub: Wir wollen hier gleich eingreifen und den Begriff Weiß (noch mehr als Schwarz) als untaugliche Kategorie zurückweisen. Sie taugt nicht, das Problem zu beschreiben, denn weiß oder schwarz sind keine Identitäten, nur künstliche Kategorien, die aber die Wirklichkeit nicht beschreiben. In Wahrheit geht es in dem hier beschriebenen Problem um etwas anderes: Es geht um die Auflösung von realen, realistischen Identitäten, die immer auf eine Weise ethnisch, vor allem aber religiös fundiert sind und in den USA durch die Einwanderergruppen - Iren, Polen, Italiener, Deutsche etc. - gekennzeichnet waren, die je eigene Subkulturen mit m. o. w. geschlossenen Siedlungsräumen bildeten. 

Das "ethnic cleansing", das durch Einsiedlung von Schwarzen in amerikanische Großstädte begonnen wurde - und diese Effekte werden hier beschrieben - hatte genau diese politische Absicht: Geschlossene kulturelle, religiöse Identitäten aufzulösen und in einen allgemeinen Begriff "weiß "umzuprägen, um sie damit zu "Amerikanern" zu machen, die von der Politik direkt beeinflußt werden konnten. Diese Abstrahierung trat auch ein, als in den hier beschriebenen Prozessen die jungen Bewohner der Innenstadtviertel in die Vorstädte absiedelten, wo sie in einer identitär nicht mehr definierbaren Masse unter- und aufgingen. 

Damit hat man den Hauptgegner des Zentralismus und der Manipulierbarkeit der Menschen - die Katholische Kirche - entscheidend geschwächt, denn es waren diese Gruppen, auf die das ethnic cleansing abzielte: Es war ein Kampf gegen die Katholische Kirche. Die darauf einging - dieses abstrakte Amerika als "das Reich des Guten" im kalten Krieg - und damit jede Glaubwürdigkeit verspielte. Wir werden darüber noch gesondert berichten, denn wir sehen am Beispiel Amerika, was in Europa und v. a. Deutschland derzeit bzw. vierzig Jahre später betrieben wird. Und auch hier macht die Kirche denselben katastrophalen Fehler und verkennt völlig ihre Situation.]

Dabei spielen die Nachbarschaftsverhältnisse der Stadtviertelcharakteristika eine große Rolle - die Gruppen "springen" nicht, sie expandieren in die Nachbarschaft und in "bessere" Wohnviertel. Mit einer weiteren Überraschung: Denn es waren überall zuerst jene Schwarzen, die einen höheren sozio-ökonomischen Status erlangten, die nun in die zuvor nur weißen Stadtviertel zogen. Sie hatten auch eine höhere durchschnittliche Ausbildung als die Weißen in ihrer neuen Umgebung, verdienten mehr, und zeigen deutlich mehr Tendenz zu Haus-Eigentum und diese Viertel zeigten anfänglich auch deutlich geringere Wohndichte als Viertel mit Schwarzen, wo die Wohnverhältnisse auch deutlich enger waren. Auch waren sie deutlich jünger und hatten junge Familien mit mehr Kindern. 

Genau damit aber bewirkten sie einen Nachzieheffekt, in dem immer mehr schwarze Unterschichten nachkamen. Denn Zuwanderer suchen als "Point of entry" ethnisch-religiös gleiche Gruppen und von diesen bewohnte Viertel. Erreichte der Anteil der Schwarzen erwähnten Anteil, beschleunigte sich der Prozeß dynamisch, bis das Viertel im Laufe der Jahrzehnte ... rein schwarz geworden war. Interessant dabei ist, daß sich innerhalb jeweiliger ethnischer Gruppen soziale Differenzierungen erst ab dem Moment herausbilden, in dem sie keinem Wohnraumdruck mehr erliegen. Etwa, weil die bisherigen Bewohner gänzlich in die Vorstädte abgewandert sind (wie in Chicago ab 1950), und/oder der Zuzug der Schwarzen(bzw. die In-Migration) stagniert.

Die Rolle der Immobilienpreise spielt dabei eine wichtige Rolle. Viertel, deren Bewohner von weiß auf schwarz wechselten, hatten schon zuvor deutliche Verluste in ihrem Ruf als hochwertiger Wohnstandort zu verzeichnen, etwa durch den Zustand der Häuser, sodaß die Hauspreise fielen und damit für Schwarze leichter finanzierbar wurden. Wenn auch dei Zusammenhänge hier sehr komplex und lokal unterschiedlich sein können.

Entstehen schwarze bzw. überwiegend von Schwarzen bewohnte Viertel, in denen alsbald die Bevölkerungsdichte steigt, damit die Mieten steigen, die sozialen Probleme steigen, etc. etc., beginnen in einem nächsten Schritt also die angrenzenden Bezirke sich aufzuweichen. Ginsberg (selbst Jüdin) stellte zu ihrer eigenen Überraschung fest, daß im Bostoner Mastapan das den Alltag bestimmende Gefühl der Bewohner ... Angst wurde. Dabei unterschieden die Einwohner sehr wohl, und urteilten keineswegs "rassistisch"-pauschal über "die Schwarzen", mit denen sie immer mehr zu tun bekamen. Sie wußten, daß es solche und solche gab, und behandelten sie entsprechend differenziert. 

Sie reagierten vielmehr auf tatsächliche Vorkommnisse, vor allem auf eine steigende Kriminalität, die eine ehedem prosperierende Gemeinschaft innerhalb des Viertels, die aus besagten Gründen allmählich älter wurde, aufbrachen und das alltägliche Leben ganz real unsicher machten.  Man mußte nun etwa abends vorsichtig sein, wenn man auf die Straße ging. Das hatte es zuvor nicht gegeben, die bisherige Lebensweise trug nicht mehr.

Die Solidarität der Bewohner, ehedem Alltagsgefühl, löste sich aber damit auf. Weil es mangels gewachsener, fester sozialer Mechanismen keine verläßlichen Anhaltspunkte mehr gab und nun jeder bestenfalls "individuell" zu beurteilen war. Angst, Vorsicht und Mißtrauen zogen ein, denn man wußte nicht mehr wie zuvor, woran man grosso modo beim Nachbarn war.

Die Mechanismen waren für alle Städte der USA dieselben, und es war auch egal ob im Norden oder im Süden. Sie können auch aus anderen untersuchten Gründen nicht auf "Rassismen" oder "Vorurteile" zurückgeführt werden, und sind schlichte Tatsache. Nach und nach wurden zentrale Stadtviertel, in denen der Zuzug von Schwarzen einsetzte, von Weißen aufgegeben und verlassen. Sie zogen in die Peripherie. Nirgendwo in den USA war das anders.


Morgen Teil 2) Aber hier wird es natürlich erst interessant. Und - amüsant.
Denn die Sache mit der Toleranz ist ganz anders als uns erzählt wird






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