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Sonntag, 8. Oktober 2017

Brief an Z (1)

(Auf Bitten Dritter hin veröffentlicht der VdZ auch diesen Brief an dieser Stelle, 
in leicht veränderter, "entprivatisierter" Form.)
Sopron, am 30. September 2017
Meine liebe Z!

Schon den Schlag der Turmuhren zur fünften Stunde habe ich heute wach erlebt, und bin auch bald danach aufgestanden, ich konnte nicht mehr einschlafen. Auch gestern habe ich tagsüber eine gute Stunde im Bett verbracht, das wirkt sich nun wohl auf den Nachtschlaf aus. Seit zwei Stunden sitze ich nun an meinem gewohnten Platz und schreibe Briefe, Antworten, die sich zur Erledigung angesammelt haben.
Darunter ein Brief eines der Kurgäste, R, vom Nebentisch. Den man glatt unterschätzen könnte, so neben einer weltweit agierenden Opernsängerin, einem kroatisch stämmigen Bildhauer, und einem "berühmten Schauspieler" (wie man hier spricht) ;-) Ein seltsamer Zufall, der hier waltete, wer würde eine solche Konstellation in einem normalen Kurhaus erwarten? Denn der Mann ist u. a. Übersetzer von Büchern, spricht eine Menge Sprachen, darunter Russisch, und hat durchaus geistige Qualitäten. Daß er sehr nihilistisch denken dürfte (direkt oder persönlich sprachen wir darüber nicht, das tut man auf einer Kur auch nicht, da bleibt die Welt, also auch das Ich in der Welt, weitgehend außen) ist ein eigenes Problem, ich habe es in meinem Brief angedeutet, mal sehen, ob es zu einer Diskussion kommt. Ich fürchte - nicht. 

Zwei Wochen ist die Kur bald vorüber. Und was in der geschützten Traumatmosphäre problemlos nebeneinander leben konnte, wird im Alltag, zurückgestoßen in eine Identität, in der Regel wieder zu Unvereinbarkeiten, denen man sich gar nicht aussetzen möchte.

Jedenfalls hat er mir ein Buch empfohlen, an dem er immer wieder mit einem Italienisch-Wörterbuch arbeitete, denn er las es natürlich in Originalsprache - "Tatarenwüste" von Dino Buzzati. Ein italienischer Existenzialist der 1920er Jahre, der dort und damals angeblich viel Einfluß hatte, heute aber völlig vergessen ist. Das Thema von "Tatarenwüste" aber ist interessant, wenn ich auch vermute, daß ich es anders deuten werde als R. Oder die Literaturkritik es tut. Oder Buzzati selber.* Ein Mann, Soldat, völlig eingebunden in Pflichten, v. a. die Pflicht zur Obacht vor den Tataren, die ständig erwartet werden - aber nie kommen. So versinkt alles, was er tut, sein gesamtes Gebäude an Abläufen und Notwendigkeiten, in eine fragwürdige Leere. 

Natürlich wird dies als Metapher für unsere Existenz verstanden, und ist nihilistisches Bild unseres Lebens auf der Erde, das seine Abläufe nur dann halten kann, wenn es eine Aufgabe hat, die aber immer nur Schein ist. Alles Leben hat damit kein fundamentum in re, sondern ist lediglich menschliches Abkommen, um nicht ins Nichts zu versinken. Glücklich also jene, die ganz in ihren Aufgaben untergehen, ohne je an das große Ganze der Leere zu denken.

Daß es faktisch oft so ist, zumalen heute, ist ein eigenes Problem. Das macht das Buch wahrscheinlich zum Gewinn, wenn ich es denn einmal lese, denn der Stoß "zu lesendes" ist verdammt hoch. Und manchmal erreiche ich seine Spitze gar nicht mehr, zumindest befürchte ich das. Denn das kann schon entmutigen. Längst habe ich ja mit Gedanken zu tun die mir sagen: das wird sich in deinem Leben nicht mehr ausgehen!

Wäre ich heute noch jung, würde ich vermutlich ja anders lesen. Weniger Bücher, aber diese immer wieder und wieder. Oder geht das nur auf, wenn man bereits so viel gelesen hat wie ich, und so viel Verschiedenes? Wenn man also die Weite des Terrains kennt, auf dem man sich bewegt? Oder geht das nur auf, wenn man die Gnade und Chance hat, sein Leben in ganz engen Grenzen zu leben, etwa in einer kleinen Klosterklause, wo das Viele zugunsten des Tiefen Einen gar nicht an einen herandringt?

Woher hätte ich sonst eine gewisse Fundiertheit beziehen sollen? Es gab die Lehrer nicht, die Väter, die Ahnen, die mir das übergeben hätten, auf dem ich stehen hätte können. Worauf ich wirklich zu stehen kam, das Unbewußte, das Reale, das Fleischliche gewissermaßen, das zu entdecken mußte ich halt so viele und weite Wege gehen.

Zwei Wochen sind es fast schon seit der Kur. Eine Woche seit Mohács. Gestern war ich wieder in der Weinhandlung "bor & bar". Zu meiner Enttäuschung hatte man wieder nur eine Flasche von diesem Sárga Muskotaly (sprich: Schargo Muschkotoij) aus Pannonhalma. Ich habe sie noch gestern Abend geleert, konnte ihn aber nicht mehr so genießen, wie am Samstag, wo er uns ja so herrlich gemundet hat.

Ganz langsam habe ich in den letzten Tagen wieder in etwas Arbeit gefunden. Einerseits fehlt es mir immer noch an Kraft, das ist sehr frustrierend. Anderseits und daran anknüpfend, denke ich, bin ich geistig sehr sehr schwach. Entweder heißt das, daß ich in nächster Zeit viel viel schreiben muß, um das viele, daß sich in den letzten Wochen und Monaten angesammelt hat, wieder aufzulichten, zu ordnen, ja überhaupt erst "zu erleben" (und nicht nur zu sammeln). Denn das ist es vermutlich, das mich so vernebelt, wie ich es empfinde. Oder es ist eben doch nur eine Auswirkung der körperlichen Zustände, die nach Deiner Abreise und dem nun folgenden Mangel an Pflege wieder zurückgefallen sind.

Ob gar diese gewisse Mutlosigkeit damit zu tun hat kann ich endgültig nur vermuten. Irgendwie fühle ich mich [...] an einen Punkt zurückgeworfen, wo auch kleinste Gewißheiten wieder aufgelöst sind. Denn mir fehlt jede Ahnung, wie was weitergehen soll. Ich kann mich gar nicht erinnern, wann ich so etwas zuletzt erlebt habe. Ich glaube zwar schon zu sehen, daß es an Initiative fehlt - von mir. Denn man muß schon hinausgreifen, von selber wird nichts. Aber ich sehe auch keine Möglichkeiten, die ich ergreifen könnte. Und ich fürchte auch, daß ich in den letzten Jahren zurückgefallen bin, wage nicht zu sagen, ob die Resignation, die mich in vielen Betrachtungen umfängt, Ursache oder Folge ist. Diese gewisse Werklosigkeit, die ich empfinde, macht mir schwer zu schaffen. Ob nämlich nicht das Blog nur den Schein einer Tätigkeit ist? Ich habe manchmal den Verdacht.

Mit gewisser Trauer denke ich an das schöne, große Weingut in Mohács, als das sich das kleine Schlößchen herausgestellt hat. Vor 20 Jahren hätte das für mich vermutlich noch den Aufruf bedeutet, der Welt einen Würfel zu schlagen. Denn um etwas aufzubauen braucht es Mut und Entschlossenheit, gegen alle Widerstände. Und Kraft. Damals hatte ich noch diese Kraft. Heute? Nicht mehr. Zumindest momentan. Das bedrückt mich.
Denn ich denke, daß das mehr mit den Lebensaltern zu tun haben könnte als mit meinem momentanen Gesundheitszustand. Auch der - ein Signum des Lebensalters, Quittung des bisher Gelebten, Erlebten. Denn im Leben hat alles seine Zeit, jedes Lebensalter seine Aufgaben im Rahmen eines Ganzen, Einen, das ein Leben schließlich ist. Und man muß als Alternder, der ich zu sein mich allmählich gewöhnen muß, auch lernen seine Adäquatheiten zu akzeptieren. Dafür hätte man ja dann die Söhne, sie werden zu eines Hand. Sie wären eine Frucht. Aber die Zerstörungswut von vielen Frauen [...] greift also hier deutlich erkennbar auch auf die Zukunft der Väter aus, und das ist ja wohl die Absicht dahinter. In der Zukunftslosigkeit meiner Söhne bzw. Kinder, in der ich das genau so erfahre. 


 Morgen Teil 2) Wie das Zeitypische aber noch waltet. 
So erklärt sich auch Merkel.




*011017*