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Sonntag, 3. Dezember 2017

Wer Unrecht geradestellen will wird schamlos

Das ist ein ganz wichtiger Kulturpunkt, und höchst aktuell, den Barbara Gerl-Falkovitz hier anreißt. Die Scham. Und die Folgen ihres Verlusts. Scham ist nämlich eine Kulturkonstante, ohne sie gibt es keine Kultur und damit keinen Menschen. Die aus der sexuellen Befreiung (umgewuchtet in die 68er Bewegung) heraus nicht nur auf eine Kulturzerstörung, sondern primär auf die Zerstörung des individuellen Weltempfindens hinausläuft. Schamlosigkeit, demonstrierte Schamlosigkeit kommt einer Ausstoßung des anderen aus dem kulturellen Zusammenhang gleich. Wer schamlos agiert, wirft den anderen aus dem Kulturzusammenhang, damit aus der Welt überhaupt, hinaus. Es ist ein Akt der Aggression, der Bestrafung, der ersatzweisen Rache für erlittenes Unrecht.

Beschämung desintegriert. Sie macht animal. Deshalb wird die Gossensprache so animalisch - der Mensch ist in der Schamlosigkeit animalisch. Die Scham schützt vor etwas Kostbarem. Deshalb ist sie natürlich kulturbedingt, aber genau deshalb in der Natur des Menschen begründet. In der Schamverletzung wird man von sich weg auf den anderen hingerissen. In der Geschlechtsbeziehung wird es zum Losreißen des Schamteils aus dem Insgesamt der Person, zum Hinreißen in die Begegnung von Geschlechtsteilen. Der Gebrauch der Geschlechtsteile wird zum Höllischen, wenn er nur der Austausch von Hormonausflüssen wird. Schamlosigkeit trennt Trieb vom Selbst.

Wer etwa aber auch die Tagebücher eines anderen liest, zerstört dessen Integrität als (welthafter) Mensch. Er verbricht gegen den Menschen als Ebenbild Gottes. Vor der Intimität des anderen darf nur der Blick gesenkt, der Blick verschlossen werden.

In der Erziehung ist Schamlosigkeit besonders tragisch. Weil die Verdinglichung des anderen - in der Schamlosigkeit - bedeutet, daß das Kind zum Zweck des jeweiligen Elternteils gemacht wird. Der andere wird zum reinen Nutzen, zum reinen Zweck. Jeder Mensch ist aber nicht zuerst "Zweck", sondern er ist um seiner selbst willen da. Niemand ist "Habe", sondern "Gabe". Gabe aber braucht entfremdetes Selbstsein des Empfangenen. Der andere wird also nur erfahrbar, wenn er in seiner vorbehaltlosen Integrität - in der Scham - respektiert wird.

Die Scham bewahrt das Eigene, das Intimum, um es dem anderen überhaupt erst auszuhändigen. Somit gibt der andere das Wesenseigene - die Frau als "Vertreterin aller Frauen". Die Scham schützt vor dem unterschiedslosen Eingliedern ins Allgemeine (das ans Animalische führt), sie ist das Essentium des Individuellen. Deshalb braucht sie die adäquate Rückgabe. Ohne Scham wird deshalb sogar die Erotik erstickt. Die schamlose Sexualität wird uninteressant.  

Die Schamhaftigkeit sorgt erst dafür, daß das Innerste, Eigentlichste dem Richtigen übergeben wird. Die Scham schämt sich also für das, was sonst vor die Säue geworfen wird. Liebe ist deshalb nur mit Scham denkbar, weil sie die personale Zielung enthält. Deshalb macht die Ehe nie unkeusch. Sondern sie macht sogar keusch. Bewußt. Sie weiß, worum es geht. Der Schamhafte ist der Wissende, der weiß, was ihm gehört, und er weiß, wem er gehört. Scham ist das Wissen um das Leben.

Sokrates war vielen ein Frosch, unansehnlich von Gestalt, quakend in der Stimme. Aber manchmal, den Hörenden gegenüber, ein Gott. 

Die Scham schämt sich Kupfer zu halten, auch wenn sie Gold wollte. Sie schützt das innerste Götterbild, das man dem anderen offenbart.