Dieses Blog durchsuchen

Donnerstag, 15. Mai 2008

Die Zukunft - Armut III

"Hat Gott nicht die Armen in der Welt auserwählt, um sie durch den Glauben reich und zu Erben des Königreichs zu machen, das er denen verheißen hat, die ihn lieben? Ihr aber verachtet den Armen. Sind es nicht die Reichen, die euch unterdrücken und euch vor die Gerichte schleppen? Sind nicht sie es, die den hohen Namen lästern, der über euch ausgerufen worden ist? Wenn ihr dagegen nach dem Wort der Schrift: Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst! das königliche Gesetz erfüllt, dann handelt ihr recht. Wenn ihr aber nach dem Ansehen der Person urteilt, begeht ihr eine Sünde und aus dem Gesetz selbst wird offenbar, dass ihr es übertreten habt." (Jak. 2,4-9)

Das Beratungsinstitut McKinsey hat das Abbröckeln des Mittelstandes festgestellt: Allein in den letzten vier Jahren von 54 auf 49 Millionen Deutsche. Zur Definition: Der Mittelstand ist jener Stand einer Gesellschaft, der sich selbst zu erhalten vermag, ohne von Sozialleistungen abhängig zu sein, dessen Stabilität und Prosperität hingegen sogar den Sockel der Solidarleistung einer Gesellschaft stellt. Bei anhaltender Entwicklung wird bis 2020 über die Hälfte der deutschen Arbeitnehmer aus der Mittelschicht in die Unterschicht abgerutscht sein. Zwar ist die Mittelschicht "nach oben" theoretisch offen, doch deutlich ist das Abrutschen der gesamten Mittelschicht nach unten zu bemerken. (Allein 2000 bis 2003 hat sich in Deutschland die Zahl der Spitzensteuersatzzahler von 350.000 auf 800.000 mehr als verdoppelt, wobei zunehmend der obere Anteil der Mittelschicht den Steuersatz der Oberschicht bezahlt.) Übrigens: gemäß einer Prognose von Karl Marx, wenn auch aus anderen Gründen.

In Deutschland läuft derzeit eine Debatte, daß die traditionelle Mittelschicht (die längst von der Schicht der Gewerbetreibenden und Selbständigen zum Stand der Angestellten und Beamten geworden ist) mit Einkommen, die nominell für soliden Lebensstandard reichen "müßten", in rasantem Tempo abwärts fährt. Das heißt: Diese Schichten klagen, daß sie ihr Leben in all seiner Diversifikation allmählich und deutlich zunehmend nicht mehr finanzieren können. Der traditionelle Bildungsstand, der eigentliche Kulturträger, mit Klavierunterricht für die Tochter und Frankreichwoche für den Sohn, Doppelverdiener mit schon deshalb notwendigen zwei Autos, um das Leben zu organisieren, den Kreditraten für den Hausbau und dem Bildungsurlaub in der Toskana, kämpft ums Überleben.

Das erinnert mich an die Klagen meines Taufpaten selig, eines gutsituierten traditionellen Geschäftsmannes, der in den letzten Jahren immer meinte, heute gehe es nicht mehr darum, etwas aufzubauen, sondern es sei schon schwierig genug, das Erreichte zu erhalten. Was diese ältere Generation sich überhaupt nicht mehr vorstellen konnte, war, welches gesellschaftliche Klima das des Aufbauoptimismus ersetzen könnte. Mit der Kernfrage: Ob ein solches Klima überhaupt ersetzbar IST. Weil eine Gesellschaft, eine Zivilisation zusammenbrechen könnte, wenn es den Nachkommen an Optimismus zur Entfaltung fehlt. (Voranschreiten - was nur in gewisser Hinsicht heißt: Fortschritt - ist also eine Bedingung des Menschseins überhaupt.)

Auffallend (so ein Bremer Soziologe) sei dabei das Auseinanderklaffen von subjektiver Wahrnehmung und objektiven Daten. Es fühlten sich deutlich mehr Menschen der Mittelschicht gefährdet, ja diese Ängste ("Polarisierung" bedeutet ja ihr Zerriebenwerden zwischen Arm und Reich) würden zu deren Kennzeichen, als dies durch Fakten feststellbar ist. Standesängste vor allem dieser Mittelschicht sind somit demokratisch-politisch zunehmend relevant. Eine Entwicklung, die nicht zuletzt in den Zwanziger, Dreißiger Jahren die historischen Erscheinungen (Nationalsozialismen in Europa) begünstigt hat, die exakt diese Identitätslücken (die sich allesamt auf den Faktor "Stand" beziehen) aufzufüllen versprochen (und gehalten) haben.

Die Sanierungsnotwendigkeiten der Staatshaushalte haben in den letzten Jahren in Deutschland (wie in Österreich) dazu geführt, daß jede Lohnerhöhung um ein Prozent das Steueraufkommen um zwei Prozent erhöht ... Allerdings hinkt das Argument, daß eine steuerliche Entlastung der Mittelschichten durch Ankurbelung der Nachfrage (und DAMIT erhöhtes Steueraufkommen) eine Art "Selbstfinanzierung" darstellt. Bisher hat sich nämlich gezeigt, daß eine solche (theoretische) Selbstfinanzierung durch immer neu auftretende Faktoren praktisch NIE eintrat.

Die demographische Entwicklung zeigt darüber hinaus, wie sich mit mathematischer Sicherheit der Zusammenhang "weniger Kinder IST GLEICH Armut" auch bei uns bewahrheiten wird.



*150508*