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Samstag, 26. Juli 2008

Was war das für ein Scheiß-Volk

"Als wir in Hitler's Wohnung in Berlin gekommen sind, haben sich die übrigen Soldaten um Devotionalien gekümmert - mich haben seine Bücher viel mehr interessiert. Und da waren Briefe, z. B. der Liebesbrief eines Teenagers, den hat er aufgehoben, oder das Treuebekenntnis von 1923 von Himmler, Göring usw. usw., ein ganzes Blatt. Da war auch die Gesamtausgabe von Karl May, natürlich. Mich hat interessiert, was war das für ein Mensch. Und es war ein ganz normaler Mensch. Die Wohnung war nett eingerichtet und irgendwas stimmte das nicht: wo war das größte Ungeheuer aller Zeiten? In dieser Wohnung war es nicht zu finden!"
Das Böse also ganz banal?
"Das Böse ist nicht banal. Die Bösen aber haben auch ein Gesicht, das banal ist, und hinter dem kaschiert sich das Böse. Himmler hat Kaninchen gezüchtet. Hitler hat sicher Kinder, oder seinen Hund geliebt. Kinder sind Ersatz für Gefühle, die man nicht hat oder haben darf. Aber wenn man das Wannsee-Protokoll liest, dann schaudert's einen, mit welcher Normalität hier über solche Dinge geredet wurde."

"Mir hat das Photographieren geholfen, mit Dachau fertigzuwerden. (Anm.: Troller war einer der ersten Photographen in den befreiten KZ) Ich mußte filmen und photographieren, um der Erkenntnis standzuhalten. Wir haben das gesehen, und die Beschäftigung mit der Linse etc. hat uns die Möglichkeit gegeben, dem direkten Blick auszuweichen. Sonst wäre das unerträglich gewesen. Diese ausgehungerten Skelette, wie Wachspuppen, die da überall verstreut herumlagen, ich konnte einen Moment gar nicht glauben, daß das Menschen sind."

"Zum Teil stimmt es schon, was Simmel gesagt hat: was ist nicht alles geschrieben worden, wie wenig hat sich geändert. Zum Teil stimmt es aber auch gar nicht: Denn ich finde schon, daß sich seit 1945 wahnsinnig viel geändert hat. Was war das doch für ein Scheiß-Volk ... Das ist heute doch ganz anders. Und irgendwie haben wir dazu beigetragen. Auch ich, mit meinen Sendungen."

"Heimat läßt sich ebenso wenig wiederfinden wie die Kindheit. Das gilt für alle Emigranten. Es verändert sich alles, während man weg war. Das gilt gerade für uns Wiener, die wir unsere Stadt doch kannten und liebten - anders als die Deutschen, die von der Sehnsucht nach dem Kurfürstendamm redeten, den sie möglicherweise noch nie gesehen hatten. Und es bleibt die Erinnerung: die Ungewißheit, ob nicht doch einer daherkommt und sagt: da, knie dich nieder, schrubbe den Gehsteig!"

Georg Stefan Troller im Interview; geboren in Wien, emigriert 1938, 1945 mit den Amerikanern zurückgekehrt; Journalist und Buchautor.






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