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Dienstag, 28. April 2009

Diskretion

Samuel Johnson (angeblich) über Lord Chesterton - in einer Bemerkung über ihn und Lord Tyrawley: "Tyrawley und ich sind schon seit zwei Jahren tot, wir wollen bloß nicht, daß es bekannt wird."

Ich mußte mehrmals in Lexika nachschlagen, und glaube es dennoch noch nicht: Daß Johnson wirklich gelebt und Boswell (ein Zeitgenosse), dessen Biographie nach minutiösen Aufzeichnungen angefertigt hatte. Zu grotesk wirkt alles, vielleicht gerade wegen dieses riesenhaften Realismus, der zur umwerfenden Komödie wird. Wäre alles erfunden, würde ich das Buch als kaum zu fassendes Meisterstück einer Schöpfung ansehen, vor dreißig oder zwanzig oder zehn oder drei Jahren abgeschlossen.

So beschließe ich, es doch wieder - nach zweihundertfünfzig Seiten sah ich mich durch zunehmende innere Unsicherheit gezwungen, die Perspektive durch Recherche zu klären - so zu lesen. Sprunghaft steigert sich wieder das ohnehin schon so beträchtliche Vergnügen an diesen schrulligen Figuren, die gerade durch die Einbindung in reales historisches und literaturhistorisches Geschehen umso schelmenhafter wirken.

Ich beschließe: Es gehört zu den umwerfenden Tricks und Wendungen der Geschichte, diese fiktive Figur durch das Hinterlassen von "realen" (aber: immer konstruierten) Relikten noch realer zu machen - ein Marketingtrick, der bis zur Gestaltung von Bieretiketten, zum Anfertigen von Portraits in Öl ("Johnson an Bord der Hickory"), und zur Abfassung von Lexikoneinträgen geht. Ein ganzer Londoner Stadtteil hat sich gar diesem Zauber einer fiktiven Welt verschrieben, die so wahr sein könnte, daß mitzuspielen mehr Lebensfreude bringt als das Leben selbst. 

(James Boswell, "Leben und Meinungen des Dr. Samuel Johnson")




*280409*