Dieses Blog durchsuchen

Samstag, 20. Juni 2009

Schreiben und Sein

Als ich in Nadine Gordimer's "Schreiben und Sein" einen Einleitungstext des Verlags (Suhrkamp) entdecke, der mit Inklusiv-Sprache verfaßt wurde, werfe ich wütend das Buch in den Müll. Später hole ich es heraus, reiße nur die entsprechende Seite heraus.

Dann lese ich Gordimer's Nobelpreisrede, und bin erschüttert: Denn was sie da sagt, zeigt mir, daß wir in derselben Welt leben. Und was sie über die Sprache, die Wahrheit sagt, was sie über die Absichtslosigkeit schreibt, indem sie unter anderem Camus zitiert, das einmal meint, daß ihm "Menschen, die Partei ergreifen, lieber sind als Literatur, die das tut", so erscheint sie mir nun durch die Verlagstexte regelrecht verhöhnt. Sie weiß um das Geheimnis der Schönheit, der Aufgabe der Darstellung, der Deutung der Welt, der Annäherung an den Seinszustand der Welt durch das Wort, der ästhetischen Erforschung des Wortes als Geschäft der Literatur, die Pflicht, an der Form, nicht an der Analyse zu kleben. "Im Anfang war das Wort", beginnt sie ihre Rede. Um in Nikos Kazantzakis überzuleiten, der da meinte: "Kunst hat nicht die Aufgabe, den Körper darzustellen, sondern die Kräfte, die den Körper geschaffen haben."

Dann führt sie mit Empörung im Ton das Beispiel Salman Rushdies an, über dem nach wie vor das Schwert der Fatwa hängt, deretwegen er verborgen leben muß, weil er täglich um sein Leben fürchten muß. "Welche Implikationen, [selbst, wenn er ein mittelmäßiger Schriftsteller wäre], welche neue Drohung gegen den Mann oder die Frau des Wortes bedeutet dieses Urteil?" Es geht um die prinzipielle Sucht nach Wahrheit, die in der Formtreue dem Künstler lebensnotwendige Pflicht ist. Nur hier kann und darf er Maßstab sein - niemals ein gerade herrschendes Diktat.

In Gordimer's Worten spürt man die zuckende, weiche, verletzliche Bauchseite, spürt wie Ideologie wirken kann, und gerade hier wird.

Und man fragt sich, was man zu erwarten hat, in einem Land zu leben, das gerade dabei ist, die Sprache ideologisch motiviert zu verändern, sodaß man noch weniger Verständnis zu erwarten hat. In einem Land (und Sprachraum) zu leben, wo eine Sprache (und man hat nur diese, und ist in ihr zur Wahrhaftigkeit verdammt wie befreit) selbst als unerwünscht, weil bereits unerwünschtes Mittel, definiert wird.

Und ohnmächtige Wut auf die Sprachverderber steigt auf, zum dringenden Wunsch an die Ewigkeit sublimiert: Jene zu verderben und zu vernichten, die so verbrecherisch die Wahrheit an ihrer Wurzel verhindern wollen.

"Der Schriftsteller dient der Menschheit nur soweit, wie er das Wort sogar gegen seine eigenen Loyalitäten kehrt, soweit, wie er sich darauf verläßt, daß das Sein, wenn es sich ihm offenbart, irgendwo in seiner Komplexität Fäden aus dem Seil der Wahrheit enthält, die die Kunst - da und dort - zusammenbinden kann: wenn der Autor sich darauf verläßt, daß das Sein fragmentarische Elemente der Wahrheit freigibt. Und Wahrheit ist schließlich das Wort der Wörter, das [...] nie verändert wird, nicht von Lügen und auch nicht von semantischer Sophistik, nicht von der Verschmutzung des Wortes zu Zwecken des Rassismus, Sexismus, Vorurteils, der Herrschaft, der Verherrlichung der Zerstörung, der Flüche und der Lobeslieder."




 *200609*