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Mittwoch, 15. Juli 2009

Boxengespräche II

Die Auflösung des Seins in Technik, seine Reduktion auf Mechanik, imitiert auf perfide Weise den wirklichen Prozeß der Befreiung zu einer Tat: in der Erweckung durch ein Vorbild, einen Archetyp, durch Erkenntnis, durch Literatur als hervorragendes Instrument des Selbsterwachens, weil auch die Unfreiheit eine Angelegenheit der Lüge, der Sprache, der Erkenntnisoffenheit hiermit, ist.

Denn im Erwachen ZU einem Sein, das ein Gewahrwerden eines bislang schlummernder, sich nur unbewußt äußernder Natur (= wozu man geboren) ist, löst sich tatsächlich das bislang als fern empfundene Sein dieses Standes auf, indem man in es eintritt, sich darein wie auflöst - und die vorige Position, die anderen, die bisherige Umwelt, als fremd und entfernt erlebt.

Weshalb man wirklich davon sprechen kann, daß ein Volk durch seine Literatur (beziehungsweise die Erzählung) zu sich kommt - vorausgesetzt, seine Literatur ist gut.

(Was das Multi-Kulti-Problem (wie jenes einer vordergründig "internationalisierten" Kultur) von ganz anderer Seite beleuchtet - denn zugewanderte, fremde Kultur bereichert NICHT primär, sie entfremdet erst einmal von mir selber, trägt zumindest nichts zum Selbstwerdungsprozeß bei - außer im Antinomischen! Was den "Fremdenhaß" erklärt, der gar kein Haß, sondern das Persönlichkeitselement der Antinomie, der notwendigen Abgrenzung als Abstecken des Bereichs ist, von dem ich Selbsterwachen erwarte. Aber darüber ein anderes Mal.)

Ich habe diesen Prozeß an anderer Stelle als Professionalisierung bereits einmal zu beschreiben versucht.

Man erfährt mit einem Mal ein bestimmtes Sein, das man vorher vielleicht nur bewundernd - aber als "Außenstehender" - betrachtet hat, nur noch ... von der technischen Seite. Mit einem Mal wird das Sein nebensächlich, ja es ist geradezu Kennzeichen, ein bestimmtes Sein (und Identität) errungen zu haben, indem dieses unwichtig wird, die Hingabe an die Technik aber alles Trachten ausfüllt.

Martienßen-Lohmann beschreibt es, als Beispiel, beim Sänger als "allen zuzuschreibende Notwendigkeit zum Autodidaktentum": wo nur noch die Technik der Entstehung eines Tones (Plastik, Roman, Film etc.) wichtig, Mittelpunkt der Aufmerksamkeit wird. Es ist das sicherste Zeichen des Fortschritts, Begabung ist nur eine Aussage über den Rang der Kunst - und unter Umständen im NICHT-Berufenen (technisch) größer. (Was dem heute immer häufigeren Simulanten, dem Seinsusurpator, oft große Chancen einräumt.)

Der Unterschied? Dort ist es Auflösung des Seins, um so "gleich" (und damit: eins) zu werden (woraufhin es dieses Sein gar nicht mehr gibt), dort ist es jeweils nur dem Einzelnen (kraft Natur, also Berufung) zugängige FREILEGUNG und Eintreten IN dieses Sein, nein: Überziehen des einen Umarmenden.

Das einmalige Genie also wird immer einsam sein. Seine Erweckung in Archetypen ist nur bis zu einer gewissen Höhe möglich. Darüber hinaus ist alles nur noch eine Frage seines Mutes. Man hüte sich also, die Vereinzelung (zumindest: voreilig) als "Nicht-Genügen" zu deuten, wie es die Mechanikermentalitäten gerne fordern und einreden! Man hüte sich, sich selbst zum Mechaniker machen zu wollen. Man wird dort noch kläglicher versagen, als vielleicht am Höhenweg.

Wirkliche, allumfassende Liebe, denn Erkanntheit gibt es eben nur in Gott. Und in den allzu wenigen, die noch zu staunen vermögen.




*150709*